Gesprächig

Es ist nicht gut oder schlecht, viel oder wenig zu reden – beides hat seine Berechtigung, Menschen sind unterschiedlich. Mir fällt es nicht schwer, ein Gespräch anzufangen und am Laufen zu halten. Es reicht ein Telefonanruf einer Freundin oder ein Treffen mit jemandem, den ich länger nicht gesehen habe. Schon sprudele ich los: über mein Leben, gelesene Bücher, interessante Ansichten schlauer Leute. Ich spekuliere oder verbinde Erfahrungen anderer mit meinen eigenen. Während ich rede, sortiere ich meine Gedanken.

Das war schon immer so, aber erst seit einigen Jahren nehme ich mich als gesprächig war. Wahrscheinlich rede ich sogar weniger als früher, aber heutzutage weiß ich, dass mein Redebedarf eher hoch ist. Deshalb frage ich mich heute manchmal nach einem Gespräch, ob ich zu viel geredet habe. Woran liegt das?

Mein Bezugssystem hat sich verändert: Ich bin mit einem Mann verheiratet, der sparsam mit Worten umgeht. Verglichen mit ihm bin und fühle ich mich sehr gesprächig, manchmal sogar zu gesprächig – selbst wenn er gar nicht dabei ist.

„Immer und Nie“ sind nicht übertrieben

Manchmal bekomme ich Kommentare von Unbekannten auf meine Text-Einträge. Diese sind (bisher) IMMER auf Englisch und IMMER voller Lob. Sie gehen runter wie Öl. Dennoch veröffentliche ich sie NIE – denn sie sind NIE ernst gemeint.

Zum einen beziehen sich diese englischen Kommentare IMMER auf meine deutschen Texte und haben inhaltlich NIE etwas mit diesen zu tun. Zum anderen sind sie IMMER so wertschätzend und lobend, dass ich sie bei allem Wunsch nach Lob und Anerkennung NIE glauben kann.

Als ich kürzlich darüber schrieb, dass ein Liedtext mich erinnert an 30 Jahre alte Erlebnisse, kommentierte jemand: „It`s hard to come by exerienced people for this topic, but you sound like you know what you`re talking about! Thanks!“ (Es ist schwer, Menschen zu finden, die sich mit diesem Thema auskennen; du aber weißt offensichtlich, wovon du sprichst. Danke!)

Lasst sie stecken, diese Lobhudeleien, liebe Leute (oder liebe Computer). Ihr wisst offensichtlich nicht, wovon ihr sprecht. Das wird nicht besser, wenn ihr es trotzdem versucht.

(Nicht) üblich?

Es ist Neujahr, ich besuche meine Eltern und gehe mit meiner Mutter spazieren. Die wenigen, die außer uns noch unterwegs sind, reagieren überrascht auf mein „Frohes Neues Jahr!“, lächeln aber und antworten freundlich. „Das ist hier nicht üblich“, raunt mir meine Mutter nach der dritten Begegnung zu. Ehrlich gesagt ist mir das egal; ich wünsche trotzdem jedem, den ich am 1. Januar treffe, ein gutes, frohes oder auch gesegnetes Neues Jahr.

Einen Tag später bin ich wieder zu Hause und gehe eine Runde laufen. Jeder, der mir begegnet, ruft mir (wohlgemerkt am 2. Januar!) ein „Frohes Neues Jahr“ zu – ob ich denjenigen vom Sehen kenne oder nicht, spielt keine Rolle. Bei uns ist das offensichtlich eher üblich.

Aber hat „üblich“ überhaupt mit dem Ort zu tun und nicht vielmehr mit den dort lebenden Menschen? Ich schätze, wie es in den Wald hinein schallt, so schallt es auch heraus: Wird mein Gruß erwidert, werde ich damit weitermachen – und vielleicht andere anstecken. Ernte ich für mein „Frohes Neues Jahr“ hingegen öfter ein stumpfes Schweigen, gewöhne ich mir wahrscheinlich mein Grüßen wieder ab. Mein Umfeld färbt auf mich ab – und ich auf mein Umfeld. Was hier oder da üblich ist, hat auch ein wenig mit mir selbst zu tun.

