Ich versuche, auf einer Fuge zwischen den Gehwegplatten möglichst geradeaus zu laufen. Zunächst konzentriere ich mich auf die Fuge direkt vor meinen Füßen – und ende leicht verkrampft im Zickzack-Gang. Fokussiere ich mich dagegen auf einen Punkt weiter weg von mir, umso gerader komme ich voran. Ich muss ans Leistungspflügen denken, bei dem ich vor Jahrzehnten zugeschaut habe: Auf die erste Furche kommt es an; dafür wählt sich der Pflügende einen Zielpunkt am Ende des Feldes und fährt darauf zu. Die dadurch entstehende Spaltfurche wird umso gerader, je unbeirrter der Mann auf dem Trecker auf sein Ziel hinzu fährt. Der darauf folgende Rest der Pflügerei ist – sicherlich kein Kinderspiel, aber doch leichter. Ebenso geht es demjenigen, der eine volle Tasse irgendwohin trägt: lieber auf das Irgendwohin schauen als auf die Tasse selbst. Die fast überschwappende Flüssigkeit bringt einen sonst ganz schön aus dem Tritt! Selbst Eierlauf funktioniert besser, wenn man das Ei, um das es geht, gar nicht be(tr)achtet. Man braucht einfach einen anderen Fokus!
Ein guter Fokus?
Normalerweise laufe ich, um entspannt etwas für meine Fitness zu tun. Ich genieße die Gegend und mache mir wenig Gedanken darum, wie weit oder schnell ich unterwegs bin: Schon seit Jahren laufe ich dieselbe Runde, ab und zu mal eine extra Kurve.
Diesen Samstag ist es anders. Wegen eines kurzen, aber heftigen Infekts war ich eine ganze Woche gar nicht laufen und nehme mir spontan etwas mehr vor – weiter als sonst und möglichst schnell. Dafür aktiviere ich die Lauf-App auf meinem Handy, die ich ab und zu benutze.
Gedanklich baue ich einige Schleifen in meine Standardrunde ein, nehme mir vor, Gas zu geben – und los geht´s. Ich fokussiere mich auf ein anspruchsvolles Tempo; die Landschaft und auch meine sonst beim Laufen herumschweifenden Gedanken schieben sich in den Hintergrund. Für etwas Wichtiges – ein seltenes Tier, einen unerwarteten Spaziergänger … – würde ich mich aber wahrscheinlich unterbrechen lassen. Denke ich.
Je weiter ich laufe, umso schärfer wird mein Fokus: Ich fixiere mich vor allem auf mein zweites Ziel – möglichst schnell. `Jetzt bin ich schon so weit gekommen´, denke ich, `jetzt ziehe ich das durch.´
Auf meiner Runde passiere ich ein Altersheim; von hier aus sind es nur noch anderthalb Kilometer. Schon von weitem erspähe ich einen der Bewohner: Hans mit seinem Rollator. Eigentlich reden wir JEDESMAL kurz miteinander, wenn wir uns begegnen. Heute nicht! Ich winke ihm zu, lächle (hoffentlich erkennbar), keuche ihm ein `Guten Morgen´ entgegen und stürme vorbei. Er scheint zu verstehen, winkt zurück und zuckelt weiter. Es (und er) tut mir ein bisschen leid, aber in dem Moment kann ich nicht anders. Zu Hause bin ich stolz auf und zufrieden mit meinem (in der App ablesbaren) Ergebnis und weiß doch: Es ist ein sehr vergängliches Gefühl.
Meinen persönlichen Ehrgeiz habe ich beim Laufen immer dabei. Aber vielleicht lasse ich mein Handy mit der Lauf-App nächstes Mal wieder in der Küche liegen. Falls ich Hans treffe, ist es besser, ich bin nur fokussiert und nicht fixiert!
Corona aus dem Fokus schubsen
Das Gebot der Stunde lautet: Abstand, Hygiene, zu Hause bleiben… Vom Fokus her klingt das nach: „Hauptsache, wir vermeiden die Ansteckung mit dem Corona-Virus – und möglichst den Kontakt zu allen und allem, was uns lieb und teuer ist“. Mir ist das zu einseitig – und zu negativ. Als gäbe es nichts, was wir sonst tun können. Dabei ist klar: Bewegung tut uns gut und Licht auch. Also raus mit uns – meinetwegen allein – und spazieren gehen, laufen oder Rad fahren. Gesünder zu essen, ist eine ebenso gute wie umsetzbare Idee. An Obst und Gemüse mangelt es nicht, und Zeit zum Kochen haben die meisten jetzt auch. Damit stärken wir unseren Körper und das Immunsystem; und vielleicht haben wir auch Spaß daran.
Denn vor allem die Seele braucht gute Nahrung: Zu viele Corona-Nachrichten ermüden, ängstigen, verunsichern uns und engen die Perspektive ein. Also hören wir anstelle der Nachrichten Gute-Laune-Musik, die uns beschwingt. Wer`s mag, singt unter der Dusche und tanzt im Wohnzimmer. Die Stilleren können mittels guter Bücher abtauchen in Corona-freie Geschichten – egal ob sie Krimis mögen, Biographien, Sachbücher oder Romane. Und wer mit offenen Sinnen unterwegs ist, findet mehr Schönes als Angst-Machendes: geschmackvolle Weihnachtsdeko in einem Vorgarten, die rote Morgensonne – und das Wissen, dass in einer Woche die Tage wieder länger werden, das Faszinierende an einer Formation Kraniche, ein Schwanenpärchen (mit ihren leicht quietschenden Fluggeräuschen) oder das wohlige Gefühl, aus dem Nieselregen in ein warmes Haus zu kommen. Wem all das nicht reicht: Freundliche Worte wirken Wunder – nicht nur, wenn man sie hört, sondern auch wenn man sie ausspricht …
Mein Fokus
„Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, wenngleich das Meer wütete und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen. Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben… Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie fest bleiben; Gott hilft ihr früh am Morgen.“
Psalm 46, 1-5a+6
Wo man hinschaut und hinhört: Der Fokus liegt auf dem Corona-Virus. Seit Monaten geht es darum, mal mehr und mal weniger – gerade wieder mehr. Es ist nicht so leicht, sich gedanklich mit etwas anderem zu beschäftigen, obwohl es genug anderes gäbe. Alles erscheint unwichtig, Corona scheint wichtiger zu sein. Das Virus hat sich breit gemacht in unserer Welt – egal was wir persönlich davon halten und welche Meinung wir dazu vertreten. Diesem „Corona-Fokus“ etwas entgegen zu halten, tut gut.
Gestern im Gottesdienst ging es vor allem um Jesus – wie wohltuend. Dort haben wir Corona den Raum versagt, den dieses Virus in unserem Leben und unserem Denken beansprucht. In den Fokus meiner Gedanken und meines Lebens gehört kein Virus – und auch nicht die `ergriffenen Maßnahmen´. In den Fokus meiner Gedanken und meines Lebens gehört Jesus selbst. „Die Stadt Gottes“ (die Gemeinde Gottes) kann „fein lustig bleiben“, denn „Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben“. Noch versinken die Berge nicht im Meer oder fallen ein; aber selbst dann gälte für die Gemeinde Gottes: „Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie fest bleiben …“