Wortreich

Die Inhaberin eines Geschäftes bedient mich und macht dabei viele Worte: wie viel Wert sie auf gute Qualität lege, welche Leistungen sie bald zusätzlich im Angebot habe und was bei ihr dann noch alles möglich sein werde. „Guter Service ist mir sehr wichtig“, sagt sie zum Abschluss.

Die Frau hat mich gut bedient, ja, und war betont freundlich. Trotzdem bin ich in dem Laden nicht so gern: Mir sind die Menschen lieber, die guten Service anbieten, ohne darüber zu reden.  

Privatsache

Ich begegne immer wieder Menschen, die in der Stadt herumstehen – scheinbar ohne Zweck und Ziel. Und dann, plötzlich, vollkommen unvermittelt, fangen sie an zu reden, als wären sie mitten im Gespräch. Sie sind es auch, denn sie telefonieren (mit Knopf im Ohr). Was um sie herum passiert und wer ihnen zuhört: vollkommen egal.

Ich bin nicht interessiert an den Telefongesprächen wildfremder Personen – besonders wenn ich nur die Hälfte mitbekomme! `Hallo?´, denke ich, `Geht´s noch? Kannst du deine privaten Telefongespräche bitte etwas diskreter führen?´ Das wiederum interessiert diese Leute nicht. Also werde ich Zeuge, bin höflich und still und versuche, die Privatsachen anderer trotzdem nicht mitzubekommen. 

Tatsächlich ergebnisoffen

Das Ideal jeder Verhandlung, jedes Streits, ist, wenn wir tatsächlich bemüht sind, dass jeder der Beteiligten zu Wort kommt und jedermanns Sicht der Dinge gleichermaßen geschätzt wird. Tatsächlich erfordert es aber Größe und ist schwierig, vorher nicht zu wissen, wo wir enden – also ergebnisoffen zu diskutieren.

Das Normale bei jeder Verhandlung, jedem Streit, ist es, wenn wir sehr bemüht sind, unsere eigene Sicht der Dinge möglichst so überzeugend darzulegen, dass diese am meisten geschätzt wird. Tatsächlich fällt es uns nämlich leichter, vorher genau zu wissen, wo wir enden – also nicht ergebnisoffen zu diskutieren.

Nicht zu sprechen!

Ich suche mir die Nummer eines Bekannten heraus und rufe ihn an. Am anderen Ende ertönt das fragende und leicht mürrische „Hallo?“ eines Menschen, dessen Stimme ich nicht kenne. Unsicher und ein bisschen eingeschüchtert stelle ich mich vor und frage, ob das die Nummer meines Bekannten ist. „Sicher nicht“, sagt die Stimme – deutlich weniger mürrisch als amüsiert. Ich bin verwirrt und entschuldige mich: „Oh, das tut mir leid, ich habe mich verwählt.“ Mein Gesprächspartner reagiert entspannt und inzwischen ausgesprochen freundlich: „Alles gut, macht gar nichts. Einen schönen Tag noch und viel Glück!“ Ich lege lächelnd auf: Wie schnell sich die Stimmung ändern kann!

Hinterher frage ich mich, ob ich Anrufe von unbekannten Nummern ebenfalls in leicht mürrischem Tonfall entgegennehme. Sicher ist, dass auch ich ehrlich freundlich auf jeden reagiere, der mich fälschlicherweise oder aus Versehen anruft.

Nur sehr selten erhalte ich Telefonanrufe, die mich wirklich nerven (Vertreter oder Verkäufer) oder tatsächlich stören (ich gehe nicht ran, wenn ich nicht abkömmlich bin). In Zukunft will ich darauf achten, mit einem Lächeln in der Stimme ans Telefon zu gehen. Der Anrufer freut sich – ob er mich nun sprechen will oder nicht.

Mit ohne Schiedsrichter

Ich komme mir manchmal vor wie ein Schiedsrichter: Wenn zwei Kinder sich streiten, möchte ich am liebsten eingreifen – und (sozusagen) von der Seitenlinie aus schlichten. Dabei funktioniert das höchst selten.

Erstens kenne ich die Vorgeschichte nicht: die Sticheleien, den Ärger, das nervige Verhalten des einen oder anderen. Was sich im Streit selbst offenbart, ist nur die Spitze des Eisbergs – sozusagen das überlaufende Fass. Von den vielen Tropfen vorher habe ich als Mutter oft keine Ahnung.

Zweitens bin ich voreingenommen. Meist tut mir derjenige leid, der im konkreten Streit gerade zu unterliegen scheint oder (scheinbar?) unfair angegangen wird. Und schon neige ich dazu, eher parteiisch zu bewerten, was gerade passiert, als möglichst neutral die Gesamtsituation zu betrachten.

Und drittens: Im Moment des Streitens ist ein Mittler fast nie erwünscht. Versuche ich es doch, gerate ich leicht zwischen die Fronten. Für Höflichkeit ist mitten im Streit kaum Raum und Zeit; stattdessen wird scharf geschossen. Wenn ich also schlichten will, muss ich die Schusslinie meiden und warten, bis sich die Gemüter wieder beruhigt haben. Ganz oft erledigt sich die ganze Angelegenheit dann von selbst: Unsere Kinder vertragen sich schneller wieder, als ICH es angesichts des vorangegangenen verbalen Schlagabtauschs für möglich gehalten hätte – ganz ohne Schiedsrichter.

