Immer online?

Ein Journalist macht aus einem Geschehen eine Nachricht. Das Wichtige kommt zuerst und ausführlich, das Unwichtige später und kurz, manches findet nie den Weg in die Öffentlichkeit. Was zur Nachricht wird, sollte schnell verfügbar sein, verständlich aufbereitet und so umfassend wie nötig. Dabei konkurrieren viele verschiedenen Medien um viele Leser: je mehr, desto besser. Wer im Nachrichten-Geschäft tätig ist, müsse daher `immer online´ sein, erzählt mir ein Bekannter – und möglichst schneller als die Konkurrenz.

`Immer online´: Ich frage mich, ob das etwas für mich wäre. Während ich darüber nachdenke und bete, kommen mir Argumente dafür und dagegen in den Sinn. Der Umgang mit Worten reizt mich, es ist sicherlich horizonterweiternd, ich bekäme Geld dafür … Andererseits möchte ich nur für Menschen `immer online´, also jederzeit erreichbar, sein: nämlich für meine Kinder und meinen Mann. Von ihnen lasse ich gern meine Tage bestimmen und gestalten. Vieles von dem, was in der Welt geschieht, betrifft mein tägliches Leben nicht wirklich – auch wenn es sich noch so bedeutungsvoll liest.

Brief an meine Freundin

Wir werden beide älter: Es dauert alles etwas länger, manche Dinge sind uns inzwischen zu anstrengend. Du schaust mich an und sagst, du könntest zum Beispiel nicht joggen gehen – wie ich. Ich schaue dich an und sage, ich könnte nicht den ganzen Tag im Stall arbeiten, nebenbei ein Zimmer renovieren und mittags pünktlich das Essen auf dem Tisch haben – wie du.

Ich kann manches, was du nicht könntest; und du kannst eine Menge, was ich nicht könnte. Dabei würden wir beide fast alles lernen oder uns daran gewöhnen, wenn wir es einübten. Es gibt für alles ein erstes Mal, und das ist immer ungewohnt und anstrengend. Mit der Zeit wird man besser, bekommt Routine und erledigt das Gelernte mit weniger Anstrengung als am Anfang.

Zwischen `ich kann´ und `du könntest nicht´ liegt also nur eine Zeit des Übens – in unserem Fall sind es zwei verschiedene Lebensstile. Der eine ist nicht besser als der andere: Du bewunderst mich vielleicht; ich bewundere dich auf jeden Fall!

Vom Mangel

In der Zeitung lese ich, dass über die nächsten zehn Jahre zu wenige Lehrer da sein werden. Es mangelt an Menschen, die gern unterrichten möchten – woran das wohl liegt? Diese Frage stellt sich unsere Bildungsministerin offenbar nicht. Stattdessen sagt sie, gehe es darum, diesen Mangel in Zukunft zu gestalten. Ich frage mich, was das heißt. Es klingt ein wenig wie `Mangel verwalten´, also sich um das Vorhandene zu kümmern – nur vielleicht auf kreativere Art und Weise. Aber auch ge-stalten kann man nur das oder mit dem, was da ist. Unterm Strich bleibt daher: Über die nächsten zehn Jahre werden zu wenige Lehrer da sein.

Alle Jahre wieder

Wie jedes Jahr Ende Dezember kommt seit einigen Tagen mehr private Post als sonst. Weihnachten schreiben auch Menschen noch Briefe oder Karten, die das sonst nicht tun. Ich freue mich sehr über jeden Gruß; einige sind tatsächlich unerwartet, alle freundlich, zwei oder drei besonders: Solche ehrlichen und wertschätzenden Worte sagen oder schreiben wir uns sehr selten. Brauchen wir einen äußeren Anlass, um loszuwerden, was uns wirklich bewegt? Sind wir zum Jahresende in einer anderen Stimmung als das Jahr über oder haben wir einfach mehr Zeit? Es ist mir egal, ich freue mich einfach – alle Jahre wieder.

Mein Friseur

Beim Friseur (zum Beispiel) und beim Zahnarzt sind wir für eine gewisse Zeit mit jemandem zusammen, den wir kaum kennen. Wir wollen nicht, wir müssen es eine halbe Stunde miteinander aushalten; das fühlt sich manchmal etwas merkwürdig an. Daher versuchen wir, die Situation mit Small Talk zu entspannen.

