Meine Tochter redet gern über ihre Hausaufgaben. Ich diene als Projektionsfläche für ihre Gedanken – und manchmal sucht sie auch die schnelle Antwort. Zu Plan- und Marktwirtschaft schüttele ich die Vor- und Nachteile beider Systeme aus dem Ärmel und ignoriere die Texte in ihrem Geschichtsbuch: Es kommt nicht oft vor, dass jemand so offensichtlich davon profitiert, dass ich knapp zwanzig Jahre in der DDR aufgewachsen bin und seit drei Jahrzehnten in der BRD lebe.
Mittagsstunde
Bücher begeistern aus den unterschiedlichsten Gründen. Sie können alles mögliche sein: informativ, spannend, unterhaltsam, erschütternd, anrührend – und sind hoffentlich gut geschrieben. Manche mag man gar nicht wieder weglegen, wenn man einmal angefangen hat. Ich glaube, bei vielen guten Büchern ist der Inhalt ein bisschen wichtiger als die Sprache: Wenn man fertig gelesen hat, tut es einem leid, dass die Geschichte vorbei ist.
Seltener sind die Bücher, die man vor allem deswegen nicht weglegen mag, weil sie so schön geschrieben sind. In denen ist die schöne Sprache ein bisschen wichtiger als der Inhalt. So ein Buch ist für mich „Altes Land“ von Dörte Hansen. Die Frau benutzt wunderschöne Sätze, um eine Geschichte zu erzählen. Ich habe das Buch sogar ein zweites Mal gelesen, mit Begeisterung – und das ist wirklich sehr besonders.
Im vergangenen Herbst ist Dörte Hansens zweites Buch erschienen – „Mittagsstunde“. Weil meine Schwester weiß, dass ich immer auf die Taschenbuchausgabe warte, hat sie mir das Buch einfach mal so geschenkt. Meine Erwartungen waren hoch, daher habe ich mit dem Lesebeginn ein wenig gezögert. Vor ein paar Tagen habe ich angefangen und lese „Mittagsstunde“ nun in meiner persönlichen Mittagsstunde. Die ist lang genug, um ein bisschen in Dörte Hansens schönen Formulierungen zu versinken, und kurz genug, um nicht so schnell fertig zu werden. Denn: Die Frau benutzt wieder wunderschöne Sätze, um eine Geschichte zu erzählen.