Der erste Zweig und das halbe Nest

Der erste Schritt ist der halbe Weg, sagen wir uns und nutzen zwei schöne Nachmittage für kleine Herbst-Einsätze im Garten. Am zweiten Tag widmen wir uns dem Efeu an der Terrasse, Motto: ein bisschen die Treppe frei-schneiden. Dabei finden wir ein vor Jahren verlassenes Vogelnest. Nicht zum ersten Mal staunen wir über dieses stabile Kunst-Werk. Wie genau machen die das, fragen wir uns, wie fangen sie an die Vögel? So ganz ohne Hände muss so ein Nestbau schwer sein, denken wir, und viel Geduld erfordern und Ausdauer. Schließlich fängt jedes Nest an mit einem Zweiglein – aber wie bitte bleibt das liegen? Ob der Vogel ahnt, dass der erste Zweig nur ein klitzekleiner, mühseliger Start ist, dem eine fleißige Bau-Phase folgen muss?

Während unser Rückschnitt-Aktion beschließen wir spontan, uns ganz von dem Efeu zu trennen. Auch die verholzten Efeu-Ranken müssen weichen; wir kappen die Verbindung direkt oberhalb der Wurzeln. Der Berg der zu häckselnden Biomasse wächst schnell; der Häcksler und ich, wir geben unser Bestes, kommen aber nicht hinterher. Dennoch ist am Ende des Sams-Tages alles abgeschnitten und fast alles gehäckselt – und meine Stimmung nach einigen Tiefpunkten wieder im grünen Bereich. NUR (haha) die Wurzeln selbst sind noch unberührt. Nach 20 Jahren ähneln sie dem Teil des Eisberges, der die Spitze trägt, aber in seiner umfassenden Größe unsichtbar bleibt. In diesem Fall ist der erste Schritt bei weitem nicht der halbe Weg, sondern nur ein klitzekleiner, mühseliger Start. Wir ahnen: Da kommt noch einiges auf uns zu …  

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