Corona – angstfrei und vertrauensvoll

Ich kann die Gefahren von Corona nicht einschätzen. Aber ich weiß, wie ich mich hinsichtlich Corona verhalten möchte: angstfrei und vertrauensvoll.

Angstfrei: In unserer Familie sind weder geschwächte alte noch gesundheitlich vorbelastete junge Menschen; wir sind auch der normalen Grippe bisher immer mit einer gewissen Ignoranz begegnet. Die ab sofort greifenden drastischen Maßnahmen betreffen uns, treffen uns aber nicht existenziell. Unsere freigestellten Kinder sind schon ziemlich selbständig, außerdem bin ich verfügbar. Sie mit Schul- und Haus-Aufgaben zu versorgen ist herausfordernd, aber machbar. Finanziell sind wir nicht abhängig von einem Geschäft, einem Restaurant oder einem Hotelbetrieb – und müssen in den nächsten Wochen nicht mit unüberschaubaren Einbußen rechnen. Von daher habe ich keine Angst.

Vertrauensvoll: Ich möchte nicht mit denen tauschen, die verantworten, welche Regeln des Zusammenlebens für die nächsten Wochen oder Monate gelten sollen. Irgendjemandem werden sie jetzt „auf die Füße treten“ – und am Ende wird es sicher Menschen geben, die die getroffenen Entscheidungen im Nachhinein bemängeln. „Mit den Maßnahmen zu weit übers Ziel geschossen“, wird es dann heißen oder auch, „zu spät reagiert“. Es gibt Politiker, die wegen eines weniger herausfordernden Krisenmanagements ihre Karriere an den Nagel hängen mussten. Ich wäre dieser Verantwortung nicht gewachsen und hätte nicht den Überblick und die Besonnenheit, die jetzt vonnöten sind. Aber ich bin mit dem, wie es in unserem Land läuft, grundsätzlich zufrieden und einverstanden. Von daher habe ich Vertrauen in die Kompetenz und Verlässlichkeit unserer Entscheidungsträger.

Während ich also angstfrei und vertrauensvoll ausharre, trage ich meinen klitzekleinen Teil bei, dass „mein Bereich läuft“: Ich achte auf Hygiene – vielleicht sogar verstärkt. Ich akzeptiere Sicherheitsabstände, die andere einfordern. Und ich verweigere mich einer um sich greifenden Panik und pflege die Beziehungen zu Menschen in meinem Umfeld. Ansonsten lebe ich weiter wie bisher, bis sich die Situation wieder normalisiert. Was ich nicht tun werde: übertrieben vorsichtig sein, mich andauernd (laienhaft) mit Corona beschäftigen oder grundsätzlich zweifeln an der Kompetenz der Verantwortlichen. All das würde die Lage nicht verändern, sondern meinen Gemütszustand – hin zu Angst und Misstrauen. Mit beidem möchte und kann ich nicht wochenlang leben.

Menschenfurcht

Hinsichtlich meiner Macken ehrlich zu sein fällt mir nicht so schwer. Dass ich leicht zu verunsichern bin, manchmal schrecklich kritisch und beurteilend – all das darf der eine oder andere wissen. Denn ich denke, dass es anderen Menschen auch so geht – und sie mich verstehen.

Schlimmer ist, dass ich in einigen dieser Bereiche nicht weiter zu kommen scheine: Obwohl ich mich selbst bemühe und auch dafür bete, dass Gott mich verändert, wird mir von meinen Nächsten gespiegelt, dass sich (noch) nicht viel gebessert hat. Es ist höchst bedauerlich, aber ich kann die hässlichen Seiten meiner Persönlichkeit nicht einfach so ablegen. Da bin noch nicht so weit, wie ich es gern wäre.

Aber auch das könnte ich zugeben, denn ich glaube, dass andere Menschen ebenfalls lange oder immer wieder gegen ihre schlechten Gewohnheiten kämpfen – und mich verstehen. Was mich dennoch davon abhält, anderen gegenüber ganz ehrlich zu sein, ist die Tatsache, dass ich das (vielleicht im Stillen gefällte) Urteil meiner Mitmenschen fürchte – obwohl sie mich verstehen.

