Stille – schön und anstrengend

Du bist nicht verantwortlich für das, was in der Stille passiert; du bist dafür verantwortlich, dass es Stille gibt.“
Klaus Vorländer

Das ist ja genau das Problem. Stillezeiten einzubauen in unserem so bewegten Alltag, ist schwierig. Die Stille dann auch auszuhalten und nicht gleich wieder anzufüllen mit Gebet, Wunschzetteln, chaotischen Gedanken zu allem möglichen, dem Horchen auf die Umgebung, dem Ärgern über Äußerungen, die uns nicht passen… – noch schwieriger. Still sein, wirklich still sein.

Selbst Jesus ist weggegangen von den Jüngern, um allein zu sein. In den Bergen von Judäa war es sicherlich deutlich ruhiger als in der niedersächsischen Tiefebene, den bayrischen Bergen oder an der Mecklenburger Küste. Vor 2000 Jahren allemal. Aber das ist nur eine Ausrede: Die Gegend war vielleicht ruhiger, die Ablenkungen damals deutlich weniger zahlreich, aber die menschlichen Stimmen in einem selbst sicherlich ebenso unüberhörbar.

Für mich bleibt das ein Kampf – wirklich still zu werden. Gut dass ich nicht auch noch dafür verantwortlich bin, das und was darin passiert, entsteht, in Gang kommt.

Schnittmengen

„Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“
Galater 3, 28

Wie eng mein Denken ist, wie eingeschränkt mein Sichtfeld. In der Begegnung mit Familie, die mir irgendwie nahe steht und aber doch so ganz anders lebt, habe ich (mal wieder) gemerkt, wie individuell ein Leben sich gestaltet, wie klein die Schnittmengen sind, die unsere Lebensentwürfe haben: Deutsch – weiblich – verheiratet – fünf Kinder – nicht berufstätig – Kleinstädterin… Je mehr ich aufzähle, desto kleiner wird der kleinste gemeinsame Nenner. Und immer mal überlappe ich hier oder da mit dem einen oder der anderen – und komme mit den unterschiedlichsten Menschen innerhalb unserer gemeinsamen Schnittmenge ganz wunderbar zurecht.

Außerhalb der gemeinsam geteilten Lebenswirklichkeit wird es schnell schwierig, vor allem, wenn man gezwungenermaßen miteinander zu tun hat. Viele Eltern bei einem Elternabend zum Beispiel. „Eltern der Kinder einer Klasse“ ist keine besonders große gemeinsame Schnittmenge – vor allem keine, die eng zusammenschweißt.

Es sei denn, am Ende steht Christ. Bei Christus hören die Unterschiede nicht auf, Christus ist die eine Schnittmenge, die mit äußeren Gegebenheiten nichts zu tun hat. Die Tiefe der Begegnung mit Christen verblüfft mich immer wieder; hier können Grenzen wegfallen, die sonst unüberwindbar scheinen. Zwar ist das kein Automatismus für beste Freundschaften, aber treffen kann man sich eben immer bei Jesus – das gemeinsame Gebet ist dafür ein toller Ort.

Abendmahl

Denn es ist kein Ansehen der Person vor Gott.“
Römer 2, 11

Abendmahlsgottesdienst. Ich darf austeilen. Gern spreche ich den Leuten namentlich zu, dass Jesus für sie gestorben ist, dass er für jeden einzelnen das Kreuz auf sich genommen hat – ob Birgit oder Andrea, ob Jakob oder Jürgen. Alle sind ganz verschieden. Manche kenne ich schon lange, manche kaum – so dass ich nach dem Namen erst fragen muss. Manche stehen mir näher, manche weniger, das Lebenskonzept von X ist mir vertraut, das von Y total fremd. Ganz zu schweigen von den Lasten oder Lastern, in die ich nur bedingt Einblick habe – und trotzdem bin ich schnell mit einem Urteil. Würde ich auch nur für einen von ihnen MEIN Leben geben? Ohne Bedingungen daran zu knüpfen, wie derjenige diesem Opfer gerecht werden sollte? Ich bezweifle es.

