Genau falsch

Der Anruf bei einer Hotline sollte zum Erfolg führen und kann dabei eine Quelle der Freude sein – siehe Blog vom 14. September 2019, „Genau richtig“. Er kann aber auch zum Erfolg führen und zwischendurch eher eine Quelle des Frustes werden: Kürzlich telefonierte ich wegen einer Unklarheit mit der Hotline meiner Bank. Eine freundliche Computerstimme „meldete“ sich und bemühte sich sehr, mein Problem zu „verstehen“ oder sogar im Vorfeld zu „klären“. (All das kann eine vorab aufgenommene Computerstimme aber nicht.) An einer „Wegkreuzung“ („Wollen Sie eine Information erhalten oder eine Veränderung vornehmen?“) schlug ich versehentlich den in meinem Fall falschen Weg ein und bat nur um eine Information. Zwar bekam ich die Info – und zwar in aller Ausführlichkeit, aber bereits nach 20 Sekunden merkte ich, dass diese mir nicht weiterhelfen würde.

Eine Computerstimme stoppen? Funktioniert nicht. Die Antwort in Ruhe abwarten – ging leider auch nicht. Im Verlauf der Ausführungen stieg mein Puls und ich dachte: „Nein, nein, nein, will ich alles gar nicht wissen, hilft mir nicht, sei doch mal still, jetzt komm doch mal ein MENSCH an die Strippe!!!!“ Meine Chance kam nach etwa zwei Minuten (gefühlt fünf). Die Computerstimme fragte: „Hat diese Antwort Ihnen geholfen?“ Mein „Nein!“ war schnell, klar und sicherlich lauter als notwendig.

Eine Pause von 30 Sekunden dokumentierte wohl die „Verwirrung“ der Maschine, was denn noch fehlen könnte – und endlich erklang das mir so vertraute Tuten eines am anderen Ende klingelnden Telefons. In der folgenden fünfminütigen Warteschleife (untermalt von Entspannungsmusik) hatte mein Puls Gelegenheit, sich zu beruhigen. Ein Mensch nahm den Hörer ab. Ein echter Mensch aus Fleisch und Blut, ein Mensch mit allen Informationen, die ich brauchte. Vor allem aber ein Mensch mit Ohren, der geduldig meine Fragen beantwortete und zu guter Letzt alle Unklarheiten beseitigte. Ihm zuzuhören machte mich schlau und ruhig. Das war, dieser Mensch war – genau richtig. Die Maschine davor „redete“ sachlich, klar, akustisch gut verständlich und „wusste“ wahrscheinlich auch alles. Ihr zuzuhören machte mich trotzdem nicht schlauer, sondern einzig und allein wütend. Das war – genau falsch.

Schlau

Manchmal rätsele ich, was mit „klug“ gemeint ist und wie wichtig der Intellekt ist. Abgesehen von meinen Eltern habe ich sicherlich am meisten von dem Zusammensein mit meinen Omas profitiert. Meine Opas waren beide schon verstorben, als ich auf die Welt kam – wie in dieser Kriegsgeneration häufig. Deshalb haben meine Omas eben einfach alles gemacht, was so anfiel: gearbeitet, Kinder großgezogen, Enkelkinder verwöhnt. Sie hatten keine karriereförderlichen Ausbildungen gemacht oder großartige Berufe ausgeübt – eine war Schneiderin, eine Sekretärin beim Rechtsanwalt. Sie waren beide großartig in der Küche, machten unwahrscheinlich viel selbst – und holten sich auch ohne Scheu Hilfe, wenn sie allein nicht weiterkamen.

„Liebe Seele, hab` Geduld, es haben alle beide Schuld“, war ein lapidarer Spruch, der immer mal aus dem Mund meiner Oma purzelte. Wahrscheinlich ist es kein besonders kluger Ausspruch, aber ich empfinde ihn als weise. Es ist eine dieser Lebensweisheiten, die man nicht aus Schulbüchern oder auf Universitäten lernen kann. Dafür braucht es Menschen mit Erfahrung, und das waren meine Omas. Sie machten nicht viele Worte. Es reichte aus, mit ihnen zusammen zu sein, um zu verstehen:

dass Familie wichtig ist und Freunde auch,
dass man manchmal einfach klaglos tun muss, was zu tun ist,
dass es keine Schande ist, sich die Hände schmutzig zu machen,
dass man demjenigen hilft, der allein ist und unbeholfen,
dass das Leben schön sein kann – auch wenn es ganz einfach ist,
dass man dankbar sein kann für ganz viel – auch wenn man nicht die halbe Welt gesehen hat,
dass es Spaß macht, andere zu bewirten, zu beschenken, zu beachten, zu begleiten (und man dafür nicht finanziell reich sein muss),
dass auch die anstrengenden Menschen in unserem Umfeld Respekt verdienen,
dass gemeinsame Mahlzeiten etwas Wunderbares sind,
dass `allein´und `einsam´ zwei unterschiedliche Dinge sind,
dass Traurigkeit und Verlust zum Leben dazu gehören,

und eben auch, dass Konflikte selten nur einen Urheber haben.

