Etwas fehlt

Ein Baum wurde vom Blitz getroffen, die Überreste ein paar Tage später von den Leuten des Grünflächenamtes entsorgt. Der Stumpf ragt noch ein kleines Stück aus der Erde, sonst könnte man auf den Gedanken kommen, da hätte nie ein Baum gestanden.

Stimmt nicht: Die Nachbarbäume zeigen ihn noch, den Baum. Bei ihnen hat er seine Spuren hinterlassen. Jahrzehntelange Nachbarschaft färbt ab. Jetzt sieht es so aus, als würde etwas fehlen.

Wie viel mehr stimmt das für uns Menschen? Ob wir es wollen oder nicht und egal, in welcher Beziehung wir zueinander stehen: Jede Form des Miteinanders – als Ehepaare, Freunde, Nachbarn, Kollegen – hinterlässt ihre Spuren. Je dichter die Beziehung, desto mehr färbt der andere in irgendeiner Weise auf mich ab. Vor allem diejenigen Menschen, die ich als herausfordernd empfinde, prägen mich. Es kann sein, dass „anstrengende“ Menschen mehr Einfluss auf meine charakterliche Entwicklung haben als die Leute, die leicht zufriedenzustellen sind. So sehr die unbequemen Zeitgenossen mich also herausfordern, so sehr würden sie mir fehlen, wären sie nicht da.

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