Unterm Strich

Ein lieber Mensch wird 60; wir möchten gern mitfeiern – obwohl die Dame 250 Kilometer entfernt wohnt und keine Übernachtungsmöglichkeit (mehr) für uns hat. Die A2 erscheint uns am Freitagnachmittag eher ungeeignet: Mein Mann entscheidet sich für den alternativen Weg über die Landstraße. Dieser ist 40 Kilometer kürzer, wird also vielleicht ebenso lange dauern wie `Autobahn ohne Stau´. Wir rechnen mit zweieinhalb Stunden. Mehrere gesperrte Ortsdurchfahrten und zahlreiche Geschwindigkeitsbeschränkungen zerstören nicht nur dieses Ziel: Nach dreieinhalb Stunden hat auch die Vorfreude einen leichten Knacks.

Beim Fest freut sich die Jubilarin ehrlich über jeden Gast. Wir treffen einige alte Bekannte und genießen leckeres Essen, Life-Gesang und ein wunderbares Ambiente.

Für die Rückfahrt wählen wir die Autobahn: Nachts ist dort deutlich weniger Verkehr. Entsprechend kommen wir bis zu unserer Abfahrt gut voran. Angesichts der Umleitung, die wir alternativ zur teilweise gesperrten Bundesstraße nutzen müssen, bleiben wir zunächst gelassen. Leider müssen wir `großräumig umfahren´ und quälen uns buchstäblich im Zickzack-Kurs durch die Walachei – inklusive nächtlicher Radarkontrolle.

Am Ende stehen sieben Stunden Autofahrt für vier Stunden Geburtstagsfeier auf der Uhr: Wir fallen mehr als erschöpft ins Bett. Unser Sohn wird bald Post von der Polizei bekommen; wir haben etwa 45 Liter Sprit verfahren. War es das wert? Mit dem Abstand einer kurzen Nacht freue ich mich:

Wir konnten dem Geburtstagskind persönlich gratulieren und haben die Familie getroffen.
Das Auto hat nicht rumgezickt – und wir auch nicht.
Zwei unserer Kinder haben sich als Fahrer souverän abgewechselt.
Bewahrt an Leib und Seele sind wir abends heil in unsere eigenen Betten gefallen.

Unterm Strich sind wir sehr dankbar!

Vom Feiern

„Man soll die Feste feiern, wie sie fallen“, heißt es. Ein deutscher Kaiser machte angeblich Ausnahmen: Er feierte seinen Geburtstag immer erst dann, wenn die Sonne von einem wolkenlosen Himmel strahlte – Kaiserwetter eben.

Die Maueröffnung am 9. November 1989 kam unerwartet – und wurde von vielen Ostberlinern begangen wie ein Fest, das vom Himmel fiel. Auch ich ließ alles andere stehen und liegen und fuhr nach Westberlin – eine sehr gute Entscheidung.

Der 9. November 2021 scheint ein ganz normaler Dienstag zu werden. (Nur gedanklich `feiere´ ich und denke dankbar an die Grenzöffnung.) Und dann fällt doch noch etwas `in meinen Schoß´: Wir haben Kaiserwetter – nur nicht so warm. Es eignet sich hervorragend, alles andere stehen und liegen zu lassen und mich um das heruntergefallene Laub zu kümmern. Zwar sind noch nicht alle Blätter von den Bäumen runter, die meisten aber schon. `Man soll die Feste feiern … – oder den Garten harken ´, denke ich mir – eine sehr gute Entscheidung.

Besondere Spezies

In unserer Nachbarschaft gibt es Leute, die sehr häufig viele Menschen zu Besuch haben und feiern. Ob Frühling, Sommer, Herbst oder Winter – egal: Draußen zusammen sitzen geht immer, grillen und dazu was trinken auch. Einen Anlass brauchen sie nicht. „Einfach so“, lautet meistens die Antwort, wenn wir – vorbei spazierend – fragen, was es zu feiern gibt. Diese entfernten Nachbarn gehören aus unserer Sicht einer besonderen Spezies an: sie sind gesellige Feierbiester. Für solche Leute ist ein runder Geburtstag ebensowenig eine Herausforderung wie eine Hauseinweihung mit der gesamten Nachbarschaft oder eine Silberhochzeit mit den Weggefährten der vergangenen 25 Jahre.

