Rechts-vor-links-Situationen sind gefährlich – jedenfalls für Radfahrer. Es kommt vor, dass ich (unbeabsichtigt) übersehen werde, klar. Das ist doof, aber, solange nichts passiert, kein Problem. Wenn Autofahrer mich zwar bemerken und trotzdem ungerührt Gas geben, reagiere ich weniger entspannt. Das ist doof, und ich ärgere mich, obwohl nichts passiert. Denn wer mich mit Absicht übersieht, signalisiert mir, dass ich weniger wichtig bin. „Ich fass es nicht!“, murmele ich dann und schüttele innerlich den Kopf. Aber es nutzt ja nichts: Sowas passiert mir immer wieder.
Teuer? Ansichtssache!
„Es gibt nur noch Weihnachtsbriefmarken für 85 Cent“, sagt die Frau bei der Post, „weil das Briefporto zum neuen Jahr erhöht wird.“ „Schon wieder?“, entfährt es mir, „Ich kann mich noch an 50 Cent erinnern.“ Die letzte Porto-Erhöhung sei drei Jahre her, sagt die Frau hinterm Tresen verärgert, als wäre dies ihre eigene Entscheidung. Außerdem habe sie auch mal für fünf Euro die Stunde gearbeitet, die Zeiten änderten sich eben.
Da ist Musik in der Luft, spüre ich, weitere Kommentare spare ich mir. Vielleicht hat sie recht, vielleicht ist das Briefporto viel zu günstig – im Vergleich mit irgendetwas. Aber ich sehe wie klein und leicht meine Briefe sind und finde es teuer, dass einer davon bald 95 Cent kosten soll: immerhin fast so viel wie ein Liter Milch.
Ein paar Tage später schicke ich einen Brief nach Australien – für vergleichsweise günstige 1,10 Euro, und einen Kalender nach England – für nicht ganz so günstige 16,99 Euro. Da werde noch einer schlau aus der Preispolitik der Deutschen Post.
Wie gut!
Ich bin kein Typ für gute Vorsätze zum Jahresbeginn. Wenn es mir gelingt, eine gute neue Gewohnheit zu etablieren, hat das mehr mit meiner Disziplin und Entschlossenheit zu tun als mit dem Zeitpunkt. Natürlich ist die Zeit manchmal reif für etwas, aber das ist nun mal selten Ende Dezember.
Außerdem bin ich offenbar auch kein Typ für Gutscheine. Diese schieben etwas Gutes in eine ferne Zukunft – und machen daraus im Laufe der Zeit eine vage Erinnerung: Da war doch noch was? Unsere Kinder `schulden´ uns zum Beispiel noch ein Fancy dinner for two und einen Wandertag zu siebt im Harz. Mittlerweile hängen die – wunderschön gestalteten – Gutscheine dafür nicht mehr an der Pinwand. Und wir freuen uns sehr, wenn wir überhaupt alle zusammen hier am Tisch sitzen. Andersherum wird es oft schwierig, einen von mir verschenkten Gutschein bei mir einzulösen. Meine Freundin wartet allein von diesem Jahr noch auf zwei Unternehmungen mit mir: ein gemeinsamer Abend im Weinkeller in der Innenstadt und einmal Porzellan bemalen. In jedem Fall ist auch hier das Problem der richtige Zeitpunkt.
Fürs nächste Jahr nehme ich mir also vor, keine Gutscheine mehr zu verschenken, die nicht mit einem konkreten Datum versehen sind. In Bezug auf gemeinsame Unternehmungen ist es am besten, ich wähle in Zukunft die Variante: „Hast du spontan Zeit?“ Ich glaube, das ist mal ein wirklich guter Vorsatz!
