Kollegen

Ich habe keine und hätte doch so gern Kollegen. Warum?

Weil Kollegen sich gegenseitig inspirieren und ihren Horizont erweitern.
Weil Kollegen gemeinsam auf ein Ziel hin arbeiten – und doch jeder für sich.
Weil Kollegien zusammengewürfelte Menschen mit einer Schnittmenge sind.
Weil Kollegen sich auch privat kennenlernen können, das Private aber eben nicht das Einzige ist, was sie verbindet.
Weil Kollegen anstrengend sein können und deshalb eine gute Lebensschule.
Weil man mit Kollegen feiern kann. Manche singen sogar zum Spaß gemeinsam.
Weil man sich mit Kollegen über einen Erfolg freuen kann.
Weil Kollegen einander brauchen – und sich das vielleicht sogar sagen.

Vielleicht habe ich eine zu schöne Vorstellung von Kollegen. Kann sein.

Real oder fiktiv

Spannende Filme sind nichts für mich: Ich kann sie nicht sehen, ohne mich zu fürchten oder zu erschrecken. Mein Kopf weiß, dass es sich nur um eine Geschichte handelt; mein Gefühl lässt sich dennoch nicht abschalten – auch ohne Special Effects erlebe ich (auch leichte) Spannung als beängstigend. Sogar hervorsehbare Situationen sind mir schnell zu aufregend. Lieber schaue ich nicht hin.

Gute Filme machen so etwas, sie gehen unter die Haut, das soll so sein. Nicht die Trennung von Realität und Fiktion fällt mir schwer. Mir ist schon klar, dass ein Film ein Film ist und nicht die Wahrheit. Ganz real ist aber die Angst in mir, die Aufregung – ich kann sie körperlich spüren. Ist doch komisch. Im wahren Leben würde ich mich nicht als ängstlich und schreckhaft bezeichnen. Was Filme angeht, schon.

Was heißt schon „informiert“?

„The kind of food we devour will determine the kind of person we become.“
J. Stott
(Das, womit wir uns füttern, bestimmt, was für ein Mensch wir werden.)

Viele Nachrichten sind sicherlich wichtig. Neuigkeiten gehen in Windeseile um die Welt. Wenn wir sie regelmäßig lesen, kommen wir uns informiert vor. Morgen sind die Neuigkeiten von heute jedoch schon wieder alt. „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“, sagt mein Mann manchmal so treffend, wenn ich ihn festnageln will auf eine im Vorbeigehen getätigte Aussage.

Welche der Nachrichten interessieren mich wirklich? Fußballergebnisse, Naturkatastrophen, persönliche Desaster anderer Menschen, Auffahrunfälle in Süddeutschland, die letzten Tweets von Donald Trump… Das Wissen um all diese Dinge hat Platz in meinem Hirn, das ich ohnehin nur zu einem geringen Teil auslaste. Viele dieser Informationen sind allerdings sehr vergänglich und machen mich nicht schlauer, lassen mich nicht anders reagieren, berühren mich letztlich nicht wirklich. Ich muss und kann auswählen, womit ich mich füttere. Zumal ich mir ganz viel auch nicht wirklich merken kann.

Dietrich Bonhoeffer wusste sehr viel, war viel schlauer als ich und durchschaute die Welt seiner Zeit. Er wusste aber auch, sich zu beschränken und wählte sorgfältig aus, welchen Informationen er sich aussetzte. Er sagte schon vor 70 Jahren, wir sollten mehr Bücher lesen und weniger Zeitung. Allgemein sehr belesen, kannte er als Theologe die Bibel besonders gut. Einzelne Verse hat er tage- oder sogar wochenlang meditiert. Er wusste: ALLES, was wir mit unserem Geist aufnehmen, formt uns. Also entschied er sich, wie, von wem und durch welche Informationen er sich formen lassen wollte. Er gab dem Raum, was er für wichtig und gut und notwendig hielt. Das machte ihn letztlich zu dem, der er bis zuletzt war – ein besonderer, starker Mensch, im Frieden mit sich und Gott, getragen, voller Hoffnung und bis zuletzt ein Trost für die Menschen um ihn herum.