Ich weiß nicht, wie dann sowas passiert, aber manchmal schenkt Gott eine Sternstunde. Manchmal öffnet Gott einem ganz unerwartet die Augen für seine Sicht: Für einen Moment konnte ich mit dem Herzen verstehen, wie Jesus uns sieht. Alle anderen und auch mich, die ich durch so manches menschliche Raster mühelos durchfallen würde und für die auch nicht so schnell einer sein Leben geben würde. Eine Schwester nahm mich in den Arm. Nach einer kurzen Pause ging es wieder: „Jesus hat dich lieb, Anke, Jesus ist für dich persönlich ans Kreuz gegangen.“ Keine Wahrheit aus dem Verstand, eine Wahrheit aus dem Herzen.

Als Austeilende überwältigt vom Abendmahl – beschenkt bin ich nach Hause gefahren.

Christus und ich

Eine Frage, die mich seit einigen Jahren immer wieder beschäftigt, ist die nach der Berechtigung von Unzufriedenheit in meinem erfolgreichen, gesegneten Leben als langjährige Christin in einem reichen Land, in dem ich weder verfolgt noch aufgrund meines Glaubens bedroht werde. Ich weiß, dass Unzufriedenheit mit Undankbarkeit zu tun hat und nichts Positives bringt. „Sei dankbar in allen Dingen“, heißt es in der Bibel; und das stimmt ja auch wirklich, das tut mir ja auch gut. Ich höre oft, dass mit Gott alle Mauern zu überspringen sind, dass ich in IHM und mit IHM alles habe, was ich brauche, dass Dankbarkeit der Schlüssel zur Zufriedenheit ist und solche Dinge. Aber im ganz normalen alltäglichen Leben ist Gott eben nicht so häufig gleich und einfach zu erfahren. Manche Lebenswendungen erklären sich mir bisweilen auch nicht im Nachhinein – so sehr ich mich mühe, ihnen Gutes abzugewinnen. Und dann gibt es sie eben doch, diese leise Stimme, die sich hin und wieder in mir zu Wort meldet: `Es geht mir nicht so gut, wie ich es gern hätte. Ich bin unzufrieden oder sogar unglücklich, ich möchte aus meinem Leben ausbrechen, auch wenn es noch so viele sehr beneidenswerte Umstände gibt, in denen ich lebe.´ Zunächst bin ich versucht, diese Stimme zum Schweigen zu bringen, weil sie so undankbar klingt und so unheilig und so ungeistlich – und es vielleicht ja auch ist. Aber nach einiger Zeit kommt sie wieder; und immer mehr habe ich den Eindruck, ich müsste mich ihrem Reden stellen.

Zwischen Pro und Kontra

Ich bin verheiratet – ein Umstand, den sich viele wünschen und nicht haben, ich weiß. Aber das ist eben auch anstrengend. Ich habe zu Dingen eine andere Meinung als er, wir müssen uns einigen. Kompromisse sind nicht immer einfach und eben auch genau das – Kompromisse. Ja, mein Mann hat Werte und Prinzipien, unterstützt und liebt mich etc.
Dennoch gibt es manchmal eine Sehnsucht in meinem Innersten nach genau den Eigenschaften und der Art Verständnis, die er eben nicht mitbringt. Klar, ich kann mir genügen lassen an dem, was ich habe, kann dankbar sein. Aber ich darf mir auch zugestehen, dass es da ein kleines Defizit gibt, dass ich mich unverstanden fühle und nach 20 Ehejahren im Alltag zu wenig bewundert, zu wenig bestaunt (auch wenn dem de facto gar nicht so ist).

Ich habe Kinder – ebenfalls ein Segen, der nicht allen zuteil wird. Und wahrscheinlich kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, was es heißt, in diesem Bereich jahrelang auf Erfüllung starker Wünsche zu warten und zu hoffen, darum zu beten, und letztlich doch ohne Kind dazustehen. Wie schwer muss es sein, trotzdem noch Gott als den liebenden Vater zu kennen, der weiß, was gut ist für mich – wo es mir doch gar nicht gut damit geht!
Andererseits verändern Kinder ein Leben eben so umfassend, dass nicht nur Erfüllung auf der Liste steht, sondern auch Verzicht. Verzicht auf Selbstbestimmung, manchmal jahrelang. Verzicht auf Freiheit und Spontaneität, vom Verzicht in finanzieller Hinsicht, den einige noch dazu zu tragen haben, ganz zu schweigen. Verzicht vielleicht auch auf eine Arbeit und Karriere, die mich erfüllen würden, für die ich begabt wäre. Und manchmal sehe ich nur diese Seite der Medaille und fühle mich älter werdend und betrogen um Anerkennung im Beruf, eigenes Geld, Feierabend, kinderfreie Zeiten oder Zonen in meiner Wohnung, meinem Haus.

