Das letzte Kind

„Das letzte Kind hat Fell“, sagt ein Bekannter, während mich sein `Nachwuchs´ umschleicht, freundlich begrüßt – und offensichtlich gekrault werden will. Er ist total süß (natürlich) und schon ziemlich groß: eine Mischung aus Schäferhund und Husky.

Ich überlege einen Moment und bin dann GANZ sicher: Mein letztes Kind schleicht manchmal durchs Haus und begrüßt Gäste freundlich und mit Handschlag. Er ist total süß (natürlich) und schon ziemlich groß – ein Teenager eben. Nur, Fell, das hat er nicht.

Gewürze, Bananen und die Freiheit

Unser Mittagessen ist würzig und sehr scharf. Mein Sohn fragt sich, wie das Essen früher schmeckte, als die Menschen keine Zutaten aus aller Welt verwenden konnten. „Eintöniger vielleicht“, sagt mein Mann, „das betrifft ja nicht nur Gewürze: Martin Luther hat wahrscheinlich in seinem ganzen Leben nie eine Banane gesehen.“ Damals kamen die Leute normalerweise kaum raus aus ihrem Geburts-Umfeld – ich schätze, ohne sich beengt zu fühlen. In der DDR dagegen ging der Mangel an Bananen (unter anderem) einher mit einer Behinderung der persönlichen Freiheit.

Heute und hier im Westen gehören Bananen (und Cayenne-Pfeffer) zum Standard; außerdem ist unser Radius größer. Aber noch immer reicht uns meistens unsere Scholle. Wir müssen nicht `in der Welt zu Hause sein´ oder außergewöhnliche Gewürze besitzen, um uns frei zu fühlen. Es reicht, dass wir es tun könnten.

In anderen Ländern wiederum, zum Beispiel in Nordkorea, fühlen Menschen sich unfrei, weil sie eingesperrt sind. Auch eine mit Cayenne-Pfeffer verfeinerte Banane kann nichts daran ändern.

Verschieden

„Das sind zwei verschiedene Sachen, über die wir reden“, sagt mein Mann. Wenn wir zum Beispiel streiten, vermische ich gern zwei Dinge: die Meinungsverschiedenheit selbst und unseren bisweilen sehr unterschiedlichen Umgang damit. Ich werde emotional; mein Mann dagegen bleibt (stur) bei der Sache – und bringt mich damit vollkommen unabsichtlich zusätzlich in Rage.

Einzige Lösung: Ich bemühe mich um mehr Sachlichkeit, mein Mann um mehr Empathie – im Eifer des Gefechts mit mäßigem Erfolg. Alte Muster sind schwer zu durchbrechen, aber wir arbeiten daran.

Wundersam

Wir bekommen ein echtes englisches Frühstück, a proper English breakfast, mit allem, was dazu gehört: Grapefruit, Speck, Würstchen, Spiegeleier, gebackene Bohnen, Pilze, Tomaten, Toast … Zu Hause käme das meiste davon nicht auf unseren Frühstückstisch – hier macht es den Samstagmorgen besonders und den England-Urlaub vollständig. Es ist wundersam, was man außer Landes alles probiert und schätzt, vielleicht sogar mag.

Ein Airbnb in England

In jeder Ecke ein Möbelstück und an jeder Wand ein Gemälde, keine noch so kleine Ablage ohne Deko, auf dem schmalen Doppelbett zahlreiche Kissen, im Schrank kaum freier Platz, auf dem Fußboden nicht nur ein einziger Teppich: Es fühlt sich ein bisschen so an, als wäre in diesen Räumen kein Raum für uns …, aber die Gastgeber sind herzlich, unkompliziert und kommunikativ. Wir leben aus dem Koffer und freuen uns über das sonnige Wetter und die wunderbare Sprache, in die wir eintauchen können. Vor uns liegt eine interessante Woche.

Andere Länder, andere Sitten

Auf der Autobahn in Deutschland dient die linke Spur als Überholspur für alle, die deutlich schneller als der Rest fahren wollen. Letztere merken das und bleiben meist rechts, aber nicht immer: Zum Überholen scheren sie nach links aus – und tun dies in der Regel zügig. Viele rasen, einige schleichen, der Rest wechselt immer wieder hin und her: Eine gewisse Hektik ist auf deutschen Autobahnen immer mit dabei.

Wir kennen es aus Dänemark, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen das Fahren entspannt. Keiner rast, keiner schleicht: Alles läuft gleichmäßig und weniger hektisch; wir passen uns gern an.

