Ein Gespräch

Freunde bringen uns nach Hause und fragen während der Fahrt, wie es denn sei, wenn die Kinder das Haus verlassen. (Sie sind deutlich jünger und ihre Kinder auch.) Mein Mann meint, ich solle anfangen und die weibliche Sicht schildern. Ich erzähle also von meinen Ambivalenzen:

Wie sehr – und im Nachhinein wie schnell – sich die Beziehung zu Kindern verändert: Von totaler Abhängigkeit über vorsichtige und deutliche Abgrenzung hin zu jungen Menschen, die lebenstauglich in ihr eigenes Leben starten. 
Wie es gerade mich als Vollzeit Mutter schmerzt, dass die Familie sich in gewisser Weise auflöst.
Wie stolz ich bin darauf, was die Heranwachsenden sich zutrauen, dass sie sich rauswagen und selbstständig werden.
Wie schön es ist, dass sie noch gern zu uns nach Hause kommen – ab und zu am Wochenende.

Inzwischen sind wir fast bei uns angekommen; für die männliche Sicht bleibt zeitlich nur noch die Länge unserer Straße. „Reicht mir“, sagt mein Mann und: „Ich finde es gut, dass sie ausziehen und sich selbst kümmern müssen – um die Wäsche, den Haushalt, das Essen, die Finanzen. Außerdem bekomme ich nicht mehr alles mit, was sie machen. Das ist auch gut; es ist ihr Leben.“

Als wir uns verabschieden, lächeln unsere Freunde und bedanken sich, dass wir erzählt haben – eine ausführlich, der andere kurz und knapp.

Mein Tos (sprich: Toss)

„Da ist es wieder, dein Tos“, sagt mein Mann und lächelt dabei. Sofort versuche ich, meine Gesichtszüge zu entspannen und die Stirn zu glätten. Manchmal will ich es nicht wahrhaben: „Da ist gar kein Tos!“, antworte ich dann. Aber es nützt nichts, mein Mann sieht es trotzdem.

Ihm selbst fehlt das Tos komplett, was ich sehr merkwürdig finde. Für mich gehört es zur Grundausstattung jedes ganz normalen Gesichts. Mein Mann verfügt nicht über dieses wichtige Instrument. Ich frage mich zum einen, woran das liegt; zum anderen wundert mich, wie er ohne Tos zurechtkommt!

Das Tos ist ein Spiegel der Seele, ein Tor in der Fassade der (oft unbewussten) Selbstdarstellung. Es ermöglicht non-verbale Kommunikation erster Güte: Sobald ich konzentriert nachdenke oder mich ärgere, zieht sich meine Stirn in der Mitte zusammen – und ganz von selbst erscheint die sogenannte Zornesfalte (englisch: triangle osadness), das Tos. Es offenbart nicht nur meinem Mann etwas über mein Innenleben, sondern auch mir selbst. Denn manchmal merke ich gar nicht, wie angespannt ich innerlich bin. Aber dann sieht mein Mann das Tos – und wir wissen beide Bescheid.

Eine besondere Fremdsprache

Im Zug sehe ich zwei Menschen, die sich in Gebärdensprache unterhalten. Es ist – natürlich – kein Ton zu hören, dennoch bekommen alle Anwesenden das Gespräch mit. Finger, Gestik und Mimik der beiden wirken wie beiläufig und automatisch. Sie müssen über ihre tonlosen Zeichen offenbar ebenso wenig nachdenken wie ich über das, was ich mit meiner Stimme mache.

Gleichzeitig sind sie konzentriert beieinander und beobachten sich genau. Ihre Mimik ist offensichtlich und ausdrucksstark. Es wird übertrieben gelächelt; im nächsten Moment gehen die Mundwinkel stark nach unten. Die zwei sprechen Bände mit ihren Gesichtern: Da ist deutliche Ablehnung zu erkennen und lebhafte Zustimmung, unterbrochen von betont gleichgültigem Kopfschütteln mit Schulterzucken.

Zwei Menschen sprechen eine mir vollkommen unbekannte Sprache. Ich höre nichts und verstehe kein Wort. Aber ich bilde mir ein, ihre Stimmung lesen zu können … 

Kommunikation `leicht´

Meist schreibe ich Textnachrichten. Nur selten nutze ich die Aufnahmefunktion, denn in der Regel finde ich Sprachnachrichten zu lang. Wenn ich doch eine verschicke, versuche ich deshalb, mich sehr kurz zu fassen. Zufällig bin ich dabei, als mein Sohn eine Sprachnachricht von mir abhört – in anderthalbfacher Geschwindigkeit. Ach ja, denke ich, kann man machen.

