Ohne Antwort

Meine Briefe bleiben heutzutage in der Regel ohne Antwort, kaum einer meiner (Brief-)Freunde schreibt zurück. Es ist viel leichter und schneller und mit weniger Aufwand möglich, über andere Kommunikationswege miteinander in Kontakt zu treten. Allerdings: Fürs Telefonieren scheint nie der richtige Zeitpunkt zu sein; private Mails werden ebenso unzuverlässig beantwortet wie Briefe – sie gehen unter in der Flut der digitalen Informationen; auch SMS verhallen bei „ganz modernen Menschen“ ungelesen. Das einzig Wahre sind angeblich WhatsApp-Nachrichten. Ich habe keine Erfahrung damit, ob diese noch zwingend beantwortet werden – ich nutze diesen Messenger-Dienst nicht. Es gibt jedoch Menschen, die sich diesbezüglich sehr um mich bemühen und versichern, auf eine WhatsApp-Nachricht von mir würden sie sofort reagieren. Ob ich das glauben kann?

Noch wehre ich mich, noch verweigere ich mich. Ich will nicht derart vernetzt sein. Da bleibe ich doch lieber ohne Antwort. Selbst Schuld.

Klar und schön

Ich mag es, wenn Menschen sich gut ausdrücken, wenn etwas schön klingt. Ich mag klar gewählte Worte. Damit meine ich keine besonderes intelligente Sprache: Klar kann einfach und darf nicht kompliziert sein, meist auch kurz. Ich möchte verstehen, was gesagt oder geschrieben wird, ohne lange darüber nachdenken oder ein Fremdwörterbuch zu Hilfe nehmen zu müssen.

„Gönn dir“, schallt es manchmal durch unser Haus. Das ist kurz und klar, aber schön finde ich es nicht. „Mach mal kein Auge“, ist auch kurz, aber weder schön noch leicht verständlich. Aus „echt krass“ sind wir rausgewachsen. Mal sehen, was sonst noch so kommt an „klar, aber nicht schön“.

Fragen und Antworten

„Mama, du antwortest oft so ausführlich, dass ich mir genau überlege, ob ich die Frage überhaupt stellen will“, findet eine unserer Töchter, „Papa dagegen sagt manchmal nur das Allernötigste.“

Nun bieten wir schon zwei Antwort-Varianten, aber den Kindern gefällt weder die eine noch die andere. Immerhin wissen sie, dass sie alles fragen können.

Praktisch?

„Macht ihr heute Abend was zusammen, deine Freunde und du?“, frage ich meinen Sohn. „Ich weiß es noch nicht“, lautet die Antwort. „Wann weißt du das?“, versuche ich es weiter. „Das weiß ich auch noch nicht“, sagt er und grinst. „Mama, es ist nicht so einfach mit meinen Leuten. Das läuft alles ganz spontan.“

Ich habe eher den Eindruck, da läuft manchmal gar nichts vor lauter Spontaneität und „last minute“-Verhalten. Es könnte mir egal sein; es ist schließlich auch in Ordnung, nichts zu unternehmen. Trotzdem ist mir dieses Miteinander heutzutage ein Rätsel. Wahrscheinlich habe ich zu wenig Einblick, wie das mit den verschiedenen WhatsApp-Gruppen funktioniert, wer initiiert, wer reagiert, und wie es dann letztlich zu einer Entscheidung kommt. „Treffen wir uns?“, ist ein komplizierter Vorgang geworden, der tendenziell viel Zeit kostet. Dabei sollen die sozialen Medien doch letztlich praktisch sein und eine große Zeitersparnis. Sie bieten schließlich diverse Möglichkeiten, miteinander in Kontakt zu treten.

Aber vielleicht ist „praktisch“ gar nicht das, was heutzutage zählt. Vielleicht ist „praktisch“ die Denke einer Frau aus dem letzten Jahrhundert. Bei der Wahl der Kommunikationsmittel scheint es nicht um den Nutzen zu gehen, sondern um das Benutzen.

