Morgens um halb sechs im Bett hören meine Ohren alles: zum Beispiel das liebliche Gezwitscher der Vögel, die um diese Zeit ihre Liedchen trällern. Für den besonders eindrücklichen Klang sitzen sie dabei auf dem Busch direkt vor dem Schlafzimmerfenster – obwohl das wahrscheinlich gar nicht nötig wäre. Selbst mit dem Kissen überm Kopf, funktionieren meine Ohren hervorragend. (Glücklicherweise gewöhnt sich mein Gehirn nach einigen Wochen Frühling daran, so dass ich zwar immer noch alles höre, aber nicht mehr aufwache.)
Bei anderen Gelegenheiten höre ich ebenso gut, verstehe aber nichts: wenn mein Mann mit mir über unsere Finanzen sprechen will zum Beispiel. Die Akustik ist nicht das Problem, die Materie schon. Es ist kein Zufall, dass ich die Verwaltung unserer Geld-Geschäfte freiwillig und gern aus der Hand gegeben habe.
Dann sind da noch die Momente, in denen meine Ohren ihren Dienst mehr oder weniger verweigern – wahrscheinlich weil ich höflich bin: wenn ich so gern wüsste, was die Kinder kurz vor meinem Geburtstag Wichtiges zu besprechen haben; oder wenn ich in einem langweiligen Gespräch festhänge und von der viel interessanteren Unterhaltung anderer nur Fetzen mitbekomme.
Manchmal hätte ich am liebsten gar keine Ohren: wenn ich mich in meinem nach unten offenen Dachboden-Zimmer konzentrieren will und alle anderen sich lautstark unterhalten – gern über mehrere Etagen hinweg. Ich verstehe kein Wort, höre aber alles.
Eins ist klar: Meine Ohren sind super flexibel.