Das ist nicht überall so, denn in unseren westlichen Nachbarländern läuft es beziehungsweise fährt man anders: Der Verkehr bewegt sich parallel auf den vorhandenen Spuren; die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 120 bis 130 Stundenkilometern wird von kaum einem Einheimischen tatsächlich erreicht. Die ganz linke Spur dient als Fahrspur für alle, die ebenso schnell oder minimal schneller als der Rest unterwegs sind. Überholvorgänge dauern sehr lange

Dieses Prinzip beherrschen alle – nur wir tun uns schwer damit. Keiner rast, viele schleichen: gern auch ganz links. Das Fahren verläuft in ungleichmäßigen Wellen, entspannt ist das keineswegs – jedenfalls nicht für Durchreisende. Andere Länder, andere Sitten; auch hier passen wir uns an, aber nicht ganz so leicht.

Weniger ist mehr?!

Wer in wenigen Worten das Entscheidende sagt, wird gehört.
Großartigen Schauspielern reichen wenige treffende Gesten.
Ein Karikaturist illustriert mit wenigen wohl platzierten Strichen die Wahrheit.
Weniger unterschiedliche Akzente kreieren einen ansprechenden Stil.
Weniger reden und stattdessen aufmerksam Zuhören belebt wahrscheinlich jedes Gespräch.

Nur wenig ist nicht genug – so einfach ist es nicht: Manchmal ist weniger auch gar nichts.

Weniger reicht auch

10.000 Schritte pro Tag müssen es nicht sein, um seiner Gesundheit etwas Gutes zu tun: 4.000 Schritte pro Tag reichen auch, ein `Etwas-mehr an Bewegung´ ist `bereits gesundheitlich wirksam´. Diese Erkenntnis entstammt einer Studie. Du meine Güte, das hätte ich ihnen auch sagen können, denke ich, aber auch: Welch eine unglückliche Meldung! Es ist erschreckend genug, dass etwas mehr Bewegung heutzutage schon als Investition in die eigene Gesundheit gilt – und empfohlen werden muss. Selbstverständlich sollte das sein und normal, hier bei uns im gesundheitsbewussten Deutschland. Aber, nein, da wird der körperverliebte, aber bequeme Mensch noch beruhigt, sich nicht mit 10.000 Schritten täglich abzuplagen: Das würde auch viel zu lange dauern, steht da, nämlich 80 bis 150 Minuten, die seien im Alltag kaum zu schaffen.

Ich sehe es ja selbst: Der Parkplatz vor dem Supermarkt steht voller Autos; viele davon kommen aus der Siedlung um die Ecke und gehören jungen bis mittelalten Menschen. Und, nein, nicht jeder der Fahrer tätigt hier seinen wöchentlichen Großeinkauf.

Wir gehen sie heute nicht mehr, diese 4.000 Schritte am Tag, und schon gar nicht die vorher `gültigen´ 10.000. Wir haben Wasch- und Spülmaschinen, Rasen- und Saugroboter, in manchen Berufen eine 35-Stunden-Woche. Trotzdem nutzen wir die dadurch eingesparte Zeit nicht dafür, um unserem Körper etwas Gutes zu tun. Stattdessen eilen wir mit dem Auto durch die Gegend – und sitzen dann vielleicht länger im Sessel oder was weiß ich denn. In Zukunft ohne schlechtes Gefühl, denn wir wissen: Weniger (Bewegung) reicht auch.

Unverhoffter Müßiggang

Plötzlich haben alle anderen etwas vor und ich bin ganz allein zu Hause – allerdings nur für drei Stunden. Egal: Ich gehe erst spazieren, koche dann und spüle ab; die Hälfte der Zeit ist schon rum. Anschließend checke ich meine Mails, werfe einen Blick in die Zeitung, beantworte eine SMS und schaue in eine alte Serie rein. Endlich besinne ich mich und nutze die letzte halbe Stunde, um einfach nur zu sein.

Unverhoffte Pausen sind wunderbar und herausfordernd zugleich: Anfangs stolpere ich wie gewohnt weiter durch mein alltägliches Einerlei – erst dann beginnt mein Müßiggang.

Voreingenommen

Ein Unfallchirurg sieht seine Kinder nicht gern Motorrad fahren.
Eine Bekannte von mir ist Kinderärztin und findet Hausgeburten viel zu gefährlich.
Menschen, die mit Jugendlichen in einem Problemviertel arbeiten, besitzen entweder viel Glauben an den guten Kern von jungen Menschen oder kein Vertrauen in die Jugend von heute allgemein.
Hat man Kinder, werden eigene Bedürfnisse (bis zu einem gewissen Maß) unwichtig. Außerdem verliert sich das Gespür für eigene Peinlichkeit.
Lebt jemand als Single, bleibt ihm die Dynamik einer Partnerschaft letztlich doch fremd: Kompromissbereitschaft muss er an anderer Stelle lernen.

Wir gehen alle irgendwie voreingenommen beziehungsweise mit einem gewissen Tunnelblick durchs Leben. Das merken wir aber nur, wenn wir unvoreingenommen mit den vielen anderen Wahrheiten dieser Welt umgehen – und das ist schwer.