Strange

Malcolm Gladwell`s new book „Talking to strangers“ is out and available on paperback. I already have started reading. Interesting as always, inspiring also, it provokes a lot of thoughts within me. I don`t ponder all of them at lengths, I also read this book just for entertainment; but one question pops up again and again: who is a stranger? Or better: who is no stranger to me? I`m afraid I don`t even know myself and my innermost motivations completely, let alone someone I meet from time to time or even only once.

Are we, in the end, all strangers to each other? On top of that: Communication doesn`t automatically and always result in understanding. What I hear and what I understand may be two different things – not to speak of what the other one meant with her or his words. There is much more possibility to misunderstand or misinterpret, what was said, than to get it all right. (And we didn`t even start to think about body language and gestures or cultural differences…)

It`s a wonder we manage to get along at all!

Maybe the situation with strangers is comparable to the encounter with an iceberg: We see only the tip of the other one. If we don`t get too close this doesn`t matter – we may stick with our superficial first impression. As soon as we draw nearer, have to confront someone, or must deal with each other in any way: there will always be a good chance to collide…

Ausgebremst

In England war ich allein unterwegs. Andere Wanderer grüßten mich freundlich, ein Gespräch ergab sich unterwegs jedoch äußerst selten.

Zurück in Celle sieht das anders aus: Meine Spaziergeh-Runde ist ziemlich gleichbleibend, das macht mir nichts aus. Sie dauert etwa eine Stunde. Der Weg führt mich durch unsere Nachbarschaft, ich passiere einen Sportplatz und einen Bauernhof und laufe dann durch die Feldmark. Es ist nicht überlaufen, aber auch nicht einsam. Manchmal bin ich eine Stunde weg und habe es nur bis zum Bauernhof und zurück geschafft: Der eine Nachbar, ein mir bekannter Fahrradfahrer, der Platzwart unseres Sportplatzes, meine Freundin die Bäuerin – es kann sein, dass nur einer davon mir begegnet oder auch mehrere und sich ein oder mehrere kleine Gespräche ergeben.

Ebenso gehe ich in die immer gleichen Läden hier in unserem Stadtteil: ein, zwei, drei Supermärkte, Hofläden der ansässigen Bauern, die Apotheke, der Bäcker. Bei derartigen Besorgungen bin ich häufig im Erledigungsmodus. Spontane Begegnungen machen diesem schnell ein Ende. Überall treffe ich Menschen, die ich kenne. Und überall sind Gespräche möglich. Das ist mein Zuhause; ich freue mich, dass ich Zeit für Begegnungen habe. Nur manchmal fühle ich mich ein wenig ausgebremst.

Hält wieder

Gleichzeitig beziehungsweise in schneller Abfolge hatte ich eine Gürtelrose, einen gebrochenen Zahn und ein Gerstenkorn. „Der Leib zerfällt“, lautete die freundliche Analyse meines Mannes. Mittlerweile sind alle Schwachstellen geflickt. Heute fragte mich mein Nachbar, wie es meinen drei Gs gehe. Die Antwort: „Der Leib hält wieder…“

Perspektiv-Wechsel

„Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Enden.“
Matthäus 28, 20b

Wenn ich erlebe, dass Gott wirklich immer und in allem dabei ist, ändert sich meine Blickrichtung: „Alle Tage“ mögen schön oder schrecklich sein, sie kommen und gehen. „Gott bei mir“ wird zur Hauptsache, die bleibt.

Schmerzgrenze

Gestern drehten wir zu Fuß eine Runde an einem Autohaus vorbei, vor dessen Türen seit einiger Zeit mein favorisiertes Traumauto steht. In herrlicher Ahnungslosigkeit wollte ich den Preis checken – mit der vermessenen Vorstellung im Kopf, für einen gebrauchten (aber nicht wirklich alten) Bulli würde man heutzutage weniger als 20.000 Euro auf den Tisch legen müssen. Das wissende Lächeln meines Mannes hätte mich stutzig machen sollen: Aber nein, die Hoffnung auf ein Wunder-Schnäppchen stirbt zuletzt.

Der Bulli war wirklich schick. Im Grunde zu schick für uns: Ich brauche weder Ledersitze noch 205 PS; und ich träume auch nicht von einem Multivan, ein Transporter mit ausreichend Sitzplätzen würde mir reichen.

Nach einem Blick auf das Preisschild bin ich (für eine Weile) geheilt von meinen Illusionen. Ich hätte gern so ein Auto, aber ich möchte nicht so viel Geld dafür ausgeben – selbst wenn ich es hätte. Bei allem Bedauern, dass wir uns diesen Wagen nicht leisten können, muss ich zugeben: Wir wollen ihn uns auch nicht leisten. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn Geld keine Rolle spielte: Wir haben eine Schmerzgrenze, was ein Auto kosten darf.