Beim Zahnarzt redet normalerweise nur einer – es ist nicht der Patient. Zwar würde ich gern etwas sagen, lasse es aber: Mit offenem Mund sind verständliche Worte ein mühsames Unterfangen.

Beim Friseur kann ich ungehindert artikulieren; ich komme trotzdem nicht zu Wort … 

Selbstgespräche

„Interessante Selbstgespräche setzen einen klugen Partner voraus.“
Herbert George Wells.

Manchmal rede ich mit mir selbst: „Ich mach´ das jetzt so“, murmele ich vor mich hin – ganz neutral. „Das war nicht so schlau“ klingt schon etwas kritischer; noch schlimmer ist ein nachdrückliches: „Ich bin so blöd!“ Mit diesen Sätzen beurteile ich meine Unsicherheit sowie merkwürdige Verhaltensweisen – oft unbewusst und spontan. Solch verbalen Ohrfeigen kommen einfach so aus mir raus. Obwohl ich sie wahrscheinlich nicht vollkommen ernst meine, tut es mir gut, wenn mir jemand widerspricht, der zufällig in Hörweite steht. Denn das öffnet mir die Augen, wie ich mich eigentlich selbst wahrnehme – und das ist doch sehr interessant.

„Interessante Selbstgespräche setzen einen aufmerksamen Lauscher voraus.“
Dagmar Hecker

Schöne Worte!

Ich bin schlapp; so etwas lässt sich manchmal nicht schönreden. Oder doch? Aus dem Mund meines Sohnes klingt meine Schwäche fast wie ein Kompliment: „Mama, du bist auf dem Energielevel eines Wildunfalls.“

Wie schön!

Beim Essen reicht mir meine Tochter die Butter, ohne dass ich sie darum bitte. „Du bist sehr aufmerksam“, sage ich zu ihr, worauf sie prompt reagiert: „Habe ich von dir!“ Ich bin dreifach dankbar: dass meine Tochter so ist, wie sie ist, dass sie etwas Gutes von mir übernommen hat und dass sie das so klar artikuliert.

Er ist dann mal weg (2)

Nach dem ersten „Ich bin gut angekommen in Sambia“ galt für unseren Sohn eine freiwillige Kontaktsperre – er hielt sich nur bedingt daran. Mittlerweile meldet er sich in größer werdenden Abständen, den digitalen Medien sei Dank. Wir hören und sehen, dass es ihm gut geht und er begeistert über den Tellerrand seines bisherigen Lebens schaut. Aber obwohl wir in Ton und Bild mit ihm kommunizieren können: eine Leere bleibt. Wie gern würde ich ihn zwischendurch mal drücken; ich freue mich auf den nächsten Sommer … 

Modalverben: müssen – sollen – können – möchten – dürfen

Meine Töchter bearbeiten am Wochenende Aufgaben für die Schule, die viel Zeit in Anspruch nehmen. Beide müssen recherchieren, strukturieren und am Ende Texte formulieren. Ich soll ihnen helfen.

Vom Thema habe ich zunächst wenig Ahnung – es geht bei beiden um Kunst im weitesten Sinne. Für meine Töchter ist zwar die Aufgabenstellung klar, aber auch sie müssen sich schlau lesen. Ich stelle fest, dass mein Alter (und mein größeres Allgemeinwissen) mich zu einem durchaus kompetenten Ansprechpartner machen. Grundsätzlich kann ich ihnen helfen.

Da sie mich vor allem für die klaren und verständlichen Formulierungen brauchen, hänge ich sofort an der Angel wie ein wehrloser Fisch: Sobald es um Texte geht, bin ich automatisch interessiert. Jetzt möchte ich ihnen helfen.

Zunächst halte ich mich zurück und lasse meine Töchter selbst machen. Schließlich soll das Ergebnis aus ihrer Feder kommen – sozusagen. Im Verlauf des Wochenendes bitten sie vermehrt um Korrektur beziehungsweise Hilfe bei der Wortwahl. Je näher der Sonntagabend rückt, umso mehr darf ich ihnen helfen.