Nicht-persönlich, aber warm

Ich komme aus dem Büro nach Hause und niemand ist da. Ich freue mich immer, wenn jemand mich begrüßt, habe aber auch nichts dagegen, hier allein zu sein. Die Post war schon da: Werbung und Rechnungen liegen auf der Treppe. Darunter finde ich zwei `echte´ Briefe an mich – einer von meiner Freundin aus Australien, einer von meiner Nichte. Ich mache mir einen Tee, setze mich aufs Sofa und freue mich über das, was die beiden Frauen mir erzählen. Ein wärmeres nicht-persönliches Willkommen kann ich mir fast nicht vorstellen.

Schwere Sprache(n)?

„Es ist gut zu wissen, dass ihr okay damit seid …“, schreibt eine meiner Töchter und ich verziehe ein wenig das Gesicht. Sie lebt gerade in einem englisch-sprachigen Umfeld, das erklärt einiges. Dort ist es normal, `to be okay´ zu sagen und zu meinen, dass man etwas in Ordnung findet.

Zu derselben Kategorie gehört, wenn ich davon spräche, dies oder das sei `fein für mich´. Es ist zwar die wortwörtliche Übersetzung von `it is/works fine for me´; idiomatisch korrekt wäre aber, dass etwas gut läuft oder gut ist.

Ebenso löst die Aussage, etwas solle `in Existenz kommen´, bei mir verständnisloses Kopfschütteln aus. Denn ich verstehe zwar, was gemeint ist, staune selbst aber lieber darüber, wenn etwas zustande kommt.

Ich liebe die englische Sprache sehr – ebenso wie meine deutsche Muttersprache. Jede hat ihren eigenen Reiz, samt feststehender Redewendungen und einem sich ständig erweiternden Wortschatz. Es ergibt – nicht macht(!) – für mich keinen Sinn, zwei Sprachen unbedarft miteinander zu vermischen: Sie verlieren dadurch ihre Einzigartigkeit.

Wer lesen kann … reicht manchmal nicht!

„Wer lesen kann, ist klar im Vorteil“, gab die erste Grundschullehrerin meines Sohnes diesem manchmal mit auf den Weg. Ihr Kommentar richtete sich an mich, wenn ich einen der vielen Elternbriefe nicht gründlich gelesen und dadurch irgendein Extra versäumt hatte. Ich kann wohl lesen, dachte ich jedes Mal und fühlte mich sowohl missverstanden als auch unangemessen belehrt: Die vielfältigen Drumherum-Veranstaltungen in Schule waren noch nie meine erste Priorität. Dennoch ist der Satz mir hängengeblieben – mit Beigeschmack.

Gestern landete ein Paket wieder bei mir, das ich vor etwa vier Wochen an meine Tochter in Sambia losgeschickt hatte. Gefahrgut ist außen angekreuzt; innen finde ich einen Zettel. Leider hätte man in diesem Paket `Inhalte festgestellt, die von der Beförderung im internationalen Postverkehr ausgeschlossen sind`. Auf einem weiteren Zettel steht, was alles dazu gehört; unter anderem Parfüm, ein entflammbarer Kosmetikartikel. Wer lesen kann, schießt es mir durch den Kopf, oder besser: Wer AHNEN kann, dass man irgendwo etwas Wichtiges lesen kann, ist klar im Vorteil.

Für das nächste Mal weiß ich (hoffentlich) Bescheid – es sei denn, es existiert noch eine dritte Schwierigkeitsstufe. Ich bin gespannt.

Vorsicht!

„Wer unvorsichtig herausfährt mit Worten, sticht wie ein Schwert; aber die Zunge der Weisen bringt Heilung.“
Sprüche 12, 18

„Manchmal frage ich mich“, sagt eine Frau zur anderen, „warum dein Mann nicht schon längst in der Klapse ist.“ Der Kommentar kommt spontan und ungefiltert; er ist spaßig gemeint und wird auch so verstanden – und doch: Meiner Meinung nach geht er ein kleines bisschen zu weit.

Hinterher denke ich, dass da irgendwie ein ungeschriebenes Gespür dafür existiert, was man sich an den Kopf wirft und was nicht. Natürlich variiert das, was wir einen guten Umgang miteinander nennen, und hängt ab von vielen Faktoren: Sind wir allein oder in Gesellschaft, haben wir eine Geschichte miteinander, in welcher Beziehung stehen wir zueinander … Dennoch gibt es Formulierungen, die mir niemals über die Lippen kämen – oder hinterher sehr peinlich wären und mindestens einer Entschuldigung bedürften.