Zwischen Ist und Soll

Ich habe so viel, was andere nicht haben. Ich könnte, nein, müsste so unsagbar glücklich und zufrieden sein. Bin ich auch meistens. Mein Jammern findet auf einem sehr hohen Niveau statt. Aber auch in meinem so optimal laufenden Leben gibt es eben Dinge, die mich anstrengen und ermüden, die mich frustrieren und enttäuschen und in denen ich Jesus erstmal nicht erlebe. Er ist in allem drin und immer an meiner Seite, das weiß ich, aber ich merke es eben nicht immer. Jedenfalls kommt es bei mir nicht an. „Lass dir an meiner Gnade genügen“, das ist eben schwierig in der Praxis, das erlebe ich nur manchmal, das sind Sternstunden. Häufiger sind die Zeiten, in denen ich das durchbuchstabiere, wie wir Christen es oft so schön formulieren, und sich das dazugehörige gute Gefühl trotzdem nicht einstellt. Es bleibt beim Verstandeswissen, es rutscht nicht ins Herz. Dann möchte ich mir nicht am unsichtbaren und nicht greifbaren Jesus genügen lassen, sondern direkte Erfüllung meiner Wünsche und Bedürfnisse. Und schon fühle ich mich nicht dankbar, sondern muss mich dafür entscheiden, dankbar zu sein.

All das klingt nach einer sehr unzufriedenen Frau. Ist mein Glas immer nur halb voll? Nein, überhaupt nicht. Meist bin ich gut drauf, schenkt Gott Gelingen, kann ich dankbar sein von „ganz allein“, verstehe ich mich gut mit Mann und Kindern, habe Freunde und fühle mich so unsagbar wohl in meinem Leben. Diese anderen Momente sind selten, aber vorhanden – und mir drängt sich die Frage auf, ob diese anderen Momente nicht aber eben diejenigen sind, in denen sich mein Christsein bewähren sollte.

Stattdessen gewinne ich zunehmend den Eindruck, in meinem Leben kaum einen Unterschied zu machen. Sehen Menschen Jesus, wenn sie mich sehen? Lebe ich anders, streite ich anders, erziehe ich anders, verzeihe ich anders, bin ich anders zufrieden? Bin ich Salz für diese Welt oder wenigstens für meine Nachbarn? Gehe ich anders um mit den Unwägbarkeiten meines Lebens, mit meinem Frust, mit meinem Stress, mit den Dingen und Menschen, die mir auf den Keks gehen? Ich hoffe es, aber oft merke ich nichts dergleichen.

Mit den Jahren, in denen ich mich besser kennenlerne, fällt es mir auf, dass der größere Teil meiner Erdenjahre über meine Kraft hinaus herausfordernd ist, dass dieses oft so wunderbare Leben hier nur ein Abklatsch sein kann von dem, was noch kommt. Das hoffe ich zumindest. Die Momente des Einsseins mit Gott, der Gottesbegegnung sind eben Momente und nicht die Regel. Gott macht sich mir so fremd, so unabhängig; seine Erhabenheit und Unerreichbarkeit drängen sich fast schmerzhaft in mein Bewusstsein. Mir jedenfalls gelingt es nicht, eine Dauergemeinschaft mit ihm herzustellen oder vielleicht auch zuzulassen und auszuhalten, weil ich eben doch so sehr Mensch bin.

Ich weiß nicht, was die Ursache ist. Ich höre in mich rein und sehe in die Abgründe meiner Seele. Ich bin egoistisch, heuchelnd, unversöhnlich, leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen (und was weiß ich noch) und eben auch manchmal unzufrieden – und ich werde ohne (und vielleicht sogar trotz) Jesus immer genau das bleiben. Nichts davon kann ich willentlich abstellen, manches davon lebe ich ganz bewusst aus, wenn auch nur in Gedanken. Da bin ich ganz Teil dieser Welt und scheine mich auch nur minimal von ihr abzuheben – wenn überhaupt.

Dennoch!

