Ermutigend

Der junge Mann hinter mir in der Schlange hat nur ein Teil in der Hand: „Sie können gern vor“, biete ich ihm an. Er bedankt sich und legt seinen Lachs zwischen meine und die Einkäufe meines Vordermannes. Sein Rucksack und seine Hose sehen so aus, als hätte er keine Schutzbleche an seinem Rad. Dass ihn der Regen ja mächtig erwischt habe, sage ich deshalb. „Das ist das Ziel, bei dem Wetter macht eine Tour erst so richtig Spaß“, antwortet er lächelnd. 

Als ich nach draußen komme, steht der junge Mann neben seinem fast ebenso verdreckten Fahrrad; ich frage ihn nach `seiner Tour´. Es sei einfach ein guter Ausgleich, mit dem Rad quer durchs Gelände zu fahren, sagt er, nie unter 50 Kilometer. Mir gefällt sein Hobby besser, als vor irgendwelchen Geräten zu hocken – ihm offenbar auch: „Ich bin meinen Eltern auch dankbar dafür, wie sie mich diesbezüglich erzogen haben; ich durfte mir erst mit 16 ein Handy kaufen.“ Genau wie bei uns, denke ich und weiß: Gegenüber Zufallsbekanntschaften würden sich unsere Kinder ebenso positiv wie er über die digitale Zurückhaltung ihrer Eltern äußern.

Meine Story des Tages

In unserer Tageszeitung steht ein langer Artikel; er gefällt mir. Es geht darum, dass die beiden Vorreiter-Länder der digitalen Schule, Schweden und Dänemark, inzwischen längst zurückrudern und wieder auf Bücher und Papier setzen. Das freut mich sehr: auch, dass es bei uns in der Zeitung steht.

Was wurden und werden wir belächelt als die ewig Gestrigen – die Spaßbremsen! – weil wir unseren Kindern erst spät ein Handy erlaubt haben und Wert auf altmodisches Zeug legten und legen: Bücher lesen und eine ordentliche Handschrift zum Beispiel. Unsere Skepsis sei unpopulär und unvernünftig, hieß es immer wieder, die digitale Technik komme sowieso („später tippen sie alle“) und lasse sich nicht aufhalten. Als wäre das ein hinreichendes Argument dafür, das Unaufhaltsame dann auch noch gutzuheißen und jeden Trend kritiklos mitzumachen, anstatt sich selbst eine Meinung zu erlauben!

In dieser `story des Tages´ wird die Bewertung der nationalen Digitalisierungsstrategie in Schweden erwähnt. In ihr heißt es unter anderem: „Je mehr Computer es in den Schulen gibt und je öfter sie eingesetzt werden, desto schlechter.“ Der Bildungsminister Dänemarks hat sich sogar entschuldigt bei einer `Generation digitaler Versuchskaninchen´. Sicherlich gibt es andere Experten und Studien, die das Gegenteil behaupten. Diese müssen herhalten als Begründung für die digitale Aufrüstung an deutschen Schulen – weil wir ja `so hinterherhinken´ in dem Bereich.

Ich aber bewundere die ehrliche (und mutige) Kehrtwende der Skandinavier, die erkennen: „Wir brauchen eine gute Balance zwischen digitalen und analogen Medien.“ Sie ist mir lieber als die anhaltende Glorifizierung der Digitalisierung als DAS Allheilmittel für eine erfolgreiche Ausbildung unserer Kinder. Generationen vor uns waren nicht weniger schlau als wir, nur weil sie mit Buch, Stift und Papier zur Schule gingen. Auch ihretwegen tummelt sich so viel gesammeltes Wissen: ja, auch im Internet. Es lässt sich nicht vererben, sondern nur erwerben – und dafür müssen Menschen noch selber denken und sich Fähigkeiten aneignen, oft mühevoll.

Zeitgemäß digital

Die eine ist 66, die andere 71, sie sind Freundinnen. Die Jüngere erzählt mir, sie hätten kürzlich `miteinander Kaffee getrunken´. Das freut und wundert mich zugleich: Seit Anfang des Jahres wohnen beide Frauen hunderte Kilometer voneinander entfernt. Es funktioniert trotzdem – `irgendwie digital.´ Ob ich mit 66 Jahren so auf der Höhe der Zeit sein werde, bleibt abzuwarten … 

Was man darf und was man muss

Auch ohne Studie weiß ich, dass zu viel digitale Medien uns nicht nur gut tun. Ich habe Kinder und erlebe bei ihnen und mir selbst, welche Sogwirkung von Bildschirmen ausgeht – und wie sich das auf sie und mich und unser familiäres Miteinander auswirkt: Verringerte Konzentrationsspanne, ein gewisses Aggressionspotential und vor allem weniger Kompetenz in Konfliktlösungen.

