Nicht nachvollziehbar

Sie könne meine Entscheidung – aus der Ferne und ohne Gespräch – nicht nachvollziehen, schreibt mir eine Bekannte und fährt fort, es gehe sie ja auch nichts an, aber sie wolle doch ehrlich bleiben. Ihre kritische (wenn auch ehrliche) Rückmeldung, ungefragt, trifft mich: Wieso sie mir das schreibt, frage ich mich, und nicht einfach mal nachfragt? Ich denke an die Sesamstraße: „Der, die, das; wer, wie, was; wieso weshalb warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm“, hieß es da und weiter: „1.000 tolle Sachen, die gibt es überall zu sehen; manchmal muss man fragen, um sie zu verstehen.“

Was für Kinder ein guter Rat ist, kann auch ich beherzigen: Wenn ich das nächste Mal die Entscheidung eines anderen nicht verstehe, will ich nachfragen, wie er dazu gekommen ist. Vielleicht kann ich dann nachvollziehen, worüber ich – aus der Ferne und ohne Gespräch – den Kopf geschüttelt hätte. 

Nicht genug

In der Vergangenheit hat es mich manchmal genervt, wie sehr der Holocaust immer wieder betont wurde. Ich dachte, irgendwann ist es doch mal gut mit dieser unserer Schuld. Heute denke ich, es ist offenbar noch lange nicht genug, an die Gräueltaten im Holocaust zu erinnern: Wenn 78 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges deutsche Studenten wieder offen gegen Juden die Stimme erheben; wenn im Zusammenhang mit ermordeten Juden einige Deutsche wieder die Phrase `selbst schuld´ in den Mund nehmen; wenn Juden nach dem Terrorangriff am 7. Oktober in Deutschland auf der Straße als die eigentlichen Aggressoren dargestellt werden …, dann ist es noch lange nicht gut. Dann schäme ich mich, dass ich dachte, es könnte jemals genug sein mit dem Erinnern.

Aktuell und relevant

Ich werfe einen kurzen Blick hinein in eine Talk Show; es geht (wie so oft) um aktuelle und relevante Themen. Leider herrscht (aktuell!) eine Redekultur, die mich nervös und fast ein bisschen aggressiv macht: Es gibt immer mindestens einen, der unterbricht und sein Rede-Recht über das der anderen stellt. Das führt fast immer zu einer emotional-aufgeheizten Debatte, die für manche Beteiligten sehr unangenehm und für mich als Zuschauer höchst peinlich mitzuerleben ist. Der Moderator ist entweder nicht in der Lage oder nicht willens, seiner (relevanten!) Rolle gemäß einzugreifen und für ein gutes und respektvolles Miteinander zu sorgen. Solche Gesprächsrunden sind nichts für mich, denke ich: weder als teilnehmender Teilnehmer noch als beobachtende Randfigur. Von daher schalte ich (buchstäblich) ab – wie aktuell und relevant auch immer die Themen sind.

Informativ?

In der Zeitung lese ich eine kurze Notiz: Eine bekannte Schauspielerin würde einen bestimmten Charakter wieder spielen – sollte sie ein entsprechendes Angebot erhalten. Noch habe sie nichts in Aussicht, aber sie sei grundsätzlich bereit. Ich verstehe ja, dass nicht alles, was in der Zeitung steht, für jeden gleich informativ ist. Wir sind unterschiedlich interessiert: Der eine will dieses wissen, der andere jenes. Aber `Sie würde, wenn sie könnte?´ hat als Nachricht überhaupt keinen Wert an sich! Weder ich bin nach dem Lesen schlauer als vorher – noch sonst irgend jemand, der unsere Tageszeitung liest. Es sei denn, im Celler Land wohnt jetzt schon der nächste Hollywood-Regisseur.

Ein Gespräch

Ein Gespräch ist per Definition, wenn Menschen miteinander kommunizieren. Im Idealfall reden alle Beteiligten ähnlich viel; im Normalfall trifft das aber nicht zu. „Vielen Dank für das schöne Gespräch!“ sagte kürzlich eine Frau zu meinem Mann – nur dass dieser nach eigener Einschätzung kaum zu Wort kam. Er ist einer von den Stilleren: Sein Redeanteil liegt meist bei unter 30 Prozent. Verglichen mit ihm sind die meisten anderen Vielredner – eine Klasse für sich, nicht homogen:
Einige von ihnen reden zwar viel, aber interessant und inspirierend. Außerdem beziehen sie ihr Gegenüber bei aller Rederei mit ein und beleben das `Gespräch´. Ohne sie gäbe es manche unangenehmen Schweige-Momente.
Andere Leute wiederum reden viel, verlieren sich aber im Detail und gelten schlimmstenfalls als Langweiler. Sie hören nur sich selbst: Was die anderen zu sagen haben, prallt buchstäblich auf taube Ohren.
In der dritten Gruppen der Vielredner sind Piraten: Sie kapern jeden Redebeitrag ihres Gegenübers und nutzen ihn als Aufhänger, um zu sagen, was ihnen selbst wichtig ist. Bei uns gilt dieses Vorgehen als die `feindliche Übernahme eines Gesprächsstranges´. Dagegen sind die meisten anderen nahezu chancenlos. Ob trotzdem Kommunikation stattfindet, hängt ganz davon ab, wie man `Gespräch´ definiert.