Macht mich das zu einem schlechten oder unreifen Christen? Habe ich mich vor 25 Jahren nicht schon deutlich weiter gefühlt, deutlich heiliger und besser? Wenn es so weiter geht, empfinde ich meine geistliche Entwicklung als eher rückläufig. Und ich bin ein bisschen gespannt, was noch so alles offenbar wird in mir. Und wie Jesus damit umgehen wird.

Das ist nämlich die Kehrseite: Jesus wird mir ferner und näher zugleich. Ich staune anders als früher darüber, dass ich angenommen bin und geliebt, dass Jesus stirbt für meine Schuld, von der ich so viel mehr wahrnehme als vor 25 Jahren. Ich erlebe, wie individuell seine Wege mit uns sind, wie einzigartig (und oft auch schwer vermittelbar) unsere Gottesbegegnungen und wie viel Veränderung er eben doch schenkt in mir. Und DAS ist etwas, worin ich dann doch geistlich gesehen erwachsener werde und entspannter und über Gott juble: Er erreicht mich da, wo ich bin, und so, wie ich es brauche und tut tatsächlich etwas: Meine Rechthaberei hat über die Jahre weichere Züge angenommen, meine Bereitschaft, den ersten Schritt zu machen, ist gewachsen. Mit meinen nicht erfüllten Bedürfnisse gehe ich öfter schon mal früher ins Gebet und zu Jesus und erfahre den Frieden darüber, den eben nur er schenken kann. Es gäbe noch andere Beispiele. Nur eins: Ich bin viel dankbarer geworden für vermeintliche Selbstverständlichkeiten und nehme diese für das, was sie sind – ein Segen, ein unverdientes Geschenk. Meistens. Die noch immer auch vorkommenden Zeiten der Unzufriedenheit müssen wir beide aushalten – Christus und ich.

Vertrauen

„Wenn unser Gott, den wir verehren, will, so kann er uns erretten aus dem glühenden Ofen und aus deiner Hand, o König, kann er erretten. Und wenn er´s nicht tun will, so sollst du dennoch wissen, dass wir deinen Gott nicht ehren und das goldene Bild, das du hast aufrichten lassen, nicht anbeten wollen.“
Daniel 3, 17+18

Von meinen Kindern Lektionen zu erhalten, ist manchmal nicht einfach, manchmal wunderbar. Kürzlich hatte eine den Titel „Vertrauen“: Der Jüngste und ich fahren Rad. Wir nähern uns der lästigen Bedarfsampel auf dem Heimweg, die für Radfahrer nur auf Grün schaltet, wenn man das anfordert. Jemand anders hat das glücklicherweise getan. Die Ampel springt auf Grün – und wenn wir uns beeilen, schaffen wir es noch. Ich gebe Gas, mein Sohn schaut kurz zu mir, ich rufe „Los, fahr weiter!“, und er macht genau das. Obwohl die Ampel für die erste Fahrbahnhälfte da schon rötlich schimmert und er genau weiß, dass man das nicht tut. Obwohl er schon neun ist und selbständig im Straßenverkehr ein sehr aufmerksamer und guter Radfahrer ist. Verstand ausgeschaltet und auf Mama gehört.

Trotz des Rechtsbruchs (oder gerade deswegen?) hat es mich heute Morgen sehr gefreut. Es ist noch da, dieses unbedingte Vertrauen in mich. Ich hoffe, dass er es sich erhält und überträgt auf seinen Vater im Himmel – auch wenn es sich manchmal menschlich unangebracht anfühlt, alle Hoffnung auf IHN zu setzen. Auch wenn alle Zeichen auf Rot stehen, denken: Ich will die eine Stimme raushören, der ich vertrauen kann, auf die ich hören kann, die es IMMER gut mit mir meint. Vertrauen, bedingungslos.

Linsen im Sommerschlussverkauf

„Und Jakob kochte ein Gericht. Da kam Esau vom Feld und war müde und sprach zu Jakob: `Lass mich essen das rote Gericht; denn ich bin müde.´ … Aber Jakob spracht: `Verkaufe mir heute deine Erstgeburt.´ Esau antwortete: `Siehe, ich muss doch sterben; was soll mir da die Erstgeburt?´ Jakob sprach: `So schwöre mir zuvor.´ Und er schwor ihm und verkaufte so Jakob seine Erstgeburt.“
1. Mose 25, 29-33

Dieses Jahr läuft für mich ein Experiment: Ich kaufe mir nichts Neues zum Anziehen – ausgenommen von ein paar Socken und Unterwäsche gleich im Januar. Mein Schrank ist voll genug. Bislang war das kein Problem. Bis zu diesem SSV-Werbeprospekt mit der netten Bluse – reduziert und im Doppelpack sogar noch günstiger. Mittellanges Zögern, dann der Entschluss: Ein halbes Jahr ohne Klamotten-Konsum ist auch schon nicht schlecht.