Meine Stimme klingt fröhlich, schwungvoll bis leicht hektisch und wie durch Lachgas verändert: Ich höre mich an wie Mickey Mouse, ein wenig außer Atem. Zwar verstehe ich nicht alles auf Anhieb, aber der Inhalt ist zweitrangig. Allein schon die Geschwindigkeit bringt mich zum Schmunzeln; es kann sich nicht um ein trauriges oder ernstes Thema handeln. Nur die Hälfte verstehen und ein Audio-Erlebnis im Comic-Stil: Könnte man ohne technische Hilfsmittel so reden, wäre für Trübsal wenig Platz – und Kommunikation immer von einem Lächeln begleitet.

Formal – für wen?

Ich beherrsche kein Amtsdeutsch. Wenn ich so schreibe, wie ich es für verständlich halte, erhalten meine Mails (auch die offiziellen) leicht einen nahbaren Ton. Es fällt mir einfach schwer, mich förmlich und formal auszudrücken – und ich mag es auch nicht. Schließlich ist der Empfänger meiner Nachricht immer noch ein Mensch!

Kürzlich telefonierte ich mit der Pressestelle einer Behörde, weil ich ein paar Fragen hatte. Der Mann am anderen Ende der Leitung war sehr freundlich: „Schicken Sie mir mal Ihre Fragen“, sagte er, „ich schreibe Ihnen dann eine Antwort.“ Wir verabschiedeten uns auf baldiges Wiederlesen. Normal halt. Einen Tag später kam seine Antwort: kein persönliches Wort bis auf die Anrede und das übliche `Mit freundlichen Grüßen´ am Ende. Dazwischen nur absolut steifes Behördendeutsch. Oh, Mann, dachte ich, muss das sein? Wenn ich mich konzentriere, verstehe ich zwar auch diese leicht gestelzte Sprache. Dennoch frage ich mich, warum mancherorts der Form derart Genüge getan werden muss – buchstäblich. Es klingt schön offiziell, einheitlich und ist nicht angreifbar. Aber wer, bitte, mag sowas lesen? Ich kenne niemanden! 

Spontane Warte-Zeiten

Einige Leute in meinem Umfeld kommunizieren gern über social media, aber mit eingebauten Pausen. Am Sonntag schreibt mir beispielsweise eine Freundin aus England: „Kann ich von Donnerstagabend bis Samstagmorgen bei euch übernachten?“ Ich muss nicht lange nachdenken und schicke ein „Ja klar!“ zurück. Danach höre ich bis Mittwochabend NICHTS mehr. Also frage ich, wann sie genau kommt (und ob sie vom Bahnhof abgeholt werden möchte), ob wir nur Basisstation sind oder sie am Freitag Zeit mit uns verbringen möchte … solche Dinge halt. Eine Stunde später antwortet sie, dass sie das erst noch klären muss – und ich gehe ins Bett.

Am Donnerstagvormittag weiß ich noch immer nicht, wann genau mein Besuch heute Abend kommt, geschweige denn, wie ich MEINEN Freitag gestalten kann. Ich halte mich für spontan, aber das Warten auf die Spontaneität anderer macht mir zu schaffen.

In Ordnung? Ja!

Ich gebe mir Mühe mit einem Text; mein größter Kritiker bin ich selbst. Hier etwas kürzen, dort eine treffendere Formulierung – es geht immer noch ein bisschen besser, jedenfalls für meinen Geschmack. Besagter Text ist der erste für diesen Auftraggeber, weshalb ich unsicher bin, was genau von mir erwartet wird. Ich möchte es sehr gut machen. Irgendwann erkläre ich mein Werk für abgeschlossen und schicke es los.

Erfreulicherweise bekomme ich sehr schnell eine Antwort: „Der Text ist in Ordnung so“, steht da und dann noch einige Erklärungen, wie es jetzt weitergeht. In Ordnung?, denke ich und bin ganz erstaunt, was das mit mir macht. Einerseits bin ich erleichtert: Keine Kritik, kein Wunsch nach einem anderen Stil, eventuell nötige Kürzungen würden sich ausschließlich aus Platzgründen ergeben. Andererseits spüre ich eine leise Enttäuschung. `In Ordnung´ ist mir als Standard für meine Arbeit zu wenig – und klingt nicht nach sehr gut.

Vielleicht geht es der Erst-Leserin in ihrer Rückmeldung gar nicht um eine Bewertung meiner schriftstellerischen Leistung. Stattdessen zählt eventuell (zunächst) nur, dass ich die Sprache ihres Unternehmens treffe. Möglicherweise liest sich mein Text auch einfach nicht sehr gut, obwohl ich mir Mühe gegeben habe.

