Kräftemessen

Zwei zehnjährige Jungen spielen im Garten, spielen Fußball, tauchen im Pool ab und wieder auf – und laufen um die Wette: „Du bist bestimmt schneller, ich kann nicht so schnell rennen“, sagt mein Sohn. Häh? Abgesehen davon, dass er den anderen Jungen nicht gut kennt: Mein Sohn weiß, dass er selbst sehr flink ist. Er hat das schon oft erlebt, wir haben es schon häufig bestätigt. Warum sagt er das? Möchte er bescheiden oder freundlich sein oder den Konkurrenten in Sicherheit wiegen? Ich weiß es nicht.

Sie laufen um die Wette, mein Sohn gewinnt (knapp). Glücklicherweise kostet er den Sieg nicht lautstark aus. Anschließend spielen sie fröhlich weiter zusammen. Jungen brauchen den Wettbewerb…

Wie sieht das aus?

Ich fahre zu einer Freundin, weil sie mich in einem Internet-Programm schulen will. Meinen Laptop nehme ich mit. Zwar weiß ich nicht, ob ich das Gerät brauche; aber ich könnte die verbleibende Zeit für einen Schreibauftrag nutzen. Im Zug packe ich das Gerät nicht aus. Zu sehr habe ich die Befürchtung, nach „Ich bin wichtig!“ auszusehen.

Wie wenig mir die Meinung anderer (mir unbekannter!) Menschen egal ist – erschreckend!

Freihändig

Bis vor drei Tagen war freihändiges Fahrradfahren für meinen jüngsten Sohn eine angestrebte, aber nicht beherrschte Tätigkeit. Er hatte bis dato viel darüber geredet, wie schön es doch wäre, das zu können; den Lenker versuchsweise loszulassen – dazu fehlte der Mut. Wochenlanges „Wieso kann ich das nicht? Das lerne ich nie!“ musste ich mir anhören und dachte und sagte: „Das lernst du noch, es ist nur eine Frage der Übung. Du musst einfach mal loslassen.“

Vorgestern probierte er es aus, ganz vorsichtig, Hände immer in der Nähe der Griffe. Ein, vielleicht zwei Sekunden schaffte er auf Anhieb, mehr nicht.

Zwei Tage später ist er „der Pro“, die Hände machen, was sie wollen, der Lenker lässt sich schließlich auch durch Verlagerung des Rumpfgewichtes dirigieren. Freihändig auf dem Rad zu fahren, das merkt er, ist keine große Sache. Die Angst davor war größer.

Sprachlos, aber verständlich

Vor Jahren besuchte ich einen todkranken Menschen im Krankenhaus. Im Vorfeld hatte ich mir die Zeit für Anfahrt und Begegnung freigeschaufelt. Als ich endlich dort war – fehlten mir die Worte. Was bespricht man mit jemandem, der dem Tod ins Auge sieht? Für „wird schon wieder“ war die Lage zu ernst; einem Lebewohl stand die klitzekleine Hoffnung auf Heilung entgegen. Es war schwierig für uns beide; mit seiner Sprachlosigkeit hatte ich gerechnet, auf meine eigene war ich nicht vorbereitet. Als der Mensch in mir schwieg – „flüchtete“ ich mich ins Gebet und wurde beschenkt: mit Worten und Nähe zu Gott und dem Kranken. Wir spürten, dass Gott hört und versteht.

Regelmäßig treffe ich mich zum Gebet mit einer Freundin. Bei unseren Treffen geht es nicht um Fürbitte, es geht uns um Jesus selbst. Wir wollen ihn anbeten und seiner Gegenwart Raum geben in uns. Es läuft nicht immer gleich. Vor ein paar Tagen mitten in diesem Gebet – fehlten mir die Worte. Was sagt mein Verstand im Angesicht eines Gottes, der allmächtig, allwissend, allgegenwärtig ist, sich nahbar gemacht hat durch die Menschwerdung seines Sohnes und trotzdem ein großes Geheimnis bleibt? Als mein Mund schwieg – „redete“ mein Herz. Wir spürten, dass Gott hört und versteht.

Vögel fliegen – ich staune!

„Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter.“
Psalm 104, 24

Der Sibirische Goldregenpfeier ist klein, er wiegt nur 200 Gramm. Er lebt in Alaska und fliegt zum Überwintern nach Hawaii: 4.500 Kilometer ohne Pause. Dafür braucht er drei Tage – aber nur, wenn er sich vorher exakt 70 Gramm Energiereserve in Form von Fett angefressen hat. Zusätzlich MUSS er in Keilformation mit vielen anderen fliegen (Windschatten) und genau wissen, wo Hawaii liegt. Sonst würde er irgendwo in den Pazifik stürzen: Dort gibt es nicht so viele alternative Landeplätze.

Heute stand in der Zeitung, dass eine Uferschnepfe in 55 Stunden von Niedersachsen aus nach Zentralafrika geflogen ist – mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 74 Stundenkilometer. Die Uferschnepfe ist kein besonders kleiner Vogel, aber sie ist auch kein Adler. Sie ist eher langbeinig und schmal: Man sieht ihr die Kraft nicht an, die sie braucht, um derart pfeilschnell durch die Luft zu jagen.

Über den Dächern von Heidelberg – zumindest über dem Dach meiner Freundin – gibt es jede Menge Mauersegler. Sie sind ständig unterwegs, umfliegen die Kirchtürme und Häuser, hin und her, hoch und runter. Es sieht spielerisch aus und zweckfrei. Natürlich müssen sie auch fressen und schlafen; aber das alles scheinen sie nebenbei zu tun: Ornithologen haben herausgefunden, dass Mauersegler zehn Monate am Stück fliegen können! Nur in der Brutzeit machen sie kurz Pause.

„Groß sind die Werke des Herrn; wer sie erforscht, der hat Freude daran.“
Psalm 111, 2

Gentleman

What is a gentleman? It`s an old word and it seems not to be used anymore – perhaps it describes an almost extinct species. That`s sad!!!!

It may be so that there are not many gentlemen around anymore, at least not in the usual sense of the word. I don`t know. Surely there are some men around who behave like a gentleman:

They might
offer someone a seat,
invite a woman to the movies (or for dinner),
acknowledge the authority of elder people,
use their strength for the weak among us,
open the door for women,
be discreet,
avoid yelling, interrupting or bullying,
encourage and help people,
and some more.

But all of that is not most important for me.

For me gentlemen should
ask for someone else`s opinion,
show interest in other people`s interests,
put their own needs behind the needs of other`s,
be patient and merciful with the slower and dumber one`s (without them noticing it!),
leave a humble impression,
listen carefully,
and some more.

For me a gentleman should be gentle.

Erster – und zweiter – Eindruck

In der Bahn begegnete mir letztens ein freundlicher Mann ungefähr in meinem Alter. Er las ein deutsches Buch, fragte, ob bei mir noch Platz sei, setzte sich und schaute mich ab und an lächelnd an. Erster Eindruck – sympathisch. Als er ausgestiegen war, sah ich ihn über den Bahnsteig davongehen, ganz in Ruhe. Wie nebenbei spuckte er – deutlich sichtbar – mit einer leichten Drehung des Kopfes links von sich auf den Bahnsteig, ohne sein Tempo zu verlangsamen. Ich schaute betreten weg: Ich finde Spucken absolut eklig. Es gehört nicht nur nicht zu meinem Verhaltensrepertoire, sondern ich stehe diesem Tun eher von Grund auf ablehnend gegenüber. Weder sehe ich einen Sinn darin, noch finde ich, man sollte diesen sehr privaten Akt seinen Mitmenschen zumuten.

Meine Abneigung ist sicherlich zu hundert Prozent gelernt; nirgendwo gibt es ein allgemeingültiges Gesetz, das Spucken wertet. Wahrscheinlich mag es keiner, wenn ihm vor die Füße oder gar ins Gesicht gespuckt wird – das ist ganz objektiv verwerflich. Aber das Ausspucken an sich gehört in manchen Kulturen einfach dazu. Strenggläubigen Moslems beispielsweise wird es während des Ramadans sogar vorgeschrieben, weil sie tagsüber weder etwas essen, noch überhaupt etwas hinunterschlucken dürfen. (Allerdings war der Ramadan während meiner Zugfahrt schon einige Wochen vorbei.)