Garten und so
Beim Gang `um den Pudding´ passieren wir einen Vorgarten nach dem anderen; sie unterscheiden sich signifikant. Spontan fallen uns Kategorien ein, jeweils mehrmals vertreten:
Profis am Werk – täglich
Tip-top in Ordnung und nahezu unkrautfrei
Liebevoll betüdelt, mit Mut zur Lücke
Bewusst pflegeleicht
Ganz passabel
Wir tun nur das Nötigste
Unser eigener befindet sich wohl nahe der Mitte. Ein Garten aber sticht heraus. Selbst in der beginnenden Dämmerung erahnen wir den Leitspruch dieser Hausbesitzer:
Ach, … , lass, es ist ein zu weites Feld …
Eine schöne Abwechslung
Eine meine Töchter ist in Afrika. Ich weiß, dass es heiß dort ist und sehr oft die Sonne scheint. Aber wenn wir mit ihr sprechen, geht es nicht um das Wetter; meist reden wir abends, nach Feierabend, dann ist es hier wie dort dunkel.
Heute meldet sie sich aus einem Kurzurlaub und schickt kurze Videos. Man hört nur Zikaden; die Landschaft ist menschenleer, die Luft klar, der Himmel tagsüber blauer als blau – und in der Abenddämmerung knall-orange. Und ich weiß, was mir im kalten November- und Dezember-grauen Norddeutschland fehlt: Ein bisschen Sonne wäre eine schöne Abwechslung.
Vegetarisch oder nicht?
In der Stadt sehe ich einen Transporter einer bekannten Lebensmittel-Marke mit dem Bild einer Wurst. Daneben steht: Vegetarische Fleischwurst. Das klingt komisch, denke ich und schaue nach. Laut Definition ist Wurst ein Produkt aus zerkleinertem Muskelfleisch, Speck und Gewürzen … so und so verarbeitet. Vegetarische Fleischwurst ist also ein Paradox.
Grundsätzlich finde ich es löblich, wenn man Vegetarier ist, um Tiere zu schonen – sozusagen. Als junge Studentin verzichtete ich auch ein paar Jahre auf Fleisch. Es fiel mir nicht schwer, aber nach ein paar Jahren hörte ich doch wieder auf; in Gemeinschaft ist es leichter, wenn alle alles essen.
Ich finde es inkonsequent, sich als Vegetarier einen Wurst-Ersatz zu suchen. Fast so, als würde man verzichten wollen, aber doch nicht so wirklich. Und anstatt dann ab und zu ein Steak zu essen oder Fleischwurst aufs Brot zu legen, muss eine Alternative her: kein totes Tier, aber etwas, was so aussieht und schmeckt und auch noch denselben Namen hat. Ich schränke mich ein, aber es darf mich nichts kosten – jedenfalls nicht das Geschmackserlebnis `totes Tier´. Vielleicht bin ich komisch, kann sein. Aber ich denke, man kann eben nicht alles haben wollen.
Das erste Mal? Vielleicht!
Beim Frühstück freue ich mich darauf, dass ich zum ersten Mal zu einer Chorprobe gehen werde. „Du hast in Heidelberg schon mal in einem Chor gesungen“, widerspricht mir mein Mann. Ich schaue ihn ungläubig an, weiß aber, dass mein `Ich bin mir ganz sicher´ mich schon oft getrügt hat.
Mein Erinnerungsvermögen ist selektiv: Nicht nur alte Schulfreunde erwähnen bisweilen Situationen, die mir komplett neu sind, obwohl ich dabei war. Lange her, klar – aber auch für sie! Und gegen meinen Mann habe ich noch nie eine Wette gewonnen, selbst wenn ich mir `ganz sicher´ war, recht zu haben.
Dementsprechend ahne ich, dass seine Wahrheit auch diesmal die richtige ist. Im Chor habe ich also gesungen, damals in Heidelberg, aha. Offenbar habe ich in Heidelberg nicht nur mein Herz verloren, sondern auch Teile meines Gedächtnisses.
Zwei Stunden später fahre ich zur Chorprobe. Wir sind nur wenige, die an diesem Lied-Projekt teilnehmen wollen: Gloria in excelsis Deo, allen bekannt. Nach ein paar Atem- und Sprechübungen verteilen wir die Stimmen. Normalerweise bin ich mit dem Sopran gut bedient. Es fällt mir nicht leicht, die Stimme zu halten; sicherer fühle ich mich, wenn ich die Melodie singen darf, die ich kenne. Da es den anderen offenbar ebenso geht, lasse ich mich ein auf den Alt – ich denke, zum ersten Mal, aber sicher bin ich mir nicht …
Nur Genießer fahren Fahrrad …
Ein Supermarkt hat gerade zwei Artikel im Angebot, die ich mag. Der von uns aus nächste liegt im Nachbarort, etwa vier oder fünf Kilometer entfernt. Allerdings ist die direkte Verbindung schon seit über einem Jahr gesperrt. Der offizielle Umweg ist weit – 30 Kilometer hin und zurück. Ein Schleichweg durch den Wald ist für Autos tabu; draußen ist es nieselig und kühl, langsam wird es dunkel.