Wie geht es jetzt für mich weiter? Werde ich in Zukunft weniger Zeit und Mühe investieren, weil das auch reicht? Wonach richte ich mich hinsichtlich des Anspruchs an meine Arbeit? Ein Vers hilft mir, an meiner Perspektive festzuhalten: „Alles, was ihr tut, das tut von Herzen als dem Herrn und nicht den Menschen, denn ihr wisst, dass ihr von dem Herrn als Lohn das Erbe empfangen werdet. Dient dem Herrn Christus!“ (Kolosser 3, 23+24) Ich habe mehr investiert, als für `in Ordnung´ nötig gewesen wäre – und Gott weiß das. Das reicht mir!

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold?

Immer häufiger passiert es mir, dass Menschen nicht antworten. Bei Briefen ist es mittlerweile ohnehin total unüblich – wer schreibt schon noch Briefe? Aber auch Mails bleiben oft unbeantwortet, selbst wenn das der einzige Kommunikationsweg ist, den wir nutzen. Diese kommunikative Zurückhaltung irritiert und ärgert mich; sie existiert privat und beruflich. Besonders nervig ist sie im Geschäftlichen: Wenn ich eine Rechnung stelle oder eine Arbeit abliefere, kommt von manchem – eine Weile gar nichts. Kein `Es dauert noch, tut mir leid!´, keine Rückmeldung, stattdessen nur Stillschweigen. Erschreckenderweise gewöhne ich mich immer mehr daran und rechne damit, dass ich nicht mit einer Reaktion rechnen kann. 

Kürzlich erfuhr ich, dass es auch anders geht: Eine Bekannte rief mich an wegen eines Jobs. Ich solle darüber nachdenken, sie sei jetzt erstmal im Urlaub. Zwei Wochen später schrieb ich eine Mail, ob wir uns treffen könnten. Umgehend kam die Antwort: „Ja, gern“, hieß es, „ich bringe Ordnung in mein Nach-Urlaubs-Chaos und melde mich in den nächsten Tagen.“ Das tat sie; wir trafen uns und einigten uns auf ein Schnupperarbeiten. Auch den Termin dafür habe ich inzwischen abgemacht, und zwar mit ihrer Kollegin, die sich deswegen bei mir meldete. Ich war jedes Mal überrascht und bin beeindruckt von der verlässlichen Kommunikation. Sie sollte normal sein, wirkt auf mich aber wie ein selten gewordenes Gütesiegel. 

Ich war nicht gemeint …

Kurz vor dem Ende meiner Laufrunde muss ich eine Straße kreuzen, auf der viele Autos an der Seite parken. Von vorn kommt ein Mercedes; der Fahrer macht das Aufblendlicht an und will mich offenbar durchlassen. Ich lächle und will mich winkend bedanken, da kommen mir Zweifel – und ich schaue mich um. Siehe da, hinter mir ist ein anderes Auto auf Kollisionskurs, dessen Fahrer eine Ausweichmöglichkeit zwischen den parkenden Autos sucht. IHM will der Mercedes-Fahrer die Vorfahrt gewähren, nicht mir.

Bis die beiden das unter sich ausgemacht haben, bin ich über die Straße und weg. Es wäre sehr aufmerksam und rücksichtsvoll gewesen, denke ich, aber ich war nicht gemeint … 

Gern wieder!

Wir besitzen nur ein Auto und das steht tagsüber auf dem Parkplatz vor dem Büro, in dem mein Mann (seit einigen Monaten) seine Arbeitstage verbringt. Wenn ich während dieser Zeit für irgendetwas ein Auto brauche, muss ich mir eins leihen. Nicht jeder verborgt seinen fahrbaren Untersatz gern und bereitwillig; man hört das an den zögerlichen Reaktionen: Sie sind nicht eindeutig ablehnend, aber weder herzlich noch einladend. Es ist nicht leicht für mich, trotzdem darum zu bitten. Diese Woche fragte ich eine Freundin, die mir bisher aus unerfindlichen Gründen nicht eingefallen war. „Na, klar, wann brauchst du es“, war ihre spontane Antwort und einige Augenblicke später: „Soll ich dich fahren? Dann musst du das Auto nicht holen und wiederbringen.“ Soweit ging meine Bequemlichkeit dann doch nicht: Ich holte das Auto ab und stellte es zwei Stunden später wieder vor ihre Tür. „Gern wieder!“, schrieb sie mir am Abend und ich dachte: Genau!