Dieser freundliche Mensch spuckte also auf den Bahnsteig. Ich weiß nichts über ihn, aber dieses Ausspucken schmälerte den ersten (oberflächlichen, aber positiven) Eindruck erheblich: Er war bis dato ein in meinen Augen angenehmer Mitreisender gewesen, er war und ist vielleicht ein wirklich sehr netter Mensch, eher still und immerhin ein Leser(!!!). Zu all dem passte das Spucken nicht. In der Öffentlichkeit zu spucken, würde mir nicht in den Sinn kommen; es ist – für mich – ein No-Go: Nicht einmal beim Laufen finde ich es nötig oder gar schön, allerhöchstens verzeihlich. Im Grunde sagt das demonstrative Ausspucken nichts über den Charakter dieses Menschen, gar nichts. Trotzdem bekam er von mir beim zweiten Eindruck Sympathie-Punkte abgezogen …

Freiheit und Angst

Im Vorbeifahren sehe ich auf einem Feld ein Windrad. Zu dessen Füßen stehen mehrere Autos. Ich schaue nach oben – und sehe auf der Spitze des Windrades einen Menschen. Freihändig und ruhig steht er da. Wahrscheinlich ist er gesichert, wahrscheinlich ist da oben genug Platz zum Rand, wahrscheinlich hat er keine Höhenangst. Der Anblick sendet mir trotzdem heiße und kalte Schauer über die Haut – ich spüre die Angst, die er meiner Meinung nach haben müsste. Wenige Sekunden später frage ich mich, ob er sich vielleicht nicht ängstlich, sondern frei fühlte. Aber ist die Grenze dazwischen immer ganz klar?

Freiheit ist ein hohes Gut. Wer frei ist, wird von nichts gehalten oder gebremst. Wer frei ist, kann ohne Zwänge aus vielen möglichen Wege auswählen. Das ist wunderbar und eine Last zugleich – nicht umsonst heißt es „Qual der Wahl“. Was genau quält uns? Ich denke, es ist die Angst, etwas anderes zu verpassen oder mit dem eingeschlagenen Weg nicht klarzukommen. Wo die Freiheit grenzenlos ist, kann sich auch Angst breitmachen.

Freiheit ist großartig, gute Grenzen sind es auch.

Nebensächlich

Beim Laufen auf einem Feldweg begegnen mir zwei spazierende Hundebesitzer mit ihren Vierbeinern: Einer – ich kenne ihn nicht – kommt mir entgegen, der andere ist mir bekannt und geht vor mir her. Ich halte mich auf der Seite des mir bekannten Gespanns und nähere mich relativ zügig. Normalerweise registrieren mich die Hunde immer deutlich früher als ihre Herrchen; ich bin für die Tiere meist die willkommene Ablenkung beim ansonsten unspektakulären Gassigehen. Nach den Hunden reagieren die Halter und spannen die Leinen, um einer ungestümen Begegnung zwischen Jogger und Hund vorzubeugen.

Heute ist es anders: Ich werde überhaupt nicht beachtet! Beide Hunde haben nur Augen (und Nasen?) für einander, die Menschen sind offenbar ebenso konzentriert darauf, wie das Treffen ihrer Lieblinge ausgehen wird. Beim Vorbeilaufen bedanke ich mich reflexartig und sage „Hallo“. Alles völlig überflüssig: Ich bin hier und jetzt total nebensächlich.

Kein Dauerzustand

Große Trauer erschüttert uns, große Freude genauso. Und obwohl unerwartete Todesfälle oder die Geburt eines Kindes uns lebenslang prägen, besteht die große Herausforderung darin, uns von derart emotionsgeladenen Ereignissen nicht definieren zu lassen. Weder große Trauer noch überwältigende Freude haben langfristig die Herrschaft über unsere Persönlichkeit – auch wenn die mit ihnen verbundenen Gefühle uns nie ganz verlassen werden. Menschen, die tiefes Leid erfahren, dürfen darin nicht verharren – sonst verzweifeln sie und werden bitter. Und auch große Glücksgefühle verlieren mit der Zeit ihren Zauber und werden überlagert von mehr oder weniger banalen Erfahrungen: Das Leben spielt sich ab in den Niederungen des ganz gewöhnlichen Alltags. Wie wir dort gleichermaßen ernsthaft und lebensfroh bleiben können – darin zeigt sich, wer wir sind.