Daher begrenzen wir die Zeit, die unsere Kinder „digital unterwegs“ sind. Aus Sicht unserer Kinder ist das ärgerlich. Abgesehen vom privaten Bereich sind Mobiltelefone und Computer willkommene Hilfsmittel für Schulaufgaben. Egal, was digital gemacht werden kann: Sie hätten gern mehr davon, als sie dürfen.

Momentan ist unseren Kindern die Nutzung digitaler Medien sozusagen vorgeschrieben – deutlich umfangreicher, als wir normalerweise erlauben. Interessanterweise gehen ihnen die Treffen und das Lernen „nur digital“ mittlerweile eher auf die Nerven. Stattdessen sehen sie sich nach analogem Unterricht und echten Begegnungen. Egal, was digital gemacht werden muss: Sie hätten gern weniger davon, als sie müssen.

Analog oder/und digital

Ich bin analog aufgewachsen. Briefe, Bücher, Telefone, Fotoapparate, Gespräche von Person zu Person… Im Laufe meines Erwachsenendaseins habe ich hier und da Digitales in mein Leben integriert – Mails, digitale Fotos, SMS, Youtube-Videos. Manches mache ich noch immer analog: Bücher lesen, grobe Richtungen im Atlas nachschlagen, telefonieren mit dem Festnetzanschluss, Menschen persönlich treffen. Ich bleibe ein analoger Mensch und integriere Digitales nach Bedarf, Praktikabilität und Bequemlichkeit.

Was die folgende Generation betrifft, frage ich mich, ob ihr auch (noch) diese Mischung gelingen wird – oder ob es ab jetzt nur noch „digital“ gibt und alles Analoge nostalgischen Charakter hat.

Kommunizieren – wie – mit wem – wieviel?

Eine der letztlich sinnlosen Diskussionen mit dem Zweitgeborenen geführt: Wieso ist Kommunizieren heute etwas, was meist digital und möglichst andauernd passiert? Wieso kann man sich nicht in der Schule sehen, verabschieden und dann am nächsten Tag wieder miteinander reden? Dazwischen könnte man den Nachmittag gelangweilt auf dem Sofa, im Garten, beim Sport oder mit Freunden verbringen und abends nach dem Abendbrot ungehetzt noch ein wenig in der Familie präsent sein. Ist ja genug Familie vorhanden.

Stattdessen gibt es gefühlt einen steten Zug raus aus der Gemeinschaft hin zum Rechner oder – bei ihm bald – Handy. Da könnte ja jemand online sein und warten. Das Kind: „Weil ihr unsere Medienzeiten so begrenzt, wollen wir sie immer komplett ausschöpfen.“ Die Eltern: „Weil wir nicht wollen, dass ihr nur noch am Rechner oder Handy hockt, beschränken wir die Medienzeiten.“ Das Kind: „Ihr solltet da lockerer werden.“ Die Eltern: „Die ganz medienfreien Tage sind die schönsten, da ist das Zusammensein hier viel entspannter, eure Präsenz klarer.“

Der Erfolg unserer Maßnahmen sind immer wieder anstrengende Diskussionen, die in zwei Sackgassen enden. Das Kind: „Wir kommunizieren heute anders, findet euch damit ab.“ Die Eltern: „Wir wollen euch gern erleben lassen, dass man nicht nur so wie heutzutage kommunizieren kann – und auch nicht andauernd muss.“

Der von uns angebotene Kompromiss, es – ergebnisoffen (!!!!) – mal ein paar Tage „ganz frei“ in Sachen digitale Medien zu handhaben und dann aber gegebenenfalls wieder Begrenzungen einzuführen, stößt nicht auf Begeisterung. Wie machen das andere Eltern? Wenn wir den Kindern glauben, haben die anderen Eltern sich ALLE komplett aus diesem Thema zurückgezogen. Sie bieten „freie Medienfahrt für freie Kinder“. Sollen/können/wollen wir das glauben? Gibt es etwas dazwischen?

Als ich letztens seufzend (und Verständnis heischend) erwähnte, Elternsein sei ein bisschen „learning by doing“, folgte prompt: „Mama, ihr seid aber noch sehr stark in der learning-Phase.“