Heutzutage lesen wir noch immer Bücher und die Zeitung entweder gar nicht oder nur oberflächlich. Stattdessen informieren wir uns pausenlos im Netz, saugen Informationen auf wie ein Schwamm – ungefiltert, unkontrolliert, ungeachtet der Sicherheit der Quelle und denken, wir wären informiert. Ob uns diese Gehirn-Nahrung zu starken und weisen Menschen macht, wage ich zu bezweifeln. Trotzdem gelten wir nicht gern als „schlecht informiert“. Obwohl das ein sehr zweifelhaftes und vor allem nicht hilfreiches Gütezeichen ist…

Voll

„Mein Leben ist ganz schön voll, zu voll“, höre ich immer öfter. Gemeint ist die Fülle an Arbeit, Familie, Unternehmungen. An sich ist alles schön, gut und wichtig, aber in der Summe ist das Leben von vielen Menschen zu voll. Was fehlt, ist eine gute Balance von Anspannung und Entspannung.

Neben beruflichen Entwicklungschancen (die lasse ich hier mal außen vor) gibt es zahlreiche Möglichkeiten: persönliche Hobbys, Freizeitangebote, Reiseziele, Kultur – diese Vielfalt ist großartig. Auch ich könnte mich in Aktivitäten verlieren.

Ich würde gern:

  • einen Tanz-Workshop machen,
  • in einem Laien-Chor singen,
  • solange Handstand üben, bis ich ihn sicher stehen kann,
  • mit Muße an einem Fotokurs teilnehmen,
  • mich der englischen Sprache nicht nur durch Bücher und Filme aussetzen, sondern sie richtig studieren,
  • doch nochmal Klavierunterricht nehmen (???),
  • Themenabende veranstalten und in kleiner Runde über Geschichte und Politik austauschen,
  • bei einem „personal trainer“ Kraulschwimmen lernen,
  • einmal die Woche klettern gehen,

All das sind keine unerfüllbaren Träume – die gibt es noch zusätzlich -, all das wäre theoretisch machbar und realisierbar. Vielleicht nicht alles auf einmal, ich müsste mich entscheiden. Noch aber scheitert die praktische Umsetzung an gewissen Grenzen: Meine Kraft, meine Kapazität, meine Zeit – nichts davon steht mir unbegrenzt zur Verfügung. Letztlich ordne ich meine persönlichen Wünsche dem Gesamtpaket unter. Es ist mir bewusst, dass ich nicht alles machen kann, was ich gern machen würde: Dann machte ich vor allem eins irgendwann – schlapp. Also verzichte ich freiwillig und lasse Dinge sein, die – wie man so schön sagt – derzeit nicht dran sind. „Es passt noch nicht“ bedeutet dabei nicht das Eingestehen einer Niederlage, sondern den weisen Umgang mit meinen Ressourcen. Verzicht ist nicht nur schlecht. Etwas nicht zu tun, verhindert, dass mein Leben zu voll wird. Und das ist mir wichtiger, als alles „unterzubringen“, was schön und möglich wäre.

Das Leben ist kurz

„Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn´s hoch kommt, so sind´s achtzig Jahre, und was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe; denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon.“
Psalm 90, 10

Je länger ich lebe, umso öfter denke ich, wie kurz das Leben ist und wie schnell die Zeit vergeht. Sie vergeht natürlich nicht schneller als früher, es kommt mir nur so vor – das ist mir schon klar. Ich nehme den Zeitverlauf bewusster wahr, weil ich anders beobachte als früher.

Kleine Kinder lernen andauernd etwas: Sie lernen sprechen und laufen, werden trocken, lernen Fahrrad fahren und schwimmen, kommen in den Kindergarten und später in die Schule. Der Alltag mit ihnen ist bestimmt von immer wiederkehrenden Aufgaben – tage-, wochen-, monatelang. Jeder Entwicklungsschritt ist ein willkommener Erfolg: Keine Windeln mehr, keine Brote mehr schmieren usw. Und natürlich verändern kleine Kinder sich optisch und wachsen schnell. Weil ich aber als Mutter kleiner Kinder so eingespannt war, nahm ich diese Veränderungen oft vor allem im Nachhinein wahr – beispielsweise durch das seltene Anschauen von Fotos.

