Patentfrei

Menschliche Erfindungen sind beeindruckend: die Glühlampe zum Beispiel, freitragende Brücken oder Hallendächer, Flugzeuge, Echolote zur Ortung, Metallfasern, mehrere hundert Meter hohe Gebäude, Musikinstrumente … Wer heutzutage etwas Neues erfindet, meldet oft (aus verständlichem finanziellen Interesse) Urheberrechte an: Patente.

Manche der menschlichen Erfindungen sind inspiriert – von beeindruckenden Dinge um uns herum: Eier, Bienenwaben, Spinnennetze, Krabben, Facettenaugen bei Fliegen, Libellenflügel, die Lautbildung bei Walen, Grillen oder Vögeln, Sukkulente, Korallen, Glühwürmchen, Echo-Ortung, bei Fledermäusen, die unfassbar geniale Statik eines Roggenhalmes – fest, schlank und sehr flexibel … All das ist im Übermaß vorhanden: von uns manchmal kaum wahrgenommen oder für selbstverständlich befunden. Ich weiß nicht, auf welche der beeindruckenden menschlichen Erfindungen wir von ganz allein gekommen wären – ohne all die patentfreien Vorbilder aus der Schöpfung.

Wenn eh alles egal ist … 

Ich lese, dass sich die (fristlos entlassene) ehemalige Intendantin des RBB, Patricia Schlesinger, eine monatliche Betriebsrente erstreiten möchte: mehr als 18.000 Euro.

`Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert´, denke ich.

Im Sturm!

In der Bibel (zum Beispiel in Matthäus 8, 23ff) steht eine Geschichte, in der Jesus mit dem Boot unterwegs ist und ein Sturm aufzieht: „Er aber schlief.“ Die Jünger, die bei ihm sind, haben Todesangst und wecken ihn. Jesus fragt sie, warum sie so `furchtsam sind´, und bedroht den Wind und das Meer: „Da wurde es ganz stille.“

Diese Geschichte wird vor allem angeführt, wenn jemand sich angesichts von Schwierigkeiten verrückt macht und alles selbst regeln will. Jesus hatte in einem `gewaltigen Sturm´ die Ruhe weg, heißt es dann, er sollte uns ein Beispiel sein.

Einerseits beneiden wir Jesus um seine Fähigkeit, mitten im Sturm zu schlafen. Andererseits sind die meisten von uns auch stolze Macher – und bewusst angespannt: Wir geben nur schwer das Ruder aus der Hand, überlassen nur selten einem anderen die wichtigen Entscheidungen und lassen nur sehr zögerlich unsere Sicherheiten los. Stattdessen fällt es uns leichter, selbst etwas zu tun, nach unseren Vorstellungen einzugreifen und mit eigener Kraft etwas zu bewegen. Wir können uns eben nur schwer zurücklehnen und vertrauen, dass es auch ohne uns wunderbar läuft. Würden wir uns selbst weniger wichtig nehmen, wäre Schlaf eine wunderbare Alternative – sogar mitten im Sturm!

Vom Bergsteigen – und vom Leben

Während einer Everest-Expedition 1996 starben mehr als zehn Menschen. Einer, der überlebte, Jon Krakauer, beschreibt die genauen Umstände dieser Expedition in seinem Buch `Into Thin Air´. Seine Schilderung ist lesenswert – und erschütternd. Dass damals so viele Menschen starben, hat viele komplex miteinander verbunden Ursachen. Im Nachhinein lassen diese sich leicht benennen; währenddessen war das schwieriger. Einer der vielen unglückseligen Umstände hat sich mir besonders eingeprägt: Es existiert eine festgelegte Umkehrzeit während der letzten Etappe zum Gipfel. Der Abstieg ist ebenso anstrengend und fast so langwierig wie der Aufstieg. Deshalb ist es unbedingt nötig, spätestens zu einer bestimmten Uhrzeit umzukehren, um heil wieder vom Berg zu kommen. Soweit, so klar.

Schwierig wird es, wenn die Kletterer sich kurz vor dem Ziel wähnen – und viel Geld für dieses Abenteuer bezahlt und bis dahin große Strapazen auf sich genommen haben. Wer will schon wegen einer halben Stunde nicht auf dem Dach der Welt stehen können? Oder wegen einer ganzen Stunde, oder zwei? Was sind drei Stunden im Vergleich zur Gesamtdauer des Unterfangens, den höchsten Berg der Erde zu bezwingen? Wer `kurz vor dem Gipfel´ steht, ist seit etwa vier Wochen dabei, auf- und wieder abzusteigen, um sich an die lebensfeindliche Umgebung zu gewöhnen. Und dennoch: Genau das Einhalten dieser Umkehrzeit hätte einigen damals vielleicht das Leben gerettet.

Manchmal ist nicht das erreichte Ziel die größte Errungenschaft – sondern der Mut, sich einzugestehen, dass man überfordert ist und umkehren sollte. Ziele sind gut, durchhalten ist gut, manchmal über die eigene Grenze gehen ist gut – aber nicht um jeden Preis!

Künstlich oder echt?