Kommunikationswirbel

Jemand, den ich schätze, beantwortet meine Briefe, SMS oder Mails sehr sporadisch – meist mit großer Verzögerung. Jedesmal freue ich mich unbändig über seine Reaktion und schreibe dann gleich zurück – meist sehr ausführlich. Mit großer Sicherheit schaffe ich es dadurch, ihn wieder zum Verstummen zu bringen. So als wäre sein Kommunizieren wie ein glimmender Docht, der ab und an aufflackert – nur um dann von einem scheinbar(!) unkontrollierten Schwall aus Begeisterung und Information meinerseits ausgeblasen zu werden. Er braucht jedesmal Monate, um sich davon zu erholen und mir erneut ein kurzes Lebenszeichen zu senden. Dieses kommt IMMER, wenn ich schon gar nicht mehr damit rechne. Und dann freue ich mich so unbändig über seine Reaktion, dass ich gleich zurück schreibe – meist sehr ausführlich …

Unverblümt

„Wir können uns zum Tee treffen – aber nur für ein Stündchen, möglichst am Nachmittag und erst nächste Woche.“ Das ist meine Antwort auf die Anfrage einer Bekannten. Daraufhin schreibt sie, sie schätze meine unverblümte Ehrlichkeit – und zieht ihre Anfrage zurück. Wenn ich Lust verspüren sollte, könne ich mich ja melden. Sie klingt verletzt, so, als hätte ich – unverblümt ehrlich – geschrieben, dass ich mich nicht treffen möchte. Ich bin verwirrt und antworte (unverblümt ehrlich), dass wir uns treffen können – für ein Stündchen, möglichst am Nachmittag und erst nächste Woche.

Es ist nicht so leicht mit der Ehrlichkeit, sie kann ebenso verletzen wie die Lüge.

Die Wiederbelebung des Briefes

Seit Corona erschallt laut und oft der Ruf nach mehr digitaler Entwicklung – als wäre dies die Lösung für alles. Dabei ist Digitalisierung zwar sicher hilfreich, aber eben kein 100-prozentiger Ersatz für analogen Kontakt: Weder Lehre in Schule oder an der Uni noch das Arbeiten zu Hause funktionieren digital genauso gut wie die tatsächliche Anwesenheit im Unterricht oder im Büro. Das liegt nicht nur an fehlenden Gerätschaften, schwachem Internet, den Kosten oder dem eventuell nicht vorhandenen Know-how: Das Miteinander über Bildschirme hat Grenzen – im Privatleben und ebenso in Schule oder Beruf. Menschen fühlen sich allein, auch wenn sie über ein Handy verfügen und auf diverse Social Media-Dienste zurückgreifen können. Daher initiieren einige Ehrenamtliche in unserer Stadt derzeit Brieffreundschaften. Wer will, darf mitmachen und Patienten im Krankenhaus oder auch allein lebenden Menschen Briefe schreiben.

Ich finde das großartig und hoffe, es wird nicht nur ein kurzes Aufflackern: Corona kann verschwinden, der Brief darf bleiben!

Wunderbare Vielfalt

In unserer Tageszeitung sind zwei Leserbriefe zu den Corona-Maßnahmen im November abgedruckt – sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Der eine Schreiber empfindet diese als zunehmend unerträglich und unschön hinsichtlich der persönlichen Freiheit. Dem anderen reichen die Maßnahmen nicht weit genug: Er fordert deutlich drastischere Einschnitte – nämlich zwei Wochen radikale häusliche Abschottung, medizinische Notversorgung und einen Lieferdienst für Lebensmittel durch Einsatztrupps.

Egal, was ich von beiden Briefen halte: Sie offenbaren den tiefen Graben, den das Virus in unserer Gesellschaft ausgehoben hat. Ich frage mich, wie wir ihn wieder schließen können und dabei trotzdem gut und respektvoll miteinander umgehen. Meinungsvielfalt ist großartig – und anstrengend. Wir müssen sie wahrnehmen, aushalten und für ein gutes Miteinander nutzen. Dabei können wir uns wunderbar ergänzen oder herrlich streiten; der Ton (in der Auseinandersetzung) macht die Musik (des gemeinsamen Kompromisses). Demokratisches Verhalten ist nicht den Politikern vorbehalten. Es fängt nicht erst in Ämtern oder Parlamenten an, sondern direkt in meiner Nachbarschaft.