In dem Fall war ich nicht beteiligt, sondern nur Ohren-Zeugin. Es könnte mir total egal sein, was die eine zu der anderen sagt. Wenn ich aber ehrlich bin, bleibt doch etwas hängen: Die eine vergreift sich offenbar manchmal im Ton, die andere kann als anstrengend empfunden werden. Vielleicht werde ich den Satz wieder vergessen. Wahrscheinlicher ist, dass er, wie unbewusst und geringfügig auch immer, mein Bild der beiden beeinflusst.

Herr, hilf mir, meine Zunge im Zaum zu halten, denke ich, sie ist ein törichtes Ding.

„Siehe, auch die Schiffe, obwohl sie so groß sind und von starken Winden getrieben werden, werden sie doch gelenkt mit einem kleinen Ruder, wohin der will, der es führt. So ist auch die Zunge ein kleines Glied und rechnet sich große Dinge zu. Siehe, ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet’s an!“
Jakobus 3, 4+5

Ein Gespräch

Freunde bringen uns nach Hause und fragen während der Fahrt, wie es denn sei, wenn die Kinder das Haus verlassen. (Sie sind deutlich jünger und ihre Kinder auch.) Mein Mann meint, ich solle anfangen und die weibliche Sicht schildern. Ich erzähle also von meinen Ambivalenzen:

Wie sehr – und im Nachhinein wie schnell – sich die Beziehung zu Kindern verändert: Von totaler Abhängigkeit über vorsichtige und deutliche Abgrenzung hin zu jungen Menschen, die lebenstauglich in ihr eigenes Leben starten. 
Wie es gerade mich als Vollzeit Mutter schmerzt, dass die Familie sich in gewisser Weise auflöst.
Wie stolz ich bin darauf, was die Heranwachsenden sich zutrauen, dass sie sich rauswagen und selbstständig werden.
Wie schön es ist, dass sie noch gern zu uns nach Hause kommen – ab und zu am Wochenende.

Inzwischen sind wir fast bei uns angekommen; für die männliche Sicht bleibt zeitlich nur noch die Länge unserer Straße. „Reicht mir“, sagt mein Mann und: „Ich finde es gut, dass sie ausziehen und sich selbst kümmern müssen – um die Wäsche, den Haushalt, das Essen, die Finanzen. Außerdem bekomme ich nicht mehr alles mit, was sie machen. Das ist auch gut; es ist ihr Leben.“

Als wir uns verabschieden, lächeln unsere Freunde und bedanken sich, dass wir erzählt haben – eine ausführlich, der andere kurz und knapp.

Mein Tos (sprich: Toss)

„Da ist es wieder, dein Tos“, sagt mein Mann und lächelt dabei. Sofort versuche ich, meine Gesichtszüge zu entspannen und die Stirn zu glätten. Manchmal will ich es nicht wahrhaben: „Da ist gar kein Tos!“, antworte ich dann. Aber es nützt nichts, mein Mann sieht es trotzdem.

Ihm selbst fehlt das Tos komplett, was ich sehr merkwürdig finde. Für mich gehört es zur Grundausstattung jedes ganz normalen Gesichts. Mein Mann verfügt nicht über dieses wichtige Instrument. Ich frage mich zum einen, woran das liegt; zum anderen wundert mich, wie er ohne Tos zurechtkommt!

Das Tos ist ein Spiegel der Seele, ein Tor in der Fassade der (oft unbewussten) Selbstdarstellung. Es ermöglicht non-verbale Kommunikation erster Güte: Sobald ich konzentriert nachdenke oder mich ärgere, zieht sich meine Stirn in der Mitte zusammen – und ganz von selbst erscheint die sogenannte Zornesfalte (englisch: triangle osadness), das Tos. Es offenbart nicht nur meinem Mann etwas über mein Innenleben, sondern auch mir selbst. Denn manchmal merke ich gar nicht, wie angespannt ich innerlich bin. Aber dann sieht mein Mann das Tos – und wir wissen beide Bescheid.

Eine besondere Fremdsprache

Im Zug sehe ich zwei Menschen, die sich in Gebärdensprache unterhalten. Es ist – natürlich – kein Ton zu hören, dennoch bekommen alle Anwesenden das Gespräch mit. Finger, Gestik und Mimik der beiden wirken wie beiläufig und automatisch. Sie müssen über ihre tonlosen Zeichen offenbar ebenso wenig nachdenken wie ich über das, was ich mit meiner Stimme mache.