Gleich

Für mich beinhaltet das Wort „gleich“, dass ich etwas „ziemlich bald“ erledigen werde. Das mag abstrakt klingen, ist für mich aber sehr konkret. Schon „in zwei Stunden“ fällt für mich nicht mehr unter „gleich“ und morgen erst recht nicht.

Bei kleinen Kindern dauert „gleich“ manchmal länger als bei mir. Sie vergessen sich – und dann ist „gleich“ schon vorbei. Sie machen das nicht absichtlich, es passiert einfach – und ein wenig habe ich meine eigenen Kinder manchmal beneidet um dieses Absorbiertsein im Spiel, um diese Gedankenlosigkeit, um diesen Fokus auf ihr Tun: All das hatte der Unterbrechung durch mich außerordentlich viel Widerstand entgegenzuhalten – ohne dass sie sich dessen auch nur bewusst waren. Ihr Ziel war es nicht, mich zu ärgern, zu ignorieren oder sonstwas. Sie ließen sich nur nicht wirklich herausreißen aus ihrem Tun, wollten aber auf mich reagieren und wahrscheinlich auch „gleich“ kommen.

Teenager sind ein anderer Schnack. Sie verstehen „gleich“ anders. Für sie ist „gleich“ ein sehr dehnbarer Begriff. Sie müssen nicht unbedingt besonders fokussiert bei einer Sache sein, um mütterliche Aufforderungen zu ignorieren. „Gleich“ wird von ihnen eher als Hinhaltetaktik benutzt. „Gleich“ kaschiert eine gewisse Verweigerungshaltung, die Jugendliche gern zu Hause einnehmen. Dahinter steht: „Ich will eigentlich nicht das Bad putzen/den Ranzen auf mein Zimmer bringen/den Tisch decken/Vokabeln lernen …“ Um den offenen Konflikt zu vermeiden, gibt es verschiedene Strategien. „Gleich“ ist eine davon. Sie ist gar nicht böse gemeint, bringt mich aber trotzdem manchmal auf die Palme.

Ganz ehrlich

Ich finde, ich kann nicht gut malen. Überhaupt nicht, ganz ehrlich. Pferde, Hunde, Katzen, Kühe und Schafe – alle sehen gleich aus. Häuser gehen, aber die Proportionen für die Fenster sind meist total unrealistisch. Ausmalen kann ich, das ist alles. Wenn ich meinen eigenen noch kleinen Kindern früher sagte, ich könne nicht gut malen, reagierten diese mit Empörung. Nach dem Motto: „Mama, wenn du nicht gut malen kannst, wie sehen meine Bilder dann aus?“ Verglichen mit einem kleinen Kind kann ich ein bisschen besser malen. Ihnen gegenüber zu behaupten, ich könne es gar nicht, hat sie entmutigt – also habe ich es nach einer Weile nicht mehr getan.

Mein Mann kann viel besser Mathe als ich, aber er sagt, er halte sich diesbezüglich für nicht sonderlich schlau. Er ist darin ganz ehrlich, aber mir tut diese Ehrlichkeit nicht gut: Sie lässt mich zweifeln, ob ich mein Mathe-Abi überhaupt verdient habe.

Letztens schrieb ich in einem Brief an eine ältere Dame ganz ehrlich, dass ich mein Alter spüre. Körperlich und geistig. Ich schrieb: „Ich bin in einer Lebensphase, in der Routine den Schwund an geistiger Beweglichkeit noch wettmacht; ich hoffe, ich merke, wenn dem nicht mehr so ist.“ Ich habe den Brief nicht abgeschickt. Ich horchte hinein in die 80-Jährige und wusste nicht, wie sie mit meiner ehrlichen Meinung zu mir selbst umgehen würde. Ob sie sich infrage gestellt fühlte ob ihres eigenen Alters und ihrer eigenen Geistesfrische.