Ich möchte nicht – insgeheim oder ganz offensichtlich – aufgrund meiner verborgenen Macken abgelehnt werden. Mich davon unabhängig zu machen, wie andere mit dem Wissen um meine Schattenseiten umgehen, darin bin ich noch nicht so weit, wie ich es gern wäre.

Das nennt man wohl Menschenfurcht.

Erfolge im Nichtstun

Für mich gibt es täglich jede Menge Praktisches zu tun; die Ergebnisse sind immer sichtbar, nur manchmal sehr kurzlebig. Weil ich selbst einteilen kann, wann ich was mache, bleibt Raum für Pausen. Diese funktionieren nicht immer auf dem Sofa: Manchmal fällt es mir leichter, beim Nichtstun spazieren zu gehen. ICH empfinde diese Zeiten als sehr entspannend und gedanklich inspirierend, obwohl ich am Ende kein greifbares Ergebnis vorweisen kann.

In einem Artikel las ich zum Thema Nichtstun, dass es den meisten Menschen schwerfalle, wirklich gar nichts zu tun. Wir seien im Grunde immer beschäftigt und suchten Reize – und wenn es nur die neuesten (unwichtigen) Informationen auf dem mobilen Handgerät sind. Täten wir wirklich nichts – gern auch beim Spazierengehen -, dann sei das wie ein Ruhezustand für das Gehirn. Gleich darauf stand da der interessante Satz: „Was nach Entspannung klingt, ist für das Gehirn jedoch Hochleistung.“ Diesen Ruhemodus müsse man sich so vorstellen, als würden mehrere Bibliothekare bereits vorhandene Informationen durchgehen, sortieren, in gute Zusammenhänge bringen und archivieren. Das sei eine wichtige Arbeit und für das Gehirn keineswegs entspannend.

Kann sein, dachte ich; es kann sein, dass mein Gehirn sich abrackert – und ich nichts davon mitbekomme. Auch weiß ich nicht, welche Ergebnisse meine Gehirn-Bibliothekare nach diesen Sortier-Zeiten vorweisen können. Aber ich freue mich, dass in meinem Kopf Ordnung entsteht – während ich mich dem Nichtstun widme.

Gestört

Ich sitze auf dem Sofa, lese in meiner Bibel, bete und denke nach. Ein Sohn ist krank und kommt runter. Er setzt sich neben mich und erzählt mir kurz, wie es ihm geht. Als er aufsteht, sagt er: „Ich geh`wieder, entschuldige, dass ich dich gestört habe.“ „Alles gut“, sage ich, „du hast mich nicht gestört.“ Ich lese, bete und denke weiter.

Später fällt mir unser Gespräch wieder ein und ich frage mich: Hat mein Sohn mich gestört? Was er mir erzählte, war nicht besonders wichtig; was ich gerade las, betete und dachte, war nicht unwichtig. Er hat mich unterbrochen, ja; gestört hat er mich nicht.

Ein Schritt – ein Gang – ein Lauf? Geduld!

Nach zehn Tagen ohne Geh-Kompetenz aufgrund lädierter Ferse ging ich vorgestern das erste Mal wieder spazieren – und gestern gleich noch einmal. Es ging schon ganz gut; ich war guter Hoffnung, heute wieder laufen zu können. Heute aber spüre ich: Dafür ist es noch zu früh. Das macht der Fuß noch nicht wieder mit, er ist noch nicht wieder „wie neu“.

Nach erstem Gang folgt nicht erster Lauf, sondern zweiter, dritter, vierter … Gang: Trainingseinheiten für die Ferse – und für die Geduld. Spazierengehen ist auch schön.

Klima-Wandel

In meiner Jugend war das Wetter entweder gut oder schlecht und insgesamt eine gegebene Größe.

