Der Schrecken um Corona 

Das Corona-Virus beherrscht seit zwei Jahren die Welt, die Nachrichten und das politische Handeln. Nur sehr langsam `verlässt es´ die große Bühne. Ebenso hat es sich ausgebreitet im persönlichen Denken, war dominierendes Thema in fast jeder Diskussion – und polarisiert noch immer wie kaum etwas anderes. Zwei Jahre sind lang: Man könnte meinen, es sei genug. Es gibt andere und wichtigere Themen als ein Virus, das die Atemwege befällt. Ein Freund von mir entschied sich daher, `nicht mehr darüber nachzusinnen´, wie er mir in einer Mail schrieb.

Ich versuche, seinem Rat zu folgen, aber es fällt mir schwer. Denn: In meinem Bekanntenkreis sind Menschen, die noch immer sehr verängstigt sind und eine Gefahr in jeder Begegnung sehen. Das erschreckt mich und erschwert das unkomplizierte Miteinander. Andere hielten sich in der Vergangenheit nur deswegen an alle Vorgaben, um abends essen gehen zu können. Diese Kritiklosigkeit erschreckt mich ehrlich gesagt auch. Dass Masken im täglichen Leben für manche fast `normal´ geworden sind, erschreckt mich ebenso wie das mit Corona verbundene Schubladen-Denken: Wer Maßnahmen hinterfragt, gilt schnell als undemokratischer Leugner oder unsolidarischer Gegner.

Die einen schreckt das Virus, mich schrecken die gesellschaftlichen Folgen des Umgangs damit. Jesus sagt: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ (Johannes 14, 27) Wo auch immer wir uns hinsichtlich Corona positionieren: Wir tun besser daran, uns nicht durch die Umstände ablenken zu lassen von dem, was uns eigentlich beherrschen sollte: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ (Johannes 16, 33)

Ich möchte gern zu denjenigen gehören, die es schaffen, so weiterzuleben, als spiele das Virus (oder andere widrige Umstände) in ihrem Leben nicht die Hauptrolle. Sie kommen am besten durch diese Zeiten – von denen wir nicht wissen, wie lange sie andauern werden.

Regen-Tropfen

Vor ein paar Tagen hatte es nach wochenlanger Trockenheit nachts geregnet; morgens sah mein Garten schön frisch und grün aus. Spontan freute ich mich – auch für die Bauern. Einige Stunden später erzählte mir meine Freundin, dass ihr Mann (ein Bauer) morgens vor lauter Frust im Bett geblieben war. Zumindest vorerst. Der Regenmesser zeigte zwei Millimeter; darüber kann sich höchstens eine Gartenbesitzerin freuen: Für einen Bauer mit 120 Hektar Land sind zwei Millimeter nur ein sprichwörtlicher Tropfen auf den trockenen Acker.

Perspektive

Im Zimmer meines Sohnes finde ich in den Schubladen sieben bis zehn Tüten – sortiert nach süß (und leer) beziehungsweise salzig (und angebrochen). Ich bin mindestens erstaunt, wenn nicht ein bisschen frustriert, wie viel Junk-Food er sich nebenbei gönnt. Eine Freundin, der ich davon erzähle, ist mindestens ebenso erstaunt, wenn nicht sogar ein bisschen begeistert: „Der hat System da drin, wie süß!“ So könnte ich auch reagieren, denke ich. Mal wieder ist alles eine Frage der Perspektive.

Kühe ohne Stress

Ich treffe eine Bekannte, die mit dem Rad zur Arbeit fährt – durch die Wiesen und Felder. Wir gehen ein Stück gemeinsam. Sie erzählt mir, wie gut ihr morgens diese halbe Stunde auf dem Rad tue: „Da hinten stehen Kühe auf der Weide, da halte ich manchmal an“, sagt sie. „Die holen mich runter, wenn ich Stress habe, die stehen da einfach.“ Letztes Jahr habe sie die Kühe sogar fotografiert und das Foto dann gerahmt. Sie hätte es dem Bauern gern gegeben mit ein paar Pralinen, erzählt sie. „Die machen sich solche Arbeit, die Bauern, damit die Tiere es gut haben – und ihr Anblick ist dann auch noch eine Wohltat für mich.“ Weil sie aber nicht weiß, welchem Bauern die Kühe gehören, steht das Foto jetzt bei ihr zu Hause – und erinnert sie daran, dass Stress nichts bringt.