Künstliche Intelligenz (KI) meint die Automatisierung intelligenten menschlichen Verhaltens: Das heißt, hochentwickelte Technik soll letztlich Entscheidungen treffen, die ein Mensch auch so treffen würde.

Ein Beispiel für KI ist ChatGPT: ein textbasiertes Dialogsystem. ChatGPT erzeugt intelligente Aussagen oder Dialoge, die auch von einem Menschen stammen könnten. Angewendet wird das (bisher vor allem) für Facharbeiten oder Vorträge zu bestimmten Themen. Natürlich recherchiert die KI dafür deutlich umfangreicher im Netz, als ein Mensch es täte. Formulierungen von ChatGPT sind geschmeidig und eloquent, wahrscheinlich frei von Rechtschreibfehlern. Vielleicht kann man vorher sogar einen bestimmten Stil festlegen. Und wahrscheinlich lässt sich dann nicht ohne weiteres feststellen, ob ein Text von einem Menschen geschrieben wurde oder nicht – ein nicht unerhebliches Problem für Hausarbeiten jeglicher Art.

Trotzdem frage ich mich, welcher Sinn dahinter steckt? Wieso sollte ich Vorträge oder Reden halten wollen, die letztlich von einer Maschine stammen? Was bringt mir oder meinen Lesern eine Facharbeit oder Ausarbeitung, die ein exzellent programmiertes Dialogsystem erstellt hat? Wieso ist es so toll, dass keine Person sich Gedanken und Mühe macht, ein Problem zu durchdringen und zu präsentieren? Wem nutzt es, wenn es immer weniger um den Menschen geht und immer mehr um Technik?

Ich verstehe als Autor einer wissenschaftlichen Arbeit mehr vom Thema, wenn ich mich selbst damit auseinandergesetzt habe.
Meinen Zuhörern oder Lesern gegenüber wäre es mir peinlich, ich würde nur so tun, als hätte ich mein Wissen selbst erarbeitet.
Und die Zuhörer (oder Leser) selbst könnten genauso gut ein Buch lesen, anstelle mir zuzuhören. Das lebendige Miteinander zwischen Redner und Zuhörern wird durch KI zu etwas Konstruiertem, etwas Künstlichem: nicht echt.

Anders wäre es, wenn eine Maschine sich selbst ein Thema suchen und seine Rede selbst halten könnte. Das wäre zwar auch künstlich, aber darin echt. Glücklicherweise sind wir noch nicht so weit: Noch ersetzt die künstliche Intelligenz den Menschen nicht vollständig – wie schön.

Mein Vermächtnis

Es sind manche bedeutungsvollen Worte erhalten, die Menschen auf dem Sterbebett gesagt haben (sollen), ihr Vermächtnis sozusagen. Auf die Frage, was meine letzten Worte wären, habe ich eine klare Antwort: Ich weiß es nicht. Ich bemühe mich, andere zu ermutigen und zu unterstützen, sie voranzubringen und ihnen gut zu tun. Ob es auch geschieht, liegt nicht wirklich in meiner Hand – in gewisser Weise kann ich nur darauf hoffen.

Was mir wichtig wäre, kann ich nicht in einem Satz zusammenfassen. Selbst wenn ich angestrengt darüber nachdenke, fällt mir wahrscheinlich eine Menge ein – und nicht die eine Botschaft: Meine wichtigsten Überzeugungen durchzucken mich, wenn man so will, eher `nebenbei´ und lassen sich hoffentlich an meinem Leben selbst ablesen. Das wiederum beobachten und erleben meine Mitmenschen objektiver und ehrlicher als ich selbst. Was diejenigen morgen über mich sagen, die heute mit mir zu tun haben: Das ist mein Vermächtnis. Damit muss und kann ich gut leben – währenddessen bemühe ich mich einfach weiter.

Wie wir sagen, was wir sagen

Mit fortschreitendem Alter stelle ich fest, dass ich zwar freundlicher, aber auch ehrlicher werde: Ich bemühe mich mehr als früher, barmherziger mit den Eigenheiten meiner Mitmenschen umzugehen. Andererseits weigere ich mich immer öfter, um des lieben Friedens willen den Mund zu halten. Meine respektvollen Bemerkungen sind daher manchmal gepaart mit einer Offenheit, die ich meinem Gegenüber früher nicht so zugemutet hätte. Ich hoffe, ich treffe dabei trotzdem meist den richtigen Ton – auch wenn dieser nicht immer harmonisch klingt.

Interessant: Inhalt oder Form?

Ich mag Biografien, weil sie mich staunen lassen und inspirieren und ich vielleicht sogar etwas lernen kann: womit andere kämpfen, woran sie zweifeln und wie sie trotzdem weitermachen. Das spricht mich an, damit kann ich mich identifizieren.

Auf der Suche nach einer guten Biografie stoße ich auf lauter Berühmtheiten: im Sport vor allem aus dem Fußball, aber auch Sänger, Köche, Politiker, Autoren, Maler, Widerstandskämpfer, Theologen … Manche sind schon tot, andere quicklebendig, einige noch sehr jung. Die beschriebenen Menschen sind völlig verschieden; aber fast alle sind sehr bekannt. Einige von ihnen haben sogar selbst eine Autobiografie verfasst – obwohl sie vielleicht zwar (zum Beispiel) hervorragend Fußball spielen, aber nicht unbedingt interessant schreiben können. Auf jeden Fall scheint vor allem bei bekannten Menschen der Drang zu bestehen, ihre Erfahrungen der Welt zugänglich zu machen.

