Bescheiden oder stolz?

„Der Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an.“
1. Samuel 16, 7

In unserer Gemeinde hat fast jeder eine Aufgabe. Da sind zum Beispiel das Küchenteam, die Musiker und die Leute an der Technik. Einer hat das Geld im Blick, andere Mitarbeiter organisieren das Kinderprogramm, einige predigen. Wir alle halten regelmäßig das Gebäude in Schuss, zwei Handvoll kümmern sich betend um die innere Ordnung. Jeder trägt seinen Teil dazu bei, dass die Gemeinde lebt – äußerlich und innerlich. Dabei kommt uns die eine Aufgabe vielleicht bedeutsamer vor als die andere, aber Gott hat eine gänzlich andere Perspektive. Für ihn ist unsere Einstellung entscheidend als das, was wir tun: Ich kann mich fröhlich und bescheiden einbringen oder innerlich voller Stolz auf meinen Dienst sein. Der menschlich verständliche Gedanke `Ohne mich läuft hier nichts!´ ist nicht nur falsch, sondern auch vollkommen kontraproduktiv. Denn letztlich schadet er der Gemeinde (innerlich) mehr, als mein Tun ihr (äußerlich) nützt. Denn: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“ (Matthäus 16, 26) Das gilt für den Predigtdienst, der viele inspiriert, ebenso wie für die sehr vergängliche Tätigkeit des Putzens, die niemand sieht.

Bescheiden und selbstsicher

Je älter ich werde, desto vorsichtiger formuliere ich – obwohl ich zum Teil feste Überzeugungen habe. Es geht mir nicht hauptsächlich darum, nicht anzuecken. Aber ich ahne, dass es selten nur eine Tatsache gibt, nur eine Perspektive, nur eine Variante von „richtig“. Wenn mir Menschen begegnen, die jung und sehr überzeugt von sich und ihrer Meinung sind, frage ich mich: Ist diese Selbstsicherheit alters- oder typabhängig?

Ein wenig bewundere ich diejenigen, die nichts zu erschüttern scheint, die nie „Ich weiß es nicht“ sagen und immer eine Antwort oder Lösung haben. Noch beeindruckender sind für mich bescheidene Menschen: Wer eigene Fehler weder sieht noch benennt (und sich erst recht nicht entschuldigt), mag stark und fähig wirken. Wahre Größe zeigt der Mensch, der mit seinem Können nicht protzt und sich seiner Unwissenheit nicht schämt.

„Bescheidenheit ist eine Zier“, denke ich. „Doch weiter kommt man ohne ihr“, mag ebenso stimmen – nur nicht dahingehend, von anderen Menschen geachtet, wertgeschätzt und ernst genommen zu werden.

Kräftemessen

Zwei zehnjährige Jungen spielen im Garten, spielen Fußball, tauchen im Pool ab und wieder auf – und laufen um die Wette: „Du bist bestimmt schneller, ich kann nicht so schnell rennen“, sagt mein Sohn. Häh? Abgesehen davon, dass er den anderen Jungen nicht gut kennt: Mein Sohn weiß, dass er selbst sehr flink ist. Er hat das schon oft erlebt, wir haben es schon häufig bestätigt. Warum sagt er das? Möchte er bescheiden oder freundlich sein oder den Konkurrenten in Sicherheit wiegen? Ich weiß es nicht.

Sie laufen um die Wette, mein Sohn gewinnt (knapp). Glücklicherweise kostet er den Sieg nicht lautstark aus. Anschließend spielen sie fröhlich weiter zusammen. Jungen brauchen den Wettbewerb…