In guten Händen

Schon lange ließen sich die Gänge an meinem Fahrrad nicht mehr rund schalten. Beim ersten Besuch in der Werkstatt tauchte der Mitarbeiter die gesamte Gangschaltung – das müsse man nach einer gewissen Laufleistung tun, meinte er dazu. Danach liefen die Gänge, wenn überhaupt, nur minimal besser. Was die Monteure beim zweiten Mal gemacht haben, weiß ich nicht. Das Ergebnis war ähnlich ernüchternd. Die dritte Diagnose lautete: alles neu.

Mein Mann besorgt also, gebraucht, eine neue Felge und eine neue Kette. Nach dem Einbau geht es nicht minimal besser, sondern maximal schlechter; ich drehe noch auf der Heimfahrt wieder um. Auf dem Hof der Werkstatt steht der Seniorchef – eigens für den kommenden Urlaub wieder akquiriert. Nach kurzer Prüfung sieht er mich mitleidig an: „Es liegt am Schaltzug, der ist hier (kurzes Hindeuten) abgeknickt. Das hat der Monteur wohl nicht gesehen.“

Einen Tag später hole ich das Rad wieder ab und bedanke mich ausdrücklich bei meinem neuen persönlichen Fahrrad-Helden. „Wenn nochmal was ist, kommen Sie bitte direkt zu mir“, verabschiedet er mich. Auf der Fahrt nach Hause läuft alles wie geschmiert und ich denke: So bald werden wir uns wahrscheinlich nicht wiedersehen – obwohl ich diesem Monteur gern wieder mein Rad anvertrauen würde.

Oh, ich bin mit dem Fahrrad da!

„Oh, du bist mit dem Fahrrad da“, bedauert mich meine Kollegin, als es zu meiner Feierabendzeit stark regnet. Ja, denke ich, ich bin immer mit dem Fahrrad da; unser Auto ist mit meinem Mann unterwegs. Ich krame meine Regenhose hervor, mache mich ohne Selbstmitleid auf den Weg und denke leicht nostalgisch an meine Kindheit und Jugend. `Damals´ und im Osten der Republik besaßen die meisten Familien nur ein Auto; in meinem Heimatort fuhren viele mit dem Rad. Bei schlechtem Wetter war das natürlich einigermaßen lästig; aber so denkt man nicht über etwas nach, was eben so ist. Dafür sparte man Geld, und auf den Straßen war deutlich weniger los – beides schöne Nebeneffekte eines Normalzustandes.

Heute wohne ich absichtlich und sehr gern in einer Stadt, in der ich alle Wege mit dem Rad erledigen kann. Das ist für mich Anlass zu großer Freude; Frust über schlechtes Wetter hat daher eine geringe Halbwertzeit. Viel bedauerlicher fände ich es, wäre ich für meine alltäglichen Wege auf das Auto angewiesen.

Momentan wärmt manchmal die Sonne schon, die Vögel zwitschern und es riecht nach Frühling. Wenn ich Feierabend habe, geht mir daher meistens ein Gedanke durch den Kopf: „Oh, ich bin mit dem Fahrrad da!“ 

Vorteile und Nachteile

Bei uns in der Nachbarschaft wurde eine Straße (bis dato 30er Zone) zur Fahrradstraße umgewidmet. Sie scheinen derzeit beliebt zu sein – bei Stadt- und Verkehrsplanern jedenfalls. Diese besonderen `für den Radverkehr vorgesehenen Straßen´ sollen die `Attraktivität des Radverkehrs steigern und Vorteile gegenüber dem Kraftfahrzeugverkehr schaffen´. 

Meine vorrangig mit dem Fahrrad fahrenden Kinder sind nicht ganz so begeistert und kennen die Nachteile von anderen Fahrradstraßen: Autofahrer nehmen nicht plötzlich mehr Rücksicht oder ordnen sich gar unter. Im Winter sind die üppig aufgetragenen Fahrbahnmarkierungen ohnehin nicht sichtbar, aber durch Schnee und Eis deutlich rutschiger als `normaler´ Asphalt. Fahrräder bringt das deutlich stärker ins Straucheln oder gar zu Fall als Autos.

