Ich lese viel und trotzdem …

Im Gespräch mit einer Freundin ging mir (und ihr) kürzlich auf, dass ich Wolfgang Herrndorf nicht kenne. Der Name sagte mir nichts. Der Blick meiner Freundin war deutlich: „Das kann nicht wahr sein, die kennt den nicht.“ Der Titel seines bekanntesten Buches „Tschick“ sagte mir dann doch etwas, aber ich hab´s nicht gelesen. Und nur vom Reinschauen – Schullektüre meiner Tochter – habe ich den Autorennamen nicht behalten.

Mir geht’s jetzt gar nicht darum, ob mir durch meine Ignoranz etwas entgangen ist oder nicht. Lektüre ist ohnehin Geschmackssache. Mir geht’s um etwas anderes: Was muss ich gelesen haben als Deutsche in Deutschland im 21. Jahrhundert? Welchen Autor muss ich kennen? Gibt es einen aktuellen Buch-Kanon, der Kulturgut ist, wird, sein sollte?

Grundsätzlich halte ich mich für eine Viel-Leserin – ohne dass ich weiß, wo beim Lesen der Durchschnitt liegt. Ich lese weder Arzt-Romane noch die Gala, auch Fantasy-Bücher sind nicht so meins, ich lese nur selten Krimis und kaum Sachbücher. Und doch lese ich relativ viel – vor allem Romane, gern auch Biografien und geistliche Bücher, am regelmäßigsten Bücher der Bibel. Und: Ich lese gern auf Englisch. Das schränkt mein Wissen um deutsche Literatur natürlich ein. Ob ein Buch auf der Spiegel-Bestseller-Liste steht oder nicht, interessiert mich nicht und ist kein ausschlaggebendes Kriterium. Auch beobachte ich nicht die aktuellen Neuerscheinungen oder die Frankfurter Buchmesse. Von daher bin ich wahrscheinlich nicht up to date, was „man“ so liest.

Viel zu lesen, ist nicht dasselbe wie Belesensein. Viel zu lesen, sorgt nicht dafür, dass ich die wichtigen Autoren kenne. (Wer auch immer festlegt, welcher Autor wichtig ist und welcher nicht.) Viel zu lesen, macht mich wahrscheinlich noch nicht einmal besonders schlau. Höchstens rechtschreibsicher, aber auch das ist nicht garantiert. Viel zu lesen macht mir Spaß, entspannt mich und erweitert meinen Horizont. Was ich lese, entscheidet darüber, in welche Richtung er erweitert wird. Dass ich Wolfgang Herrndorf nicht kenne, heißt nicht, dass ich die falschen Bücher lese. Auch wenn ich das einen klitzekleinen Augenblick gedacht habe.

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