Fantastische Gelegenheiten 

Ein Freund schreibt mir in einer Mail, ein Thema werde dann herausfordernd, wenn man aufhört in schwarz/weiß Rastern zu denken. Daraus ergäben sich `fantastische Gelegenheiten, sich zwischen die Stühle zu setzen´. Ich liebe derartige Formulierungen: Sie beschreiben sehr humorvoll, dass jemand sich sehenden Auges auf einen sehr anstrengenden Weg begibt. Damit verbunden sind meist nicht nur kontroverse Gespräche, sondern so manche Freundschaft wird auf die Probe gestellt. Dieser Freund hat das schon einmal erlebt und weiß, was ihn erwartet. Trotzdem hat er weiter Mut, sich nicht mit oberflächlichen Antworten zufrieden zu geben – auch nicht um des lieben Friedens willen. Ich möchte von ihm lernen, schwierigen Diskussionen nicht auszuweichen, sondern sie als fantastische Gelegenheiten zu betrachten.

Digitales Miteinander – positiv

Als ich Threema auf meinem Handy installierte, um mit einer sehr guten Freundin leichter kommunizieren zu können, war das ein großer Schritt für mich: Mit Messenger-Diensten hatte ich bis dahin nichts am Hut. Dennoch ließ ich mich überzeugen – um meiner Freundin willen. Meine ersten Worte an sie waren offensiv und positiv – wenn auch in unvollständigen Sätzen: `Neue Medien mit offenen Armen willkommen heißen. Mit dem aktuellen Stand der Technik mithalten und sich nicht abhängen lassen.´ Und: `Meine Nachrichten sind übrigens selten kurz – wir werden unsere Zeit jetzt vor Bildschirmen verbringen.´

Zwei Jahre später lese ich meine Worte noch einmal und überlege, was aus diesem Schritt in die digitale Kommunikation geworden ist. Meine heimlich Sorge hat sich nicht bestätigt – unsere Bildschirmzeit hält sich nach wie vor in Grenzen. Die praktischen kurzen Nachrichten zwischendrin ermöglichten manches `last minute´- Treffen. Und unsere bisweilen sehr ausführlichen Erörterungen vorher besprochener Themen haben uns einander näher gebracht – wie schön!

Momentaufnahme

Viele der Briefe, die mir etwas bedeuten, hebe ich auf. Es fällt mir schwer, etwas wegzuwerfen, womit sich jemand anderes solche Mühe gegeben hat. Dabei lese ich sie nur sehr selten noch einmal und werde dann nicht mehr gleichermaßen berührt von ihrem Inhalt. Wahrscheinlich lassen sich die Momente nicht nacherleben, für die die Briefe geschrieben waren: Persönliche Worte sprechen oft genau hinein in eine bestimmte Lebenssituation – und passen nur zu dieser. Im Augenblick entfalten sie eine besondere Kraft, die im Nachhinein kaum noch zu spüren ist.

Von daher müsste ich Briefe nicht aufheben; sie haben ihre Aufgabe erfüllt, mehr kann ich von ihnen nicht erwarten. Ich tue es trotzdem – zumindest bis zu meinem nächsten Umzug :-).

Erziehung?

Ich treffe viele Hundebesitzer. Fast alle erziehen ihre Hund in irgendeiner Weise – die mehr oder weniger eindeutig reagieren. Bei einer Frau und ihrem Hund ist das anders. Ich begegne beiden oft und habe noch NIE erlebt, dass die Frau ihren Hund in irgendeiner Weise erzieht: Normalerweise läuft er frei herum, begegnet Menschen und Tieren freundlich ignorant – und genießt das Hund-Sein. Momentan herrscht Leinenzwang. Daher wirkt der Hund heute entsprechend `frustriert´, dass er nicht wie gewohnt frei laufen darf. Für seine Besitzerin dagegen ist der Leinenzwang entspannend: „So kann ich einfach vor mich hin trotten; sonst bin ich ja doch immer aufmerksam, wo er ist und was er macht.“

So ist das also, denke ich: Obwohl diese Frau sich sehr, sehr sicher sein kann, dass ihr Hund keinen Quatsch macht, ist sie immer BEREIT, ihn zu erziehen. Der Hund scheint das zu wissen und reagiert eindeutig: Er begegnet Menschen und Tieren freundlich ignorant – und genießt das Hund-Sein. 

Klare Worte

Es soll Experimente gegeben haben, in denen Neugeborene nur versorgt wurden. Klare Worte oder Zuwendung dagegen bekamen sie nicht. Derartige Unternehmen endeten tragisch: Die Kinder starben. Wie schrecklich und wie unnötig! Das Ergebnis müsste jedem auch ohne Experiment klar sein. Wir sind soziale Wesen und müssen kommunizieren – egal, ob verbal oder non verbal.

Wie geht es dir?

Eine kurdische Frau in der Nachbarschaft grüßt immer freundlich und erkundigt sich im Vorbeifahren immer nach meiner Familie: „Wie geht es dir und den Kindern?“, ruft sie mir fast immer hinterher; aber so `richtig´ haben wir noch nie miteinander geredet. Seit einigen Monaten sieht sie krank aus. Oft trägt sie ein enges Tuch um den Kopf und ist langsam und mit Rollator unterwegs. Ich bin unsicher, ob ich sie ansprechen soll – und tue es irgendwann doch. Wie es ihr gehe, frage ich, und erfahre, dass sie Magenkrebs hat(te), inklusive Chemotherapie: „Seit viereinhalb Monaten kann ich nicht richtig essen“, sagt sie. Daher werde sie künstlich ernährt und fühle sich kraftlos – kein Wunder. Wir reden ein paar Minuten, dann zieht sie weiter. Zum Abschied erkundigt sie sich – natürlich – nach den Kindern und schiebt hinterher: „Danke, dass du gefragt hast!“ Ich schäme mich, dass ich das nicht schon viel früher getan habe.