Ganz ehrlich zu sein ist oft erfrischend und manchmal trotzdem nicht angebracht.

Entschieden angepasst

Als angepasst gelten wir nur ungern, oder? Es klingt ein bisschen negativ: „Der ist so angepasst, der zeigt wenig Profil.“ Angepasste Menschen reagieren eher als zu agieren und haben keine klare eigene Meinung. Sie sind meist von jedermann gut gelitten, können aber leicht überrollt werden – und schon funktioniert Gemeinschaft nicht mehr so gut. Vorteil: Sie sind eher kompromissbereit. Nachteil: Sie knicken schnell ein. Über angepasste Menschen kann man sich herrlich ärgern.

„Die vertritt sehr entschieden ihre Meinung“, klingt nicht unbedingt positiv. Entschieden lässt wenig Spielraum für andere Optionen und kann sich deshalb kompromisslos anhören. Kompromisslos wollen wir nicht sein, außerdem ist es nicht hilfreich im Miteinander. Vorteil: An entschiedenen Menschen können wir uns gut orientieren – sollten wir selbst keine ganz so klare Position innehaben. Nachteil: An der klaren Position entschiedener Menschen entzündet sich so manche Auseinandersetzung. Mit entschiedenen Menschen kann man sich herrlich streiten.

Im Miteinander ist dauerndes Abwägen gefragt zwischen Anpassungsfähigkeit und Entschiedenheit. Ein gutes Miteinander funktioniert nur mit ehrlichen Meinungsäußerungen UND Kompromissen. Mal wieder braucht´s eine gute Balance.

Jogginghosen

„Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“
Karl Lagerfeld

Jetzt ist Karl Lagerfeld gestorben, aber ich hätte ihn auch vorher schwerlich fragen können, ob er das wirklich ernst gemeint hat. Oder ob dieser Satz ebenso zu seiner ganz persönlichen Performance in der Öffentlichkeit gehört hat wie sein Outfit mit Sonnenbrille, gepudertem Zopf und hohem Hemdkragen. Natürlich alles in schwarz/weiß.

Es ist ein Satz, der einen schmunzeln lässt – egal ob man Jogginghosenträger ist oder nicht. „Ist da was dran?“, frage ich mich. Ich habe den Wechsel vom absoluten Jogginghosen-Gegner zum Jogginghosenträger schon vor Jahren vollzogen – und keinen Kontrollverlust dabei empfunden. Vielleicht sieht man den auch nur von außen, keine Ahnung. Ich lasse meinen Sohn sogar mit Jogginghose in die Schule. Solange er die Teile bequem findet und nicht peinlich, gibt es andere Dinge, die mir deutlich wichtiger sind für sein Auftreten in der Öffentlichkeit. Und auch für sein Selbstbild.

Der Satz selbst beschreibt einen Massenzwang – selbst auferlegt -, dem ich mich nur ungern beugen möchte. Solange wir derartige Sätze „chic“ finden, haben wir nicht verstanden, wie viel wichtiger unser Verhalten als unsere äußere Erscheinung ist. In Verbindung mit Karl Lagerfeld ist der Satz aber auch ein Vermächtnis – selbst auferlegt -, dem er sich vielleicht gar nicht wirklich gebeugt hat: Ich will ihm nicht unterstellen, dass er ein oberflächlicher Mensch war. Es kann sogar sein, dass er seinen Worten deutlich weniger Gewicht beigemessen hat als die Welt um ihn herum. Sie sind nur (leider) die ersten und vielleicht einzigen, die uns zu Karl Lagerfeld einfallen.