Wahrscheinlich sind Stadt- und Verkehrsplaner grundsätzlich selten mit dem Fahrrad unterwegs – und schon gar nicht im Winter.

Richtige Ökos

Mein Sohn und ich fuhren mit dem Rad in die Stadt. Vorher hatte es mehrfache Anfragen seinerseits gegeben, ob wir nicht das Auto nehmen könnten. Da es sich um einen Weg von etwa fünf Kilometern handelt und es zudem nach einer Regenpause aussah, war meine Antwort klar. Also strampelten wir den einzigen Hügel hinauf, der unsere Wohnsiedlung von der Innenstadt trennt, böiger Wind von überall, links und rechts dunkle Wolken am Himmel (Aprilwetter im März eben) und mein Sohn meinte: „Das ist richtig gutes Wetter zum Autofahren.“

Interessanter Weise hat „gutes Wetter zum Autofahren“ keine eigenen Attribute wie Sonnenschein und strahlend blauer Himmel, sondern erklärt sich einzig und allein durch „ungemütlich zum Fahrradfahren“. Im Grunde ist also jedes Wetter „gut zum Autofahren“; denn „gutes Wetter zum Fahrradfahren“ wäre Sonne, warme Temperaturen (aber nicht zu warm) und kein Wind (außer bergauf, dann aber von hinten). Das Fenster ist eng: Es ist oft windig, es ist schnell zu warm, Sonne kann auch blenden und Autofahren ist einfach cooler.

Kurze Zeit später, es regnete noch nicht, ergänzte mein Sohn: „Ihr seid so richtige Ökos!“ Er meinte es nicht als Kompliment, und seine Öko-Kategorie hat eine sehr niedrige Eintrittsschwelle. Es reicht, normalerweise das Fahrrad zu nehmen, sich beim Einkaufen keine Plastiktüten geben zu lassen, keine Fertiggerichte zu kaufen und stattdessen selbst zu kochen, wenig Fleisch und viel saisonales Gemüse zu essen und insgesamt bedacht zu konsumieren. Vielleicht kommt es noch ganz gut, nicht in den Urlaub zu fliegen. Im Grunde reicht es, so zu leben, wie die meisten lebten, als wir nicht Eltern, sondern Kinder waren. Damals war „Ökos“ ein Status, der sich nur mit viel Hingabe und großer Konsequenz erreichen ließ. Ich bin gespannt, welche Zuordnung ich mir in weiteren 40 Jahren erarbeitet haben werde – ohne dass ich meine Lebensweise großartig ändern muss.

Altersmilde

Fahrradfahren ist toll. Seit ungefähr 30 Jahren – seit ich auch ein Auto nehmen könnte… „Nur Genießer fahren Fahrrad und sind immer schneller da“, das war lange mehr als mein Motto: Früher war ich nicht nur begeistert, sondern fast schon militant überzeugt, dass das Rad immer die bessere, umweltschonendere und glücklich-machendere Alternative zum Auto ist. Diese Phase meines Lebens scheint unwiederbringlich vorbei. Warum?

Zum einen: Autofahren ist echt praktisch – wenn ich es eilig habe, eine Menge transportieren muss, viele Menschen mitgenommen werden wollen und die Entfernung es gebietet. Das ist nicht gleich unökologisch, schlecht oder falsch. Kein Dogma. Was ich mir erlaube, kann ich anderen auch erlauben und in großer Gelassenheit trotzdem verantwortlich handeln.

Zum anderen: Die große Inspektion unseres Familienautos ist so teuer, da muss ich es doch auch bewegen! Soviel kann ich an Sprit gar nicht einsparen – auch wenn ich es bisher immer dachte.

Zum dritten: Es kommt nicht auf eine Autofahrt an, sondern auf mein ganzes Leben. Und normalerweise ziehe ich das Fahrrad dem Wagen noch immer vor. Bin ich aber gestresst oder nur aus Prinzip motiviert, ist motorisiert wohl besser – sonst werde ich unbarmherzig mit denjenigen, für die das Zweirad nicht die erste Wahl ist.

Sind das Ausreden, weil ich älter und bequemer werde, oder abgeklärte Erkenntnisse, weil ich älter und schlauer werde?