Erfahrungen – einerseits und andererseits

„… wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden …“
Römer 5, 3

Einer meiner Söhne wird in der Schule geärgert, weil er in manchem nicht mithalten kann: Er besitzt kein Handy und darf nicht unbegrenzt am Bildschirm sitzen – das hat er uns als Eltern zu `verdanken´. Außerdem trägt er keine coolen Klamotten und hat nicht den modischsten Haarschnitt: Ihm ist das nicht wichtig, zwei Jungen in seiner Klasse schon. Diese ärgern ihn häufig: „Ach, du tust mir so leid“, heißt es zum Beispiel, „du hast kein Handy und keine PS4 – was machst du eigentlich den ganzen Tag?“ Oder aber sie lachen über seine Cargo-Hosen, nehmen ihm die Mütze weg oder stopfen Müll in seine Kapuze. Zu zweit fühlen sie sich stärker – und sind es auch. Vielleicht ist das schon Mobbing; vielleicht ist es die normale Grausamkeit von Kindern.

Es tut mir sehr leid, dass es meinem Sohn so ergeht. Gern würde ich ihm helfen; die Frage ist, wie. Rein theoretisch wäre es möglich, ihm ein Handy zu geben und seine Bildschirm-Zeiten zu erweitern – allerdings halten wir das für unklug. `Coole´ Klamotten und ein angesagter Haarschnitt ließen sich ebenfalls organisieren. Aber letztlich ist beides stark vom Geschmack anderer abhängig – und also sehr vergänglich. Dennoch würden all diese `Maßnahmen´ die Angriffsfläche, die mein Sohn bietet, verkleinern; entfernen würden sie sie aber nicht. Ich bin sicher, den Jungen fiele dann etwas anderes ein: Es ist nicht die Frage, WAS, sondern OB man etwas bemängeln möchte.

Eine bessere Möglichkeit ist die, dass mein Sohn sich von den beiden fern hält – äußerlich und innerlich. Er kann die Unterrichts Pausen mit anderen Mitschülern verbringen: Das ist vergleichsweise leicht. Schwieriger wird es, sich von den verbalen Angriffen nicht verletzen zu lassen.

Unterm Strich wäre es schön, die beiden Jungen würden meinen Sohn nicht mehr ärgern. Noch schöner wäre, sie hätten damit gar nicht angefangen. Einerseits. Andererseits weiß ich, dass diese Erfahrung meinen Sohn innerlich stärker machen kann.

„Auf die Idee muss man erst einmal kommen, dass ausgerechnet das, was wir uns aus unserem Alltag immer wegwünschen – nämlich die Belastungen, die Widerstände und Schwierigkeiten – uns zu dem machen, was wir ohne sie immer werden wollten: standfest und geduldig, erfahren und bewährt, zuversichtlich und hoffnungsvoll.“
H. J. Eckstein

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