Hauptsache zu Fuß?

Da läuft ein Influencer von Berlin nach New York. Warum? Weil er Jugendliche motivieren möchte, Sport zu machen. Natürlich begleitet ihn ein Kamerateam – sonst wird das ja auch schwer mit dem Motivieren, weil keiner merkt, was er macht. Spontan frage ich mich, wie das (ganz praktisch) gehen soll: Zwischen Berlin und New York liegt der Atlantik; andersherum zu laufen und durch die vergleichsweise enge Beringstraße zu schwimmen, das traue ich ihm nicht zu. Und tatsächlich, erzählt mir mein Sohn, sei er inzwischen schon 700 Kilometer bis Frankreich gelaufen: also Richtung Westen. Zwischendurch wird er dementsprechend ein Stückchen fliegen, lese ich später – und zwar die 5.200 Kilometer von Porto in Portugal bis Boston in Amerika. Zu Fuß bleiben dann eben die restlichen 3.000 Kilometer bis Porto und ab Boston, was natürlich auch noch ganz schön weit ist.

Ich habe keine Ahnung, ob der junge Mann einen Zeitplan hat und diese Aktion jetzt sozusagen hauptberuflich betreibt. Dann wäre er angewiesen darauf, möglichst viele Likes für seinen Lauf zu bekommen – ich glaube zumindest, dass das so funktioniert. Bisher sieht es gut aus für ihn: Die Reaktionen im Netz sind rundum positiv. Finde nur ich das mit dem Fliegen irgendwie unpassend? Ich wundere mich, denn momentan redet schließlich jeder, der was auf sich hält, davon, dass wir möglichst wenig fliegen sollten. Insofern hätte der Mensch mit Einfluss sich doch auch eine andere Strecke aussuchen können. Es lassen sich innerhalb Europas auch ohne Flugzeug ganz ordentliche Strecken zurücklegen: Bis Lissabon sind es von Berlin aus 2.600 Kilometer, ebenso weit ist es bis an die Spitze von Norwegen oder nach Antalya in der Türkei. Alles wäre nur zu Fuß machbar und also deutlich nachhaltiger – allerdings ohne Manhattan Skyline nicht ganz so medienwirksam.

Vom Fliegen

Unser Haus, das Nest unserer Kinder, ist noch nicht leer, aber auch nicht mehr voll. So schnell hintereinander sie geboren wurde, so zügig nacheinander verlassen sie jetzt unser gemeinsames Zuhause. Das Flüggewerden verläuft in Stufen: Zwei `Kinder´ sind bereits ausgezogen; zwei der drei anderen sind sozusagen kurz vor dem Sprung. Insgesamt empfinde ich diese Jahre als eine herausfordernde, weil sehr bewegte Übergangsphase: Das Nest hat seine besten Zeiten hinter sich – und lässt jetzt buchstäblich Federn.

Bei uns herrscht ein Kommen und Gehen wie im Basiscamp am Fuße eines hohen Berges. Die Kinder kümmern sich um ihren Kram, stärken sich und brauchen Gespräch – oder ihre Ruhe. Währenddessen machen sie Flugübungen und ziehen immer größere Runden. Mein Mann kümmert sich hauptsächlich um die Finanzierung; ich sorge für Logistik, Organisation und Atmosphäre. Obwohl ich damit schon seit über 20 Jahren beschäftigt bin, ist irgendwie doch alles anders: Auch ich übe. Ich muss flexibler sein als je zuvor – mal ganz präsent sein und mal schön im Hintergrund bleiben. Manche Tage reicht meine (Flug-)Erfahrung aus; an anderen enden all meine Bemühungen sozusagen in einer totalen Bruchlandung. Dann brauche ich ein paar Tage, um mein zerzaustes Gefieder zu glätten.

Vögel fliegen – ich staune!

„Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter.“
Psalm 104, 24

Der Sibirische Goldregenpfeier ist klein, er wiegt nur 200 Gramm. Er lebt in Alaska und fliegt zum Überwintern nach Hawaii: 4.500 Kilometer ohne Pause. Dafür braucht er drei Tage – aber nur, wenn er sich vorher exakt 70 Gramm Energiereserve in Form von Fett angefressen hat. Zusätzlich MUSS er in Keilformation mit vielen anderen fliegen (Windschatten) und genau wissen, wo Hawaii liegt. Sonst würde er irgendwo in den Pazifik stürzen: Dort gibt es nicht so viele alternative Landeplätze.

Heute stand in der Zeitung, dass eine Uferschnepfe in 55 Stunden von Niedersachsen aus nach Zentralafrika geflogen ist – mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 74 Stundenkilometer. Die Uferschnepfe ist kein besonders kleiner Vogel, aber sie ist auch kein Adler. Sie ist eher langbeinig und schmal: Man sieht ihr die Kraft nicht an, die sie braucht, um derart pfeilschnell durch die Luft zu jagen.

Über den Dächern von Heidelberg – zumindest über dem Dach meiner Freundin – gibt es jede Menge Mauersegler. Sie sind ständig unterwegs, umfliegen die Kirchtürme und Häuser, hin und her, hoch und runter. Es sieht spielerisch aus und zweckfrei. Natürlich müssen sie auch fressen und schlafen; aber das alles scheinen sie nebenbei zu tun: Ornithologen haben herausgefunden, dass Mauersegler zehn Monate am Stück fliegen können! Nur in der Brutzeit machen sie kurz Pause.

„Groß sind die Werke des Herrn; wer sie erforscht, der hat Freude daran.“
Psalm 111, 2