Aus Sicht meiner Kinder ist das Wetter heutzutage entweder gut – und eine gegebene Größe – oder eine Zumutung.

Reingewachsen

„Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, es ist alles ganz eitel. Was hat der Mensch für Gewinn von all seiner Mühe, die er hat unter der Sonne? Ein Geschlecht vergeht, das andere kommt; die Erde aber bleibt immer bestehen.
Prediger 1, 2-4

Mir haben bestimmte Verse aus dem Buch Prediger schon immer gefallen: Die „Alles hat seine Zeit“-Sätze aus dem dritten Kapitel zum Beispiel stimmen und passen zu Lebenssituationen im allgemeinen. Die vorab zitierten Verse über die Sinn- und Bedeutungslosigkeit des Einzelnen – sie sprechen mich erst seit einigen Jahren an: Ich bin angekommen in dem Alter, in dem die im Prediger formulierten Gedanken und Erfahrungen auch meine eigenen sind.

Es ist nicht so, dass ich mich selbst nicht mehr so wichtig nehme. Aber die Vergänglichkeit des Seins hier auf der Erde, die alles Streben nach Bedeutung zumindest ein wenig relativiert, die ist mir heute deutlich stärker bewusst als früher. Mit Todessehnsucht oder einer Resignation am Leben an sich hat das nichts zu tun. Die Grenzen meiner eigenen Bedeutsamkeit entlasten und befreien mich eher, als dass sie mich frustrieren.

Ich muss weniger und darf mehr: Ich muss es niemandem beweisen; ich muss nicht mehr so viel Rücksicht nehmen und bin weniger besorgt wegen der Konsequenzen; ich muss auch nicht mehr jugendlich ambitioniert sein. Ich darf schon aus einem Vorrat an Erfahrungen schöpfen und weiß mehr als früher, was ich kann und will. Ich erlaube mir leichter, Dinge zu tun oder zu lassen; ich darf ganz ich sein – auch mit meinen Schwächen und meiner Unfähigkeit, Großartiges zu vollbringen.

Vielleicht bin ich auch nur reingewachsen in die Perspektive der Lebensmitte …

Eine Begegnung

Ich bin mit dem Rad unterwegs. Der schmale Feldweg steht streckenweise unter Wasser. Von vorn kommt eine Fußgängerin. Es ist genug Platz für uns beide. Aber da, wo wir uns treffen würden, verengt eine Pfütze den Weg so, dass wir nicht beide trockenen Fußes/Rades aneinander vorbeikommen können. Sie bleibt kurz davor stehen und lächelt mich an. Ich fahre weiter, lächle zurück und bedanke mich.

Manchmal gibt es das: ein stilles Einverständnis, eine unverdiente Freundlichkeit, eine nur angenehme Begegnung – und all das mit einer Unbekannten. Sehr schön.

Können reicht nicht

Unser jüngster Sohn ist elf Jahre alt. Unlängst verkündete er, sich eine PS4 kaufen zu wollen, das Geld habe er. Was er nicht hat, ist unsere Erlaubnis, sein Geld so zu investieren. Er findet das total blöd. Ich finde, es ist eine sehr greifbare Illustration des Unterschiedes zwischen Können und Dürfen.

Eine Frage der Perspektive

Einer meiner großen Söhne denkt laut nach: „Dorfkinder verhalten sich anders als die aus der Stadt. Die vom Dorf trinken kein Radler oder so etwas, die trinken nur „richtiges“ Bier. Ich schaue ihn kommentarlos und leicht verwirrt an. Er fügt hinzu: „`Vom Dorf´ heißt für mich – die aus dem Landkreis.“ Ach so, klar, einige seiner Mitschüler wohnen nicht direkt in Celle, sondern in den umliegenden Ortschaften. Nach einem Moment schiebt er hinterher: „Für die Hamburger sind wir Celler `vom Dorf´.“

Vieles ist eine Frage der Perspektive.