Mein Kopf sagt, dass mir ein bisschen frische Luft guttun würde – und ich mich hinterher freuen werde, losgefahren zu sein. Also schnappe ich mir vorsorglich eine Regenhose und schwinge mich auf mein Rad. Schnell entwickelt sich der leichte Nieselriegen zu mehr, aber egal: Wie immer, wenn ich erstmal unterwegs bin, ist es in Ordnung. Auf dem Rückweg ist es stockfinster und die Strecke ohnehin menschenleer. Ich freue mich über mein zuverlässiges Rad, die wetterfesten Klamotten und dass wir am Rande der Stadt wohnen. Eine Fahrt durch Wald und Wiesen ist auch in der Dunkelheit schöner als dieselbe Tour durch die Stadt, inklusive Ampeln und Autolärm.
Als ich wieder zu Hause ankomme, ernte ich mitleidige Blicke, die gar nicht nötig sind. Manchmal nervt mich das Wetter, aber heute ist es irgendwie schön: Andere Leute gehen ins Fitness-Studio und schlucken Vitamine; ich fahre einfach bei Wind und Wetter mit dem Rad durch die Gegend.
Im Ernst?
„Wir haben Angst davor, im Alter zu verarmen“, lautet die Überschrift eines Artikels in einer Sonntagszeitung. Es ist ein realistisches Szenario: Altersarmut in Deutschland. Obwohl es mich (vielleicht noch) nicht betrifft, lese ich weiter – und bin erschüttert. Das Ehepaar, um das es geht, steht kurz vor der Rente. Beide verdienen gut bis sehr gut; sie rechnen mit einer gemeinsamen Rente von 4.000 Euro. Das Haus, in dem sie wohnen, ist abbezahlt und etwa 700.000 Euro wert, außerdem haben sie ein Vermögen von über 400.000 Euro in Aktien.
Ich kann die Überschrift nicht in Einklang bringen mit dem, was ich im Artikel selbst lese: Wo genau hat sich die drohende Altersarmut versteckt? Die Krux scheint in dem zu liegen, was sie monatlich benötigen, nämlich etwa 5.000 Euro – allein 3.000 davon für Haushalt, Essen und Essengehen, dazu kommen Reisen und Geschenke für Freunde …
Fast ist es mir peinlich, den Artikel zu Ende zu lesen; leider beschäftigt er mich hinterher noch über Gebühr.
Offenbar verstehe ich unter Verarmung etwas anderes als die beiden.
Zudem frage ich mich, wie zwei erwachsene, nicht pflegebedürftige Menschen monatlich so viel Geld ausgeben können.
Und wieso wollen die beiden unbedingt über ihre Verhältnisse leben, obwohl sie Angst vor Armut haben. Es wäre doch möglich, den Lebensstandard an das anzupassen, was geht: also zu verzichten – obwohl ich auch damit etwas anderes verbinde.
Wäre ich Chefredakteur, hätte ich den Artikel verhindert. Er ist eine verbale, aber nicht minder schmerzende Ohrfeige für all diejenigen, die wirklich Schwierigkeiten haben, über die Runden zu kommen.
Vorräte: Geld ausgeben oder sparen
Wo ich aufwuchs, gab es alles, was wir brauchten – und die Extras eher erratisch: Bananen sind das typische Beispiel, aber auch Orangen oder Weintrauben waren Mangelware. Wurden doch welche angeboten, versuchte man, auf Vorrat zu kaufen. Der Preis war Nebensache.
Heutzutage gibt es noch immer alles, was wir brauchen – inklusive aller vorstellbaren Extras. Manchmal heißt es, man solle sich bevorraten: nämlich in großen Mengen kaufen, was gerade im Angebot ist. Der Preis ist die Hauptsache.