Gleichzeitig sind sie konzentriert beieinander und beobachten sich genau. Ihre Mimik ist offensichtlich und ausdrucksstark. Es wird übertrieben gelächelt; im nächsten Moment gehen die Mundwinkel stark nach unten. Die zwei sprechen Bände mit ihren Gesichtern: Da ist deutliche Ablehnung zu erkennen und lebhafte Zustimmung, unterbrochen von betont gleichgültigem Kopfschütteln mit Schulterzucken.

Zwei Menschen sprechen eine mir vollkommen unbekannte Sprache. Ich höre nichts und verstehe kein Wort. Aber ich bilde mir ein, ihre Stimmung lesen zu können … 

Kommunikation `leicht´

Meist schreibe ich Textnachrichten. Nur selten nutze ich die Aufnahmefunktion, denn in der Regel finde ich Sprachnachrichten zu lang. Wenn ich doch eine verschicke, versuche ich deshalb, mich sehr kurz zu fassen. Zufällig bin ich dabei, als mein Sohn eine Sprachnachricht von mir abhört – in anderthalbfacher Geschwindigkeit. Ach ja, denke ich, kann man machen.

Meine Stimme klingt fröhlich, schwungvoll bis leicht hektisch und wie durch Lachgas verändert: Ich höre mich an wie Mickey Mouse, ein wenig außer Atem. Zwar verstehe ich nicht alles auf Anhieb, aber der Inhalt ist zweitrangig. Allein schon die Geschwindigkeit bringt mich zum Schmunzeln; es kann sich nicht um ein trauriges oder ernstes Thema handeln. Nur die Hälfte verstehen und ein Audio-Erlebnis im Comic-Stil: Könnte man ohne technische Hilfsmittel so reden, wäre für Trübsal wenig Platz – und Kommunikation immer von einem Lächeln begleitet.

Formal – für wen?

Ich beherrsche kein Amtsdeutsch. Wenn ich so schreibe, wie ich es für verständlich halte, erhalten meine Mails (auch die offiziellen) leicht einen nahbaren Ton. Es fällt mir einfach schwer, mich förmlich und formal auszudrücken – und ich mag es auch nicht. Schließlich ist der Empfänger meiner Nachricht immer noch ein Mensch!

Kürzlich telefonierte ich mit der Pressestelle einer Behörde, weil ich ein paar Fragen hatte. Der Mann am anderen Ende der Leitung war sehr freundlich: „Schicken Sie mir mal Ihre Fragen“, sagte er, „ich schreibe Ihnen dann eine Antwort.“ Wir verabschiedeten uns auf baldiges Wiederlesen. Normal halt. Einen Tag später kam seine Antwort: kein persönliches Wort bis auf die Anrede und das übliche `Mit freundlichen Grüßen´ am Ende. Dazwischen nur absolut steifes Behördendeutsch. Oh, Mann, dachte ich, muss das sein? Wenn ich mich konzentriere, verstehe ich zwar auch diese leicht gestelzte Sprache. Dennoch frage ich mich, warum mancherorts der Form derart Genüge getan werden muss – buchstäblich. Es klingt schön offiziell, einheitlich und ist nicht angreifbar. Aber wer, bitte, mag sowas lesen? Ich kenne niemanden! 

Spontane Warte-Zeiten

Einige Leute in meinem Umfeld kommunizieren gern über social media, aber mit eingebauten Pausen. Am Sonntag schreibt mir beispielsweise eine Freundin aus England: „Kann ich von Donnerstagabend bis Samstagmorgen bei euch übernachten?“ Ich muss nicht lange nachdenken und schicke ein „Ja klar!“ zurück. Danach höre ich bis Mittwochabend NICHTS mehr. Also frage ich, wann sie genau kommt (und ob sie vom Bahnhof abgeholt werden möchte), ob wir nur Basisstation sind oder sie am Freitag Zeit mit uns verbringen möchte … solche Dinge halt. Eine Stunde später antwortet sie, dass sie das erst noch klären muss – und ich gehe ins Bett.

Am Donnerstagvormittag weiß ich noch immer nicht, wann genau mein Besuch heute Abend kommt, geschweige denn, wie ich MEINEN Freitag gestalten kann. Ich halte mich für spontan, aber das Warten auf die Spontaneität anderer macht mir zu schaffen.