Begleitet oder allein

Eine ältere Frau, die ich kenne, lebt allein und hat wenige Kontakte. Regelmäßig geht sie mit Hund und Rollator spazieren. Manchmal treffe ich sie, ab und zu gehen wir ein Stück gemeinsam. Letztens sah ich sie mit einer Frau, die sich als eine offiziell engagierte Begleiterin entpuppte. Ich sprach beide an und erkundigte mich bei meiner Bekannten, wie es ihr geht. Die Antwort war gewohnt langsam und kurz; sofort klinkte sich ihre Begleiterin engagiert ein. Sie redete schnell, fast ohne Punkt und Komma und übernahm dominant die Gesprächsführung. Leider war es mir dadurch fast unmöglich, ein paar Worte direkt mit meiner Bekannten zu wechseln.

Solch ein Begleitservice ist eine gute Sache: Menschen unterstützen ältere (und vielleicht einsame) Mitmenschen im Alltag und verbringen Zeit mit ihnen. Für diesen Dienst ist es gut, wenn man leicht ein Gespräch initiieren kann – und sich dabei auf denjenigen einlässt, dem man seine Zeit schenkt. `Reden ist Silber, Schweigen ist Gold´ enthält mindestens ein Körnchen Wahrheit. Ich wünsche meiner Bekannten jedenfalls, dass ihre Begleiterin sowohl redet als auch zuhört. Sonst würde ich mich schon während des begleiteten Spaziergangs darauf freuen, danach wieder allein zu sein – und meine Ruhe zu haben.

Fraktionszwang – nichts für mich?

Fraktionsdisziplin (oder: Fraktionszwang) nennt man es, wenn Mitglieder einer Partei einheitlich abstimmen. Das dient einer berechenbaren Beschlussfassung und soll stabilisierend wirken. Ich weiß nicht, ob es auch ohne ginge. In letzter Zeit habe ich mir die eine oder andere Bundestagsdebatte angesehen. Der jeweilige Redner wird mindestens von der eigenen Fraktion gefeiert – und beklatscht. Es scheint auch hierbei ein gewisser Fraktionszwang zu existieren. Das ist wahrscheinlich parteipolitisch klug und auf jeden Fall ermutigend für denjenigen, der vorn steht. Soweit kann ich das nachvollziehen.

Dabei ist es völlig egal, ob der Redner höfliche und respektvolle Worte wählt oder sich im Ton vergreift; geklatscht wird trotzdem. Soweit geht mein Verständnis nicht: Im persönlichen Miteinander und mehr noch auf Regierungsebene sollte es verbal weder polemisch noch verletzend zugehen. Wer andere beschimpft, disqualifiziert sich meiner Meinung für den konstruktiven Austausch – und ebenso für Zwischenapplaus. Ich würde mich bei manch verbalem Ausrutscher (auch eines Parteikollegen) eher fremd-schämen als Beifall zu zollen. Daran würde auch ein existierender Fraktionszwang nichts ändern. (Wahrscheinlich disqualifiziert mich das – unter anderem – für eine Karriere im Bundestag.)

Wer was wie was wo?

„… das hat er dann aber nicht gemacht!“, beendet mein Mann beim Reinkommen unser Gespräch. Unsere Tochter geht gerade die Treppe hoch und hakt sofort nach: „Wer hat was nicht gemacht?“ Wir müssen beide lächeln, denn das kommt regelmäßig vor: Eins der Kinder schnappt nur den Rest einer Unterhaltung auf und möchte wissen, worum es ging. Wir erklären kurz, über wen und was wir gesprochen haben – zu kurz aus Kinder-Sicht: „Äh, warum, wie jetzt?“ Letztlich endet es damit, dass wir nach und nach alles wiederholen. Meist ist es nicht geheim, worüber wir sprechen, für die Kinder jedoch belanglos. Aber das wissen sie ja vorher nicht! Unser ehrliches „Es ist nicht so wichtig!“ verstärkt deshalb nur die Neugier. Erst nachher, wenn `wer – was – wie – was – wo?´ befriedigend geklärt ist, verfliegt ihr Interesse sehr zügig. Aber dann haben wir schon deutlich länger über etwas gesprochen, was von Anfang an nicht besonders wichtig war.

Ein besonderer Gruß

Vor meiner Haustür steht ein Gruß aus Frühlingsblumen, Leckereien und einer Karte. Eine Freundin schreibt mir, wie sie mich und mein Tun aus der Ferne wahrnimmt – und lobt mich dafür. Was für mich selbstverständlich ist, wird dadurch besonders. „Du sollst wissen, dass du gesehen und wertgeschätzt bist von Gott und von Menschen“, schreibt sie. Für diese Frau ist es selbstverständlich, zu benennen, was andere gut machen. Diese Gabe ist besonders, sie streichelt die Seele – heute ist es meine.