Otto Normalverbraucher käme wahrscheinlich nicht auf die Idee, sich an seine Autobiografie zu setzen – selbst wenn er interessant schreiben könnte. Ihm fehlt das Sendungsbewusstsein, er hält sich (verglichen mit einem Star) für zu wenig besonders. Dabei beweist vielleicht gerade Otto Normalverbraucher bewundernswertes Stehvermögen, wächst bisweilen über sich hinaus oder ist einfach nur absolut zufrieden – trotz schwieriger Umstände. 

Denn jedes Leben ist auf seine Weise besonders, das meiner Oma zum Beispiel: Sie war nicht berühmt, sondern eine bescheidene Frau des vergangenen Jahrhunderts. Sie hatte vier Kinder geboren, musste wegen des Krieges mit ihnen fliehen und wurde früh Witwe. Obwohl sie sicherlich seelisch und körperlich zu kämpfen hatte und manchmal zweifelte, machte sie weiter – klaglos und nimmermüde. Darin gleicht sie sehr vielen deutschen Frauen ihrer Generation und ist doch ein beeindruckendes Beispiel menschlicher Stärke. Meine Oma hielt sich selbst für vollkommen normal und überhaupt nicht besonders; ein begabter Autor könnte aber sicher eine lesenswerte Biografie über ihr Leben schreiben.

Wahrscheinlich wird niemand ein Buch über das Leben von Otto Normalverbraucher (oder meine Oma) herausbringen. Wäre es interessant geschrieben und würde mich staunen lassen, inspirieren und vielleicht sogar etwas lehren: Ich würde es lesen!

Entspannte Disziplinlosigkeit

Als noch alle fünf Kinder zu Hause wohnten, lief (unter anderem) täglich die Waschmaschine. Entsprechend musste ich täglich nasse Wäsche aufhängen und bereits trockene abnehmen, zusammenlegen und in die jeweiligen Zimmer räumen. Der stete Nachschub zwang mich zu andauernder Disziplin.

Momentan wohnen nur drei Kinder zu Hause; ich wasche nicht mehr täglich. Entsprechend lasse ich die Wäsche manchmal länger hängen als nötig – spätestens bis ein Kind irgendein beliebtes Kleidungsstück sucht. Das geringere Wäsche-Aufkommen verleitet mich zu einer gewissen Nachlässigkeit, mein Mann würde sagen: Entspanntheit. Auch meine Bügelfreude ist regelmäßig davon betroffen, selten sogar mein Einsatz, die Lebensmittel-Vorräte aufzufüllen.

In absehbarer Zeit zieht das nächste Kind aus und dann wieder das nächste. Die Familie darf gespannt sein, wie sich das in den Kleiderschränken widerspiegeln wird – oder auch im Kühlschrank.

Zwischen Mit- und Schuldgefühl

Eine meiner Töchter macht ein Praktikum; sie fährt daher jeden Tag 14 Kilometer mit dem Rad.

Einerseits: Es ist klirrend kalt; sie wird einen festsitzenden Husten nicht los; das Praktikum ist vor allem langweilig und dadurch anstrengend; ihr neues gebrauchtes Fahrrad hat (noch) einen unpassenden Sattel und dadurch einen ungünstigen Winkel für ihre Körpergröße.

Andererseits: Die Luft ist klirrend kalt und klar, der Himmel ein wunderbares Spektakel der aufgehenden Sonne; durch das Praktikum merkt sie, was sie nicht machen will; unser Flachland ist optimal fürs Radfahren; weil ich sie nicht mit dem Auto bringe, bewegt sie sich (und ich spare insgesamt 28 Kilometer und eine Stunde mit dem Auto im Stadtverkehr).

Jeden Morgen ist meine Tochter angesichts der vor ihr liegenden Fahrt schlecht gelaunt; jeden Morgen empfinde ich deswegen – irgendetwas zwischen Mit- und Schuldgefühl: SIE kann sich an der klaren Luft nicht so erfreuen wie ich; außerdem bleibe ICH in der warmen Küche sitzen, wenn sie sich auf den Weg macht.

Dass ihr das Praktikum keinen großen Spaß macht, dass das Rad (noch) nicht optimal eingestellt ist, dass sie der klaren Luft nichts abgewinnen kann, dass ihr Husten davon nicht besser wird: Es ist alles nicht meine Schuld, und dennoch habe ich nicht nur Mitleid, sondern auch ein kleines schlechtes Gewissens. Ich weiß nicht, warum. Mein Trost: Einerseits würde ich ihr gönnen, dass das Gesamtpaket Praktikum für sie leichter und angenehmer wäre. Andererseits weiß ich, dass es eine wunderbare Schule ist, sich in suboptimalen Umständen zu bewähren und dabei zu merken: Ich schaffe das!