Seit einigen Jahren schon beherrschen alle unsere Kinder weniger meinen gesamten Alltag als vielmehr grundsätzliche Lebensfertigkeiten. Bald werden alle auf dieselbe Schule gehen. Mein Leben ist weniger voll, ich habe mehr Gelegenheit zum Innehalten. Und so registriere ich bewusst, wie meine Kinder älter, größer und reflektierter werden und immer mehr auf meine Augenhöhe kommen.

Ich sehe, wo die vergangenen 15 Jahre geblieben sind – aber nicht nur in den Kindern: Auch meine eigene Belastbarkeit empfand ich früher als gleichförmig stabil und stark. Dem ist seit einigen Jahren nicht mehr so, heute spüre ich eher meinen eigenen körperlichen Verfall. Es stimmt, wenn der Prediger über das Leben sagt „… es fähret schnell dahin, als flögen wir davon.“ Also will ich im Verfliegen der Zeit die Ruhe bewahren und einzelne Momente, Stunden, Tage und Lebensphasen bewusst erleben, genießen und gestalten. Ich fliege nicht mit, ich halte inne im Jetzt.

Nebenbei

In einem Gespräch sagte ich letztens zu meiner Nachbarin: „Die Wäsche, die mache ich so nebenbei.“ Noch vor einigen Monaten hatte mir jemand genau diesen Satz gesagt – und ich hatte gedacht: „Ich nicht. Wäsche nimmt viel Raum ein in meinem Leben, die erledige ich nicht nebenbei.“

Vor Monaten ging es mir körperlich, seelisch und geistig nicht gut. Alles war mir zu viel, auch die Wäsche. Nichts, was ich tat, erschien wie nebenbei: Alles war mir Last und Pflicht, meinem Tun fehlten die Freude und Leichtigkeit. Das ist derzeit glücklicherweise wieder anders; die Gründe dafür sind eine andere Geschichte.

Mein „… mache ich so nebenbei“ stimmt trotzdem nur teilweise. Es ist richtig, dass ich dasselbe Pensum (inklusive der Wäsche) wieder mit mehr Lockerheit und Schwung erledige. Es ist aber falsch, dass ich irgendetwas nebenbei tue, denn: Neben welchem zentralen Tun denn eigentlich? Mache ich den Einkauf ebenso nebenbei, das Kochen, das Putzen? Ist es dagegen zentraler, wenn ich mit den Kindern rede, Hausaufgaben kontrolliere, im Garten Fußball spiele, sie irgendwohin fahre?

Alles gehört zu meinen derzeitigen Lebens-Aufgaben. Manches mache ich lieber als anderes, nichts davon ist nebenbei. Für nebenbei ist in meinem Leben kein Platz.

Solche Menschen

Ich kenne Menschen, die nicht körperlich arbeiten und trotzdem überzeugte Nicht-Sportler sind. Wenn ich ihnen begegne und die Sprache darauf kommt, bin ich jedesmal bass erstaunt. Als hätten sie mir gerade eröffnet, dass sie demnächst an einer Mars-Expedition teilnehmen würden. „Wie bitte?“, denke ich, „Die machen freiwillig gar keinen Sport – und es fehlt ihnen nichts? Das kann nicht sein. Solche Menschen kann es nicht geben.“

Natürlich weiß ich, dass „solche Menschen“ wahrscheinlich sogar in der Überzahl sind, aber dieses Desinteresse ist mir trotzdem sehr fremd. Möglicherweise bin ich in ihren Augen eine gleichermaßen merkwürdige Person, weil ich so viel Wert lege auf Bewegung, die mit einer gewissen körperlichen Anstrengung einhergeht. Zum Trost für uns alle: „Solche Menschen“ gibt es meist in großen Mengen.