Losgefahren, Blusen gekauft und gleich noch eine lange und eine kurze Hose dazu. Als ich mit der gesamten Beute wieder zu Hause war, schaltete sich mein Kopf wieder ein: Alles wieder zurück.

Wie leicht hätte ich fast (!!!) die gute Idee, ein Jahr zu verzichten, über den Haufen geworfen! Esau kam mir in den Sinn. Esau und sein Linsengericht. „Wie leichtfertig ist der mit seinem Erstgeburtsrecht umgegangen!“, sagen wir schnell. Vielleicht verhielt er sich ja tatsächlich sehr fahrlässig, obwohl er ganz genau wusste, was er sich damit entgehen ließ. Vielleicht war er aber auch unbekümmert am Heute (und an einem vollen Magen) interessiert – und die Versuchung eines leckeren Essens in gerade diesem Moment einfach zu groß, ihr zu widerstehen.

Haben wir überhaupt noch Prinzipien? Fällt uns Verzicht nicht viel schwerer, weil wir nie verzichten müssen? Ich zumindest habe eine mir selbst auferlegte Entscheidung doch relativ leichtfertig rückgängig machen wollen – um einer Bluse willen, die in meinem ohnehin vollen Kleiderschrank kaum Platz gehabt hätte. Welch ein Glück, dass sie mich nicht restlos begeistert hat. So schnell lass ich mich vom SSV nicht nochmal verladen!

Besonders (2)

Wollen wir nicht alle besonders sein? Besonders sind aber immer nur die anderen. Die scheinen das auch noch zu wissen und leben in einer tiefen Sicherheit, mit Selbstbewusstsein, das zum Himmel reicht. Nur ich nicht? „Wir sehen nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“, sagt der kleine Prinz in „Der kleine Prinz“; aber ich denke: Das stimmt eben gerade nicht – wir sehen eben nicht mit dem Herzen, wir sehen nur mit den Augen. Mit dem Herzen zu sehen ist nämlich ungleich schwieriger und uns nur vorbehalten in gewissen Sternstunden, wenn Gott selbst sie uns öffnet. Sonst sähen wir das Besondere im anderen – ohne Neid – und das Besondere in uns – ohne Stolz.

Erfolgreich als Mutter?

„Wo der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen. Wo der Herr nicht die Stadt behütet, so wacht der Wächter umsonst.“
Psalm 127, 1

Bin ich als Mutter erfolgreich, wenn aus meinen Kindern „etwas wird“? Und was heißt das? Eine Krankenschwester, ein Vater, ein Lehrer, ein Fußballstar, eine Pianistin, ein Mathematiker, ein Bundeswehrsoldat, ein Entwicklungshelfer, ein Lotto-Gewinner, eine zufriedene Frau …? Definiere ich mich später über die Lebenstauglichkeit meiner Kinder? Auch noch, wenn sie Lebenskünstler werden? Von wieviel Machbarkeit gehe ich unbewusst eben doch aus? Wieviel meine ich, selbst in der Hand zu haben?

Nicht erst, wenn etwas Unerwartetes passiert, ist es hilfreich, die eigene Allmacht in Frage zu stellen und Dinge loszulassen. Wir haben letztlich gar nichts unter Kontrolle; Gott dagegen alles. Er weiß, was gut ist, er weiß, welche Persönlichkeit in unseren Kindern schlummert, welcher Art die Herausforderungen sind, die ihnen bevorstehen und wie er sie am besten darauf vorbereiten kann. Ich möchte bewusst mit seinem Eingreifen rechnen, für meine Kinder beten, um Gutes, um Segen bitten und vertrauen, dass Gott es gut meint und zum Ziel kommt mit ihnen – auch wenn menschlich „erfolgreich“ vielleicht anders aussehen würde.