Was man in der Schule lernt – und was nicht

Mein jüngster Sohn kann sprechen und zuhören. Das hat er zu Hause gelernt, neben vielen anderen Dingen, die nichts mit der deutschen Sprache zu tun haben. Er weiß, dass man miteinander reden kann – direkt oder per Telefon. Für andere Kommunikationswege und auch, um noch mehr zu lernen, muss man schreiben und lesen können. Das – und viele andere Dinge – lernt er in der Schule, er ist in der vierten Klasse. Deutschunterricht ist wichtig, aber auch mühsam, denn unsere Sprache hat viele Worte und ein kompliziertes Regelwerk. Wir helfen ihm, indem er zu Hause redet, liest und manchmal etwas schreibt.

Heute kam er aus der Schule nach Hause und sagte als erstes: „Mama, das war so cool – wir hatten keinen Deutschunterricht.“ „Wieso? Kannst du schon alles oder war die Lehrerin krank?“ „Nein, wir hatten stattdessen Klassenrat, weil XY gemobbt wird. Über WhatsApp, da werden von anderen Mitschülern blöde Sachen über sie ins Internet gestellt. Das kann jetzt die ganze Welt sehen – naja, vielleicht nicht die GANZE, aber doch ziemlich viele Leute. Und die Dinge bleiben ja da stehen, weißt du?“

Ja, weiß ich. Noch bevor die Kinder heutzutage wissen, wie man richtig Schreckschraube schreibt, bezeichnen sie einander so und schlimmer – aber nicht mehr direkt von Angesicht zu Angesicht, sondern von einem mobilen Handgerät zum nächsten. Und „alle Welt“ kann daran teilhaben. Es ist wichtig, dass die Kinder darüber sprechen – keine Frage. Aber ich denke, für diese Lernfelder sind die Eltern zuständig. Deutschunterricht hilft Kindern, gut mit ihrer Muttersprache umzugehen. Eltern helfen ihren Kinder, gut miteinander umzugehen. Wenn es sein muss auch mittels eines Gerätes, das Kinder bedienen können, ohne lesen und schreiben zu können.

Schule kann sich nicht um die gesamte Erziehung kümmern – auch wenn wir gern jemanden hätten, den wir für alles verantwortlich machen können.

Was willst du mir damit sagen?

„Du siehst blass aus mit der Mütze“, habe ich beim Laufen meinem Mann zugeraunt. Warum? Ich weiß es nicht. Es war mir schon vor ein paar Tagen aufgefallen, als wir uns anzogen: Die schwarze Mütze macht ihn blass, zumal er mitten im Winter ohnehin nicht soviel Farbe im Gesicht hat.

Seine Reaktion: „Aha. Interessant. Was willst du mir damit sagen? Es könnte sein, dass du mich motivieren möchtest, mir eine andersfarbige Mütze zu kaufen. Vielleicht sollte ich auch – um der Optik willen – ganz auf eine Kopfbedeckung verzichten? Was – und vor allem wen!!! – interessieren meine abgefrorenen Ohren! Oder aber du wunderst dich, dass ich überhaupt blass bin, und machst dir Sorgen? Es könnte auch sein, dass du mir mitteilen möchtest, dass ich wirklich nicht gut aussehe und doch mal etwas dagegen tun könnte – was auch immer das sein könnte.“

Abgesehen davon, dass ich während des Laufens – im Gegensatz zu sonstigen Gelegenheiten – nur höchst selten zu langen Debatten aufgelegt bin, glaube ich: Mein Satz war eine lapidar dahingeworfene Bemerkung, ganz ohne Sinn und Verstand und vor allem ohne ein anvisiertes Ziel. Aus Sicht meines Mannes gibt es das nicht – zweckfreie Kommentare. Irgendeine Motivation steckt hinter jeder Aussage. Wenn das stimmt, muss ich bekennen: Ich kenne meine Motive nicht, ich werde aus mir selbst nicht schlau. Und obwohl ich weiß, welches Gedankenkarussell ich bisweilen bei meinem Mann auslöse, schwappen derartige Sätze immer wieder aus mir heraus. Ohne dass ich genau weiß, was ich mit ihnen sagen will. Wahrscheinlich vor allem dieses: „Du siehst blass aus mit der Mütze!“