Bienen

Immerzu geht es um Artenschutz momentan. Wir ruinieren den Planeten, Arten sterben aus, ganze Ökosysteme verschwinden. Bei uns waren in der Vergangenheit Saatmischungen im Briefkasten, um uns zu ermutigen, bienenfreundliche Multikulturen im eigenen Garten anzulegen. Kann ich machen. Ich könnte auch einfach aufhören, Unkraut zu jäten – das gäbe der Artenvielfalt bei uns ebenfalls Auftrieb. Ich bin nur unsicher, ob mir das optisch genauso gut gefällt wie den Wildbienen…

Begegnung und Zeit

Meine Busreisen-Erfahrung ist limitiert. Während einer Flixbus-Fahrt nach Berlin bekam ich vor kurzem trotzdem einen interessanten Einblick in diese Form des Unterwegs-Seins. Man sitzt dicht zusammen in einem Bus und kann nicht – wie im Zug – in ein anderes Abteil wechseln oder allein im Gang stehen. Während der viereinhalb Stunden wechselten meine Mitreisenden: Da gab es einen, der an der Uni Zürich promoviert, aber gerade die alte Heimat besuchte. Weltoffen, alternativ und gesprächig – der Typ Mensch, mit dem ich in meinem Umfeld selten in Berührung komme. Außerdem mit uns im Bus reiste eine Oma (mit Handy) mit ihrem Enkel (eindeutig von ADHS betroffen). Ich fragte mich, welche Zuwendung für das Kind noch besser wäre und ob es für ihn jemals eine Ruhepause gibt. Eine etwas über 70-jährige Witwe fing jeden zweiten Satz mit „Ich bin der Meinung“ an – auch sehr gesprächig. Ein jüngerer Mann dagegen sprach kein Wort, sondern hatte mit seinen digitalen Medien zu tun. Alle Begegnungen ließen die Zeit schneller vergehen.

Wegen eines Staus auf der Autobahn fuhr unser Busfahrer von dieser ab sowie zielsicher und zügig durch das Hinterland von Sachsen-Anhalt und brachte uns mit nur wenig Verspätung nach Berlin. Als ich mein Gepäck auslud, bedankte und verabschiedete ich mich bei ihm. Vielleicht war ich die Einzige? Er lächelte erstaunt und sah mich an, wir wünschten uns einen guten Tag. Diese Begegnung ließ die Zeit für einen Moment stillstehen.

Risiko

Wenn ich „Risiko“ höre, denke ich an Dinge, die ich nicht tun würde. Unter anderem sind das: Bungee Jumping, Fallschirm-Sprünge, Rasen auf der Autobahn, Solo-Weltumseglungen, Bergsteigen im Himalaja. Oder ich denke an Alex Honnold. Er ist ein amerikanischer Kletterer, der ohne Sicherung gerade Felswände hochklettert. Zwar bereitet er sich akribisch auf seine Free Solo-Klettereien vor, übt mit Seil, ist körperlich in exzellenter Verfassung, mental fokussiert und wirkt nicht lebensmüde. Trotzdem hielt ich ihn wegen seiner spektakulären Unternehmungen bisher für eher risikobereit. Kürzlich hörte ich ein Interview mit ihm, das mich umdenken ließ: Honnolds Vater starb mit Mitte 50 an einem Herzinfarkt, hatte ein eher stressiges Leben ohne Sport geführt und sich eher ungesund ernährt. Aus Alex Honnolds Sicht ist eine derartige Lebensweise riskanter, als ohne Sicherung, aber gut vorbereitet, 1.000 Meter in die Höhe zu klettern.

Jeder kennt heutzutage die Zusammenhänge zwischen ungesunder Ernährung und geringer Lebenserwartung. Dennoch rauchen Menschen, ernähren sich ungesund und gehen ganz bewusst das Risiko ein, an den Folgen ihres Lebenswandels „vor der Zeit“ zu sterben.

Auch aus dieser Perspektive heraus ist mein eigenes Leben wenig risikofreudig – gesunde Ernährung, regelmäßig Sport, kein Stress. Vor Jahren hatte ich zusätzlich Wechselduschen im Programm, allerdings nur wenige Jahre. Es war mir schlicht zu kalt. Ein bisschen risikobereit bin ich also doch. (Oder bequem.)