Glück

„Es gibt kaum ein beglückenderes Gefühl, als zu spüren, dass man für andere Menschen etwas sein kann.“
Dietrich Bonhoeffer

Vor einer Arztpraxis treffe ich eine Frau, zu der ich nur selten und wenig Kontakt habe. Wir fragen uns gegenseitig, wie es uns geht: Sie antwortet erstaunlich ehrlich. Ihre Familie ist – auch durch zwei Jahre Pandemie – noch mehr zerbrochen als zuvor, sie lebt jetzt allein und kämpft sich durch ihren Alltag. Ich spüre eine große Traurigkeit bei ihr und frage, ob ich sie spontan umarmen und für sie beten darf. Sie nickt, und ich bete darum, dass Gott sie tröstet und sie ihn als Vater erlebt, der für sie sorgt. Hinterher weint und lächelt sie zugleich und bedankt sich: „Wie schön, dass wir uns heute hier getroffen haben!“ Wir fahren beide beglückt nach Hause.

Komplex

„Wer sich vegan ernährt, tut automatisch etwas für das Klima“, lese ich in der Zeitung. „Das stimmt doch gar nicht!“, will ich rufen, denn so einfach ist es nicht. Wo kommen die Sojaprodukte denn her, die Veganer unter anderem anstelle von tierischen Lebensmitteln zu sich nehmen?

Diese Welt ist komplex; wir haben es höchst selten mit einfachen und klaren Ursache-Wirkung-Mechanismen zu tun. `Automatisch´ passiert herzlich wenig. Das merken wir doch spätestens, wenn uns gerade die Menschen so richtig wütend machen, die wir am meisten lieben. Wer in dieser so komplexen Welt an einfache Wenn-Dann-Antworten glaubt, ist entweder ignorant, sehr voreingenommen oder … – ich mag es gar nicht aussprechen.

Passt mir!

Eine meiner Freundinnen ist immer passend angezogen ist und kauft häufig neue Klamotten. Ich dagegen übernehme gern gebrauchte Kleidung und trage diese dann lange weiter. Manchmal bin ich bis auf die Unterwäsche in `geerbt´ unterwegs – und immer passend angezogen.

Momentaufnahme

Viele der Briefe, die mir etwas bedeuten, hebe ich auf. Es fällt mir schwer, etwas wegzuwerfen, womit sich jemand anderes solche Mühe gegeben hat. Dabei lese ich sie nur sehr selten noch einmal und werde dann nicht mehr gleichermaßen berührt von ihrem Inhalt. Wahrscheinlich lassen sich die Momente nicht nacherleben, für die die Briefe geschrieben waren: Persönliche Worte sprechen oft genau hinein in eine bestimmte Lebenssituation – und passen nur zu dieser. Im Augenblick entfalten sie eine besondere Kraft, die im Nachhinein kaum noch zu spüren ist.

Von daher müsste ich Briefe nicht aufheben; sie haben ihre Aufgabe erfüllt, mehr kann ich von ihnen nicht erwarten. Ich tue es trotzdem – zumindest bis zu meinem nächsten Umzug :-).

Kein Automatismus

Ein promovierter Mediziner ist nicht automatisch ein guter Arzt.
Ein Pädagoge kann nicht automatisch gut unterrichten.
Ein studierter Jurist fällt nicht automatisch weise Urteile.
Ein Germanist ist nicht automatisch ein qualifizierter Redner.
Ein brillanter Theologe ist nicht automatisch ein zugewandter Pastor.
Ein begnadeter Fußballer spielt nicht automatisch mannschaftsdienlich.

Bloßes Wissen ist nicht alles; für das wirkliche Leben muss es sich erst in der Praxis bewähren. Zusätzlich zu einem Titel braucht es gesunden Menschenverstand, Gelassenheit, Mut zur Lücke, Erfahrung, Empathie – und eine Portion Demut.

Weglächeln

Meine Freundin ist sehr belastbar: Was sie an Arbeit schafft, bringt mich immer wieder zum Staunen. Weil sie liebt, was sie tun muss, geht sie mit Schwung von einer Aufgabe zur nächsten – als würde sie die Anforderungen gar nicht in Gänze wahrnehmen, sondern weg-lächeln. Mir geht es mit meinem Alltag ähnlich; allerdings habe ich in der Summe deutlich weniger `an der Hacke´ als diese Bäuerin. Wenn wir uns treffen, genieße ich die positive Energie, die von ihr ausgeht. 

Heute Morgen war alles anders. Meine Freundin lächelte nicht und bewegte sich langsam. Vielleicht hatte sie zu wenig geschlafen, vielleicht wird sie krank. Ihre Aussicht auf den heutigen Tag klang dementsprechend eher nach `muss ja´. Auch das kenne ich: Wenn man normalerweise ein großes Pensum schafft, schlägt eine gewisse Antriebsschwäche umso stärker ins Kontor: Plötzlich entpuppt sich die Fülle der Arbeit als die Herausforderung, die sie ist – und jedes Extra als Last. Mir ist an solchen Tagen manchmal sogar das Kochen zu viel; bei meiner Freundin sind es andere Dinge: Heute ließ sich die Euter-Entzündung einer Kuh nicht einfach so weg-lächeln.