Keine Antwort!

Vor ein paar Wochen unterhielt ich mich mit einer Freundin – es war besonders persönlich und offen. Kurz danach schrieb ich ihr einen Brief, der ohne Antwort bliebt. So etwas kommt oft vor, ich kenne das. Trotzdem wundert es mich immer wieder – und verunsichert mich. Denn: Der Wunsch nach einer Antwort ist so fest in mir verankert wie das Bedürfnis, selbst auf eine persönliche Anfrage zu reagieren. So `ticke´ ich. 

Ich sollte mich damit abfinden: Ein Mensch, der antwortet, ist die Ausnahme; ein schnell antwortender Mensch ist eine Sternstunde. Dabei können wir ungleich mehr Kommunikationswege nutzen als jemals zuvor.

Der Brief stirbt aus und ich kann nichts dagegen tun. Seit es digital geht, schreibt kaum noch jemand mit der Hand. Stattdessen nutzen wir: Telefon, Kurz- oder Sprachnachricht, Mail oder das gute alte persönliche Gespräch. Damit könnte ich leben; womit ich schlecht zurechtkomme, ist – Schweigen auf allen Kanälen.

Ein paar Wochen später frage ich nach. Meine Freundin entschuldigt sich wortreich per Kurznachricht. Untergegangen sei mein Brief in den Ereignissen der vergangenen Zeit, obwohl er danach „schreit, dass wir weiter denken und uns stundenlang austauschen“. Es wird nicht dazu kommen, ich ahne es. Zu viel passiert in unseren Leben. Vielleicht auch zu viel, was wichtiger ist als der Austausch darüber, was unsere Seele beschäftigt und warum. Die Fülle des Alltags verhindert, innezuhalten und zu reflektieren. Ich finde es schade, aber das ist ein anderes Thema.

Ich weiß auch was!

Ich höre einen Vortrag und werde den Inhalt komplett vergessen. Nur die Rednerin selbst hinterlässt einen bleibenden Eindruck bei mir: Sie erzählt von ihrem Mann, der viel weiß, alles gründlich durchdenkt und noch dazu überzeugend argumentiert: „Seien Sie mal mit so jemandem verheiratet – das ist anstrengend!“ Ich lächle wissend – und fühle mich verstanden. Gleich im Anschluss sagt sie fast trotzig diesen Satz: „Aber ich weiß auch was!“ Mein wissendes Lächeln wird zu einem staunenden Grinsen. Ihr Selbstverständnis begeistert mich.

Oft schon habe ich in Gesprächen verzweifelt nach Argumenten gesucht, die erklären, was ich meine, und entkräften, was der andere meint. Ohne Erfolg. Es mag sein, dass ich einfach nicht gut argumentieren kann; wahrscheinlicher ist, dass sich nicht alles begründen lässt. „Ich weiß auch was!“, denke ich dann, genau wie diese Frau; aber mir fehlt der Mut, es auszusprechen. Denn: Ich weiß nicht im Verstand, sondern woanders. Die guten und klugen Argumente meines Gesprächspartners zählen dort nicht – und können mich nicht überzeugen. Genauso wenig wie mein unbegründetes Wissen den anderen beeindruckt.

In solchen Momenten mache ich leicht einen Rückzieher und gebe mich geschlagen. Mir fehlen buchstäblich die Worte – aber wie soll man sich ohne diese verstehen? Bei der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner ist „Ich weiß auch was!“ nicht die beste Lösung, aber vielleicht manchmal die einzig mögliche. Noch besser wäre: „Du weißt auch was!“

Nur kurz …

„´Nur kurz`, schrieb sie und es folgte ein Roman“, bemerkt ein Bekannter zu einem meiner Briefe. Ich fühle mich ertappt: Zwar kann ich mich kurz fassen, aber nicht immer. „Nur kurz“ denke ich, wenn ich voller Energie stecke und wenig Zeit habe. Dann schreibe ich schnell eine Mail oder einen Brief – meist „länger als gedacht“. „Wirklich kurz“ kostet Zeit und Muße. Jedenfalls bei mir.