Ich bin mit dem Rad in der Stadt unterwegs. Es ist abends und bewölkt – und also sehr dunkel. An einer Hauptstraße komme ich nicht weiter: Von rechts und links kommen Autos, immer schön abwechselnd; es scheint unmöglich zu sein, eine geeignete Lücke im Verkehr zu finden. Da kommt ein Auto von rechts, wird immer langsamer und bleibt schließlich stehen – und all die anderen hinter ihm auch. Hier schenkt mir einer eine Lücke, ich schlüpfe hindurch. Zwar sehe ich den freundlichen Fahrer nicht, aber spontan werfe ich ihm (oder ihr) trotzdem eine Kusshand zu. Den Rest des Weges lächle ich und freue mich über meinen anonymen Helfer.
In der Stadt
Eines Morgens verbringe ich drei Stunden in der Landeshauptstadt: Ich warte auf einen Frisch-Operierten und bin selbst ohne Beschäftigung. Die Fassaden wirken auf mich hässlich und grau, irgendwie abgegrabbelt und `nicht schön´. Einige Zeit sitze ich in einem Bäckerei-Café und beobachte, wie der Straßenzug vor mir langsam aufwacht: Müll-Autos, Lieferdienste, eilige Radfahrer, zunehmend auch Fußgänger, gelegentlich ein Bus. Immer mehr Menschen sind auf den zunächst leeren Bürgersteigen unterwegs und beleben die triste Umgebung.
Zwischendrin regnet es – dennoch trägt kaum jemand eine Regenjacke. Unter ausgefahrenen Markisen und überstehenden Dächern, im Schatten der Häuser wird man nicht so leicht nass wie bei mir zu Hause in meinem ländlichen Kleinstadt-Viertel. Die Leute, die ich sehe, sind sehr unterschiedlich. Diese Vielfalt ist inspirierend und irritierend gleichermaßen. Sind Menschen hier einzigartiger als in der Provinz oder zeigen sie nur mutiger ihren individuellen Stil? Es scheint alles erlaubt; dennoch komme ich mir verloren vor: Die Menge der einzigartigen Individualisten wirkt anonym.
Nicht so in `meinem´ Café; ich identifiziere einige Stammgäste. In der Stadt geht beides – in der Masse untergehen und sich in seinem Kiez zugehörig fühlen. Trotzdem möchte ich nicht hier wohnen: Mein Zuhause ist eher der ländliche Raum.