Nicht nachvollziehbar

Sie könne meine Entscheidung – aus der Ferne und ohne Gespräch – nicht nachvollziehen, schreibt mir eine Bekannte und fährt fort, es gehe sie ja auch nichts an, aber sie wolle doch ehrlich bleiben. Ihre kritische (wenn auch ehrliche) Rückmeldung, ungefragt, trifft mich: Wieso sie mir das schreibt, frage ich mich, und nicht einfach mal nachfragt? Ich denke an die Sesamstraße: „Der, die, das; wer, wie, was; wieso weshalb warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm“, hieß es da und weiter: „1.000 tolle Sachen, die gibt es überall zu sehen; manchmal muss man fragen, um sie zu verstehen.“

Was für Kinder ein guter Rat ist, kann auch ich beherzigen: Wenn ich das nächste Mal die Entscheidung eines anderen nicht verstehe, will ich nachfragen, wie er dazu gekommen ist. Vielleicht kann ich dann nachvollziehen, worüber ich – aus der Ferne und ohne Gespräch – den Kopf geschüttelt hätte. 

Nicht genug

In der Vergangenheit hat es mich manchmal genervt, wie sehr der Holocaust immer wieder betont wurde. Ich dachte, irgendwann ist es doch mal gut mit dieser unserer Schuld. Heute denke ich, es ist offenbar noch lange nicht genug, an die Gräueltaten im Holocaust zu erinnern: Wenn 78 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges deutsche Studenten wieder offen gegen Juden die Stimme erheben; wenn im Zusammenhang mit ermordeten Juden einige Deutsche wieder die Phrase `selbst schuld´ in den Mund nehmen; wenn Juden nach dem Terrorangriff am 7. Oktober in Deutschland auf der Straße als die eigentlichen Aggressoren dargestellt werden …, dann ist es noch lange nicht gut. Dann schäme ich mich, dass ich dachte, es könnte jemals genug sein mit dem Erinnern.

Aktuell und relevant

Ich werfe einen kurzen Blick hinein in eine Talk Show; es geht (wie so oft) um aktuelle und relevante Themen. Leider herrscht (aktuell!) eine Redekultur, die mich nervös und fast ein bisschen aggressiv macht: Es gibt immer mindestens einen, der unterbricht und sein Rede-Recht über das der anderen stellt. Das führt fast immer zu einer emotional-aufgeheizten Debatte, die für manche Beteiligten sehr unangenehm und für mich als Zuschauer höchst peinlich mitzuerleben ist. Der Moderator ist entweder nicht in der Lage oder nicht willens, seiner (relevanten!) Rolle gemäß einzugreifen und für ein gutes und respektvolles Miteinander zu sorgen. Solche Gesprächsrunden sind nichts für mich, denke ich: weder als teilnehmender Teilnehmer noch als beobachtende Randfigur. Von daher schalte ich (buchstäblich) ab – wie aktuell und relevant auch immer die Themen sind.

Informativ?

In der Zeitung lese ich eine kurze Notiz: Eine bekannte Schauspielerin würde einen bestimmten Charakter wieder spielen – sollte sie ein entsprechendes Angebot erhalten. Noch habe sie nichts in Aussicht, aber sie sei grundsätzlich bereit. Ich verstehe ja, dass nicht alles, was in der Zeitung steht, für jeden gleich informativ ist. Wir sind unterschiedlich interessiert: Der eine will dieses wissen, der andere jenes. Aber `Sie würde, wenn sie könnte?´ hat als Nachricht überhaupt keinen Wert an sich! Weder ich bin nach dem Lesen schlauer als vorher – noch sonst irgend jemand, der unsere Tageszeitung liest. Es sei denn, im Celler Land wohnt jetzt schon der nächste Hollywood-Regisseur.

Ein Gespräch

Ein Gespräch ist per Definition, wenn Menschen miteinander kommunizieren. Im Idealfall reden alle Beteiligten ähnlich viel; im Normalfall trifft das aber nicht zu. „Vielen Dank für das schöne Gespräch!“ sagte kürzlich eine Frau zu meinem Mann – nur dass dieser nach eigener Einschätzung kaum zu Wort kam. Er ist einer von den Stilleren: Sein Redeanteil liegt meist bei unter 30 Prozent. Verglichen mit ihm sind die meisten anderen Vielredner – eine Klasse für sich, nicht homogen:
Einige von ihnen reden zwar viel, aber interessant und inspirierend. Außerdem beziehen sie ihr Gegenüber bei aller Rederei mit ein und beleben das `Gespräch´. Ohne sie gäbe es manche unangenehmen Schweige-Momente.
Andere Leute wiederum reden viel, verlieren sich aber im Detail und gelten schlimmstenfalls als Langweiler. Sie hören nur sich selbst: Was die anderen zu sagen haben, prallt buchstäblich auf taube Ohren.
In der dritten Gruppen der Vielredner sind Piraten: Sie kapern jeden Redebeitrag ihres Gegenübers und nutzen ihn als Aufhänger, um zu sagen, was ihnen selbst wichtig ist. Bei uns gilt dieses Vorgehen als die `feindliche Übernahme eines Gesprächsstranges´. Dagegen sind die meisten anderen nahezu chancenlos. Ob trotzdem Kommunikation stattfindet, hängt ganz davon ab, wie man `Gespräch´ definiert.