Vom Bergsteigen – und vom Leben

Während einer Everest-Expedition 1996 starben mehr als zehn Menschen. Einer, der überlebte, Jon Krakauer, beschreibt die genauen Umstände dieser Expedition in seinem Buch `Into Thin Air´. Seine Schilderung ist lesenswert – und erschütternd. Dass damals so viele Menschen starben, hat viele komplex miteinander verbunden Ursachen. Im Nachhinein lassen diese sich leicht benennen; währenddessen war das schwieriger. Einer der vielen unglückseligen Umstände hat sich mir besonders eingeprägt: Es existiert eine festgelegte Umkehrzeit während der letzten Etappe zum Gipfel. Der Abstieg ist ebenso anstrengend und fast so langwierig wie der Aufstieg. Deshalb ist es unbedingt nötig, spätestens zu einer bestimmten Uhrzeit umzukehren, um heil wieder vom Berg zu kommen. Soweit, so klar.

Schwierig wird es, wenn die Kletterer sich kurz vor dem Ziel wähnen – und viel Geld für dieses Abenteuer bezahlt und bis dahin große Strapazen auf sich genommen haben. Wer will schon wegen einer halben Stunde nicht auf dem Dach der Welt stehen können? Oder wegen einer ganzen Stunde, oder zwei? Was sind drei Stunden im Vergleich zur Gesamtdauer des Unterfangens, den höchsten Berg der Erde zu bezwingen? Wer `kurz vor dem Gipfel´ steht, ist seit etwa vier Wochen dabei, auf- und wieder abzusteigen, um sich an die lebensfeindliche Umgebung zu gewöhnen. Und dennoch: Genau das Einhalten dieser Umkehrzeit hätte einigen damals vielleicht das Leben gerettet.

Manchmal ist nicht das erreichte Ziel die größte Errungenschaft – sondern der Mut, sich einzugestehen, dass man überfordert ist und umkehren sollte. Ziele sind gut, durchhalten ist gut, manchmal über die eigene Grenze gehen ist gut – aber nicht um jeden Preis!

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