Vielleicht ist auch diese Schmerzgrenze eine vergängliche Illusion; aber es sieht in absehbarer Zukunft nicht so aus, dass wir von ihr geheilt werden könnten…

Von Pralinen und Kröten

Eine Bekannte erwähnte vor Jahren mir gegenüber, dass die schönen Dinge im Leben (Pralinen) oft mit unangenehmen Konsequenzen (Kröten) einhergehen:

Wenn dir jemand hilft, erledigt er Aufgaben auf seine Weise und nicht unbedingt so, wie du sie selbst bewerkstelligen würdest.
Es gibt tolle Jobs mit einem super Gehalt, aber es kann sein, dass sie einen großen Teil deiner Lebenszeit auffressen.
Ein Garten ist toll, muss aber gepflegt werden.
Und so weiter.

In meinen Urlaub kürzlich war ich mit bestimmten Erwartungen aufgebrochen: Ich wollte allein sein, nicht zuständig, nicht verpflichtet, sondern unabhängig und autark. Ich wollte auch erleben, wie das ist – so allein. Ohne den Ballast von Beziehungen, die mir vertraut sind. Frei.

Während des Urlaubs war ich tatsächlich viel allein und empfand das als schön – und gleichzeitig ungewohnt. Ich fühlte ich mich ungebunden, aber auch nicht geborgen. Dieses Gefühl war nicht nur schön, sondern auch anstrengend. Denn: „Nicht allein und oft zuständig“ (Kröte) gab`s die letzten 21 Jahre meines Lebens immer in Verbindung mit „nicht für alles allein verantwortlich“ (Praline).

Mal wieder zeigte sich, dass alles einen Preis hat. Es gehört sicher nicht zu jeder Praline eine Kröte; und glücklicherweise sind Kröten oft kleiner als Pralinen. Aber im Paket des Lebens befindet sich immer eine Mischung.

Verlust

Auf einer Postkarte, die ich mittlerweile verschickt habe, stand der Vers: „Die Furcht vor Verlust ein Pfad zur dunklen Seite ist.“ Dazu ein Bild von Yoda, DEM Jedi-Master aus Starwars.

Ich bin kein Fan von „Krieg der Sterne“, ich blicke überhaupt nicht durch. Nur ein paar Namen sind mir im Laufe der Jahre durch meine Söhne immer wieder begegnet – und ich kann sie normalerweise den Guten oder Bösen zuordnen. Yoda verkörpert die Weisheit der Guten und die Macht. Wenn man das überhaupt in einem Satz sagen kann und darf.

Yoda ist so weise, dass ich ihn kaum verstehe: Auch dieser Ausspruch über die Furcht vor Verlust ist mir ein Rätsel. Eine mögliche Lösung erschloss sich mir letztens im Garten. Angst ist eine starke Triebfeder. Ich schätze, die Angst um mir liebe Menschen würde mich zu allem möglichen befähigen. Was könnte schlimmer sein als der Tod des Ehemannes, eines Kindes? Ich rede wie die Blinde von der Farbe, denke aber, dass man den Tod anderer „überlebt“. Nicht unbedingt unbeschadet, vielleicht noch nicht einmal besonders intakt. Aber danach wäre noch immer Dagmar da.

Was aber, wenn es um den Verlust meiner eigenen Identität ginge? Stünde sie auf dem Spiel, wäre ich ebenfalls zu allem bereit – und noch dazu wäre mir alles egal. Wie kann ich sie verlieren? Indem ich mich abhängig mache von der Meinung anderer, mich definiere über die Meinung anderer. Menschenfurcht nennt Gott das wohl. Überlasse ich es Menschen und nicht Gott, mir meine Identität zuzugestehen – oder eben auch nicht -, dann werde ich zu deren Spielball. Die Furcht vor Verlust der Identität könnte Yoda also meinen. Der Weg dahin ist gepflastert mit Angst:

Angst vor Ablehnung,
Angst vor Be- oder Verurteilung,
Angst, mich zu blamieren,
Angst, ein schlechtes Bild abzugeben,
Angst, nicht dazuzugehören,
und so weiter und so fort.

Diese Ängste verleiten mich zu Lüge und Prahlerei oder zum Versteckspielen.

Ist meine Identität in Gott verankert, verblassen die Ängste und erübrigen sich die Umgehungs-Strategien. Gott nimmt mich an, liebt mich, gibt mir einen Wert.

„Menschenfurcht bringt zu Fall; wer sich aber auf den Herrn verlässt, wird beschützt.“
Sprüche 29, 25

Vielleicht hat Yoda das nicht gemeint, aber so kann ich ihn verstehen.

Genug

Abgeben kann ich nur, wenn ich selbst genug habe – wobei genug durchaus dehnbar interpretiert werden kann. Das gilt für Materielles ebenso wie für Zeit, Kraft und emotionale Stabilität. Was ich nicht habe, kann ich nicht teilen. Ich bin dankbar, dass wir als Eltern in den vergangenen Jahren genug hatten für unsere Kinder – Nahrung, Kleidung, Liebe, Zeit, Geduld, Kraft. Ich bin mir darüber im Klaren, dass alles davon uns vorher selbst zur Verfügung gestellt worden ist. Vor allem diese bedingungslose Liebe von Eltern zu ihrem Kind, die normalerweise im Übermaß vorhanden ist, konnten (und mussten) wir nicht selbst produzieren: Gott selbst hat sie in uns hineingelegt.