Erst reden, dann denken

Wir kommunizieren unterschiedlich und können dies äußerst vielfältig tun: persönlich reden, am Telefon oder einander schreiben – per Brief, Mail, WhatsApp, SMS etc. Und dann gibt´s da noch die Sprachnachricht. Diese ist für den Absender sicher super praktisch – man nimmt sie so `nebenbei´ auf, muss nicht tippen und kann an das Anliegen einen Haken machen. Mir als Empfänger allerdings sind Sprachnachrichten meist zu lang. Sechs bis zehn Minütchen, das klingt kurz, fühlt sich aber lang an: Ohne den anderen zu sehen, höre ich nur zu; Denkpausen machen mich ungeduldig. Vis-à-vis ist `erst reden, dann denken´ schon anstrengend genug. Aber manchmal geht es im persönlichen Gespräch nicht anders. Für eine Sprachnachricht jedoch gilt unbedingt `erst denken, dann reden´; alles andere ist für den Zuhörer einfach nur anstrengend und nervig. Finde ich. 

Besonders nicht interessiert

„Wie war Australien?“, fragt er mich. „Wunderbar“, sage ich, „ich war so richtig weg von meinem Alltag und konnte einmal richtig abschalten.“ Meine kurze Sprechpause nutzt er, um mir von seinen Urlauben zu erzählen, wie und wobei er richtig abschalten kann (beim Wandern), ab wann er sich wieder nach seiner gewohnten Umgebung sehnt (spätestens nach zehn Tagen) und dass man zweijährige Kinder unterwegs oft tragen muss … Die Krönung bildet ein längerer Bericht über eine unvergessliche Wohnwagen-Reise auf die Lofoten in den 90er Jahren. Unsere halbe Stunde ist um; ich fahre nach Hause. Der Mensch ist nett freundlich; ich kann ihm gut zuhören. Aber so dermaßen offensichtlich nicht interessiert zu sein am Ergehen anderer – wahrscheinlich, ohne es selbst zu merken: Das ist schon besonders.

Am Telefon

Es war, ist und wird mir ein Rätsel bleiben, wieso Menschen in der Öffentlichkeit telefonieren – und dann auch noch im Lautsprecher-Modus. Die trauen sich was, denke ich, denen ist nicht viel peinlich. Ich habe schon Gespräche mitgehört über Themen, die mich wirklich nichts angehen und mich nicht interessieren: „… wie der mich behandelt hat …“, „… der Kostenvoranschlag muss dann noch einmal überarbeitet werden und geht neu raus …“. Ich kann dann nicht in Ruhe über meine eigenen Themen nachdenken oder einfach nur still sein. Stattdessen muss ich zuhören – ungefragt. Dabei will ich das alles gar nicht wissen! Manchmal bin ich deshalb drauf und dran, mich aktiv in das Gesagte einzumischen und (ebenso ungefragt) meine Meinung zu sagen. Vielleicht käme das Telefongespräch dadurch spontan zu einem vorzeitigen Ende? Zwar telefonieren diese Menschen in der Öffentlichkeit, aber dass die Öffentlichkeit sich daran beteiligt, ist ihnen wahrscheinlich doch nicht recht. Bisher konnte ich mich beherrschen: Ich trau mich einfach nicht, es wäre mir peinlich. 

Vom Schweigen

„Wenn du nicht auf das hörst, was Menschen zu sagen haben, wirst du irgendwann von Menschen umgeben sein, die nichts zu sagen haben.“ Dieser schlaue Satz ist nicht von mir, kam mir aber heute in den Sinn. Denn ich war mit jemandem unterwegs, der sehr viel (oder zu viel) zu sagen hatte. Nicht nur, dass mir das Zuhören zunehmend schwer fiel; mir verging auch die Lust, mich selbst zu äußern. Ich hätte nichts dagegen gehabt, ein bisschen gemeinsam zu schweigen.

Wie sagt mein Mann gern und oft zutreffend: Nicht jeder hat die Gabe der wenigen Worte … 

Alter Ego

I am not at home, but as far away as I could possibly be – down under again. Talking to my friends here in Australia is easy because we connect as we did 31 years ago. On the second day our conversation touches the concept of `alter ego´. What does this even mean in German, I ask myself, let alone in English. I struggle a little, but still we have this kind of philosophical discussion. How our inner self, our true personality (or our inseparable friend as the English dictionary puts it) sometimes gets buried underneath the person we have to be: on duty, functioning, (overly) polite, and also not able or willing to reveal everything about us towards anybody we get together with … and so on and so forth.

Our talk lasts half an hour or longer, all the while my host makes a cake, her daughter going in and out the garden, and also her mother putting her book away and contributing to our conversation. After a while we assume that to be away from our normal everyday life can help to find our alter ego and to engage with our inner personality. For the whole time I enjoy myself a lot: probably because part of my alter ego is this philosophical person – a quality in me which appears while I am not at home but as far away as I could possibly be.

It will be interesting what other qualities will resurface while I´m here.