Unerfüllte Wünsche

Verflucht sei der Tag, an dem ich geboren wurde; der Tag, an dem meine Mutter mich gebar, sei nicht gesegnet!“
Jeremia 20, 14

Jeremia, du armer Mann!“, das denke ich, wenn ich diese Worte lese. Er tut mir leid – aus der Ferne. Ich lese, dass er andauernd und über Jahrzehnte hinweg Unheil verkünden und Vernichtung ankündigen muss. Ich lese auch, dass er genau das tut, was Gott von ihm möchte. Er lebt seine Berufung. Zwar fühlt er sich nicht genügend ausgestattet für das, was Gott ihm auftrug; aber Gott hatte ihm zugesagt, mit ihm zu sein und ihm alles zu geben, was er braucht. Also macht Jeremia sich auf den Weg und ist gehorsam. Und erlebt auch, dass Gott seine Zusage hält: Jeremia sagt, was er zu sagen hat, wird verstanden, verlacht und verachtet, behält Recht in allem, was er voraussagt, und erfährt Bewahrung.

Das ist doch wohl das, was wir unter „seiner Berufung entsprechend leben“ verstehen. Und dann kommt mittendrin dieser Vers. Jeremia ist nicht glücklich damit. Das Leben, das Gott für ihn geplant und für das Gott ihn begabt hat, schmeckt Jeremia nicht. Ich kann das gut verstehen: So ein Leben hätte ich auch nicht gewollt.

Meine bisherige Vorstellung war: Ich kann nie glücklicher und zufriedener sein, als wenn ich genauso lebe, wie Gott sich das für mich gedacht hat. Nirgends wird es mir so gut gehen wie in seinem Willen für mich. Stimmt diese Vorstellung nicht? Kann es mir auch gut gehen, wenn es mir nicht gut geht? Kommt dann etwas anderes ins Spiel? Vielleicht bin ich eine weichgespülte Wohlfühl-Christin, die gar nicht mehr merkt, wie sehr ihre menschlichen Umstände die biblische Idee von „erfülltem Leben“ verdrängt oder gar ersetzt haben. „Es gibt erfülltes Leben trotz unerfüllter Wünsche“, sagt Dietrich Bonhoeffer. Davon habe ich keine Ahnung: Es gibt nur wenige unerfüllte Wünsche in meinem Leben.

Ich bin dankbar, dass Jeremias Ehrlichkeit auch in der Bibel steht. Und dass er trotzdem weitergemacht hat. Dass er treu war und mutig und in Gottes Willen geblieben ist – auch wenn es ihn seinen eigenen gekostet hat.

Besonders (1)

„Ich danke dir, dass ich wunderbar gemacht bin…“
Psalm 139, 14a

Wunderbar? Ich will besonders sein. Ich weiß, dass ich von Gott wunderbar gemacht und für Gott einzigartig bin – und das ist doch etwas Besonderes. Aber es reicht mir nicht immer. Ich möchte Dinge besser können als andere, eine Sprache, einen Sport, einen Job, möchte eine Gabe haben, die andere nicht haben. Besonders sein eben. Wahrscheinlich bin ich mit diesem Wunsch nicht allein, aber er fühlt sich nicht richtig an, nicht legitim.

Außerdem: Wieso möchte ich besonders sein? In Gottes Augen werde ich nicht liebenswürdiger, wenn ich anders bin. Er hätte mich ja anders machen können. Seine Liebe kann ich mir nicht verdienen. Menschen dagegen würden mich auch dann nicht mehr lieben, wenn ich die Tollste überhaupt wäre. Liebe funktioniert nicht so. Liebe funktioniert anders. Und auf die Liebe kommt es an.

Wieso dann also dieser Wunsch tief in mir? Wieso dieser Frust, wenn ich Dinge nur mittelmäßig kann oder zwar etwas mehr als durchschnittlich, aber eben nicht besonders gut? Weil ich mich so oft mit denjenigen vergleiche, die gut sind, begabt, liebenswert und überdurchschnittlich in irgendetwas. Ich blicke zu ihnen auf, bewundere interessante Leute – und bin mir oft vielleicht gar nicht bewusst, dass ich in den Augen anderer ähnlich interessant (eben anders) wirke.

Wir haben ja die unpraktische Gewohnheit, uns überhaupt zu vergleichen. Und dann eben auch noch mit Leuten, die – auf den ersten Blick zumindest – „mehr besonders“ scheinen als wir selbst. Dabei sagt Gott, dass ich genug bin. Wunderbar genug.