Für uns dagegen werfen diese Art Anlässe bedrohlich anmutende Schatten voraus und lassen uns nach Möglichkeiten suchen, eine mittel- bis richtig großen Feier erfolgreich zu umgehen. Wir sind keine geselligen Feierbiester; wir schätzen gut überschaubare Gruppen – und diese nur hin und wieder.

In den Augen der geselligen Feierbiester sind wir sicherlich ebenso eine besondere Spezies: Nennen sie uns womöglich Langweiler???

Draußen-Wetter

Christi Himmelfahrt ist ein Feiertag im Frühjahr, der die Arbeitswoche schön unterbricht. Meist ist auch das Wetter frühlingshaft warm und sonnig, so dass sich die freie Zeit hervorragend für ein paar Terrassenstunden eignet. Mittlerweile ist Christi Himmelfahrt besser bekannt als Vatertag und wird – auch wegen des schönen Wetters – auf ganz bestimmte Weise begangen: Viele Väter, Nicht-Väter, Frauen und Mädchen nehmen den freien Donnerstag zum Anlass, sich an der frischen Luft und von höchster Stelle legitimiert „die Kante zu geben“. Laute Musik darf dabei nicht fehlen, und meist laufen die Feiernden durch die Gegend. Davon kann man halten, was man will. Wir müssen ja nicht mitmachen. Nun ja …

Mitfeiern müssen wir nicht, aber so richtig entziehen können wir uns dem allgemeinen Gelage auch nicht: Bei uns in der Nachbarschaft nutzte dieses Jahr ein (mehr oder weniger junger) Vater den ganzen Tag zum Feiern und Musikhören. Leider liefen er und seine Gäste nicht durch die Gegend, sondern blieben schön in der Garage. Eine Menge der Feier-Geräusche drang bis zu uns auf die Terrasse. Glücklicherweise war das Wetter nicht ganz so super – ich blieb einfach drinnen oder ging (in der einsamen Feldmark) spazieren.

Manches muss man einfach aushalten, oder? Vielleicht ist nächstes Jahr wieder Drinnen-Wetter …

Nicht dasselbe

Unser Jüngster feiert seinen zehnten Geburtstag; er hat zehn oder elf Kinder eingeladen. Wir machen ein Geländespiel im Wald, es gibt vorher ein Eis, hinterher Minipizzen – und als letzter Punkt steht „freies Spiel im Garten“ auf dem Programm. Diese Art zu feiern passt zu uns und hat sich bewährt: Wir haben das auch schon so praktiziert, als unser Ältester zehn wurde.

Man könnte meinen, wir kennen uns aus. Man könnte auch meinen, es sei jedes Jahr dasselbe. Weit gefehlt! Es gibt – abgesehen von den Unwägbarkeiten des Wetters – immer wieder neue Befindlichkeiten, mit denen wir konfrontiert werden: „Ich mag kein Eis. Ich mag keine Salami auf der Pizza: Habt ihr auch was anderes? Ich kann nicht so schnell laufen, ich kann nicht so langsam laufen, wann werde ich abgeholt?“ Und so weiter und so fort.

Am eklatantesten aber ist der Unterschied, der durch die Zeit entsteht: Als der Älteste zehn wurde, hatten wir noch vier weitere Kinder im Alter von acht, sieben, fünf und zwei Jahren hier zu Hause. Vier weitere Kinder, die gern mitspielen wollten, die auch Hunger hatten, die – zum Teil zumindest – beaufsichtigt werden mussten. Beim Jüngsten sind zwei Kinder 16 und 17, halten sich vor allem im Hintergrund und erscheinen nur kurz zum Essen. Zwei andere Kinder sind 12 und 14, helfen beim Geländespiel und beteiligen sich aktiv beim „freien Fußball-Spiel im Garten“.

Es ist auch ein zehnter Geburtstag, wir feiern wie gehabt. Dennoch ist es nicht dasselbe, das fällt sogar dem Großen auf: „Mensch, Mama, als ich zehn geworden bin, da hattet ihr ja noch vier kleinere Kinder – das war sicher ein einziges Gewusel.“ Stimmt.