Spontane Warte-Zeiten

Einige Leute in meinem Umfeld kommunizieren gern über social media, aber mit eingebauten Pausen. Am Sonntag schreibt mir beispielsweise eine Freundin aus England: „Kann ich von Donnerstagabend bis Samstagmorgen bei euch übernachten?“ Ich muss nicht lange nachdenken und schicke ein „Ja klar!“ zurück. Danach höre ich bis Mittwochabend NICHTS mehr. Also frage ich, wann sie genau kommt (und ob sie vom Bahnhof abgeholt werden möchte), ob wir nur Basisstation sind oder sie am Freitag Zeit mit uns verbringen möchte … solche Dinge halt. Eine Stunde später antwortet sie, dass sie das erst noch klären muss – und ich gehe ins Bett.

Am Donnerstagvormittag weiß ich noch immer nicht, wann genau mein Besuch heute Abend kommt, geschweige denn, wie ich MEINEN Freitag gestalten kann. Ich halte mich für spontan, aber das Warten auf die Spontaneität anderer macht mir zu schaffen.

In Ordnung? Ja!

Ich gebe mir Mühe mit einem Text; mein größter Kritiker bin ich selbst. Hier etwas kürzen, dort eine treffendere Formulierung – es geht immer noch ein bisschen besser, jedenfalls für meinen Geschmack. Besagter Text ist der erste für diesen Auftraggeber, weshalb ich unsicher bin, was genau von mir erwartet wird. Ich möchte es sehr gut machen. Irgendwann erkläre ich mein Werk für abgeschlossen und schicke es los.

Erfreulicherweise bekomme ich sehr schnell eine Antwort: „Der Text ist in Ordnung so“, steht da und dann noch einige Erklärungen, wie es jetzt weitergeht. In Ordnung?, denke ich und bin ganz erstaunt, was das mit mir macht. Einerseits bin ich erleichtert: Keine Kritik, kein Wunsch nach einem anderen Stil, eventuell nötige Kürzungen würden sich ausschließlich aus Platzgründen ergeben. Andererseits spüre ich eine leise Enttäuschung. `In Ordnung´ ist mir als Standard für meine Arbeit zu wenig – und klingt nicht nach sehr gut.

Vielleicht geht es der Erst-Leserin in ihrer Rückmeldung gar nicht um eine Bewertung meiner schriftstellerischen Leistung. Stattdessen zählt eventuell (zunächst) nur, dass ich die Sprache ihres Unternehmens treffe. Möglicherweise liest sich mein Text auch einfach nicht sehr gut, obwohl ich mir Mühe gegeben habe.

Wie geht es jetzt für mich weiter? Werde ich in Zukunft weniger Zeit und Mühe investieren, weil das auch reicht? Wonach richte ich mich hinsichtlich des Anspruchs an meine Arbeit? Ein Vers hilft mir, an meiner Perspektive festzuhalten: „Alles, was ihr tut, das tut von Herzen als dem Herrn und nicht den Menschen, denn ihr wisst, dass ihr von dem Herrn als Lohn das Erbe empfangen werdet. Dient dem Herrn Christus!“ (Kolosser 3, 23+24) Ich habe mehr investiert, als für `in Ordnung´ nötig gewesen wäre – und Gott weiß das. Das reicht mir!

Nicht müde

Zwei gute Nächte und ich fühle mich wie ein anderer Mensch: Wo steht das Klavier? Ich bin zwar sicher nicht auf alles vorbereitet, aber der Tag kann kommen. Fast geht es mir wie Cäsar (der kam, sah und siegte) – nur ohne den Größenwahn.

Zwischen gestern und heute liegen Welten, und das nur wegen acht Stunden erholsamen Schlafs.

Müde und mürbe

Ich schlafe selten durch und liege manchmal ein bis zwei Stunden wach – oder stehe noch einmal auf. Ein paar solcher Nächte stecke ich weg, ohne dass sie mich tagsüber nennenswert beeinträchtigen. Offensichtlich brauche ich nicht mehr so viel Schlaf, denke ich dann. Aber regelmäßig wird mir das aufgestaute Schlafdefizit doch einfach zu viel und ich bin müde – mental und körperlich. Ich fühle mich schlapp, bin unmotiviert und antriebsschwach. Je nach Wochentag gehe ich unterschiedlich damit um: Habe ich viel zu tun, funktioniere ich. Am Wochenende werde ich faul – aber erholsam ist auch das nicht. An solchen Tagen fahre ich nur mit `halber Kraft´ und bin unzufrieden. Schlafentzug ist ein effektives Mittel, die menschliche Psyche zu zermürben … 

Vom Auftakeln, begrenzt

Ich sehe nicht mehr aus wie 25 oder 35, denn ich bin schon 54. Mit meinem Erscheinungsbild (draußen vor der Tür) gebe ich mir nicht wesentlich mehr Mühe als früher – aber ein bisschen doch: `Wer abtakelt, muss auftakeln´, denke ich jedes Mal, wenn ich:

Gelegenheiten nutze, mich schick zu machen,
auf ausreichend Schlaf achte,
aus der Form geratene Augenbrauen vorsichtig zupfend zurechtstutze,
meine Garderobe altersgerechter auswähle
usw. usf.

Meine Bemühungen sind offenbar nur teilweise erfolgreich: Im Gottesdienst setze ich mich neben eine Freundin. „Du siehst gut aus!“, sagt sie und ich freue mich. Mein Blick fällt auf V., eine Frau Anfang 70 zwei Reihen hinter uns. Man sieht ihr das Alter nicht an, denn sie ist immer dezent geschminkt und äußerst geschmackvoll gekleidet: jung und sportiv, ohne auf jung getrimmt zu wirken. „Ich würde V. gern Konkurrenz machen“, antworte ich – für mich ungewohnt schlagfertig. „Das schaffst du nicht“, kommt es ebenso spontan zurück. Nur einen Moment lang bin ich verwirrt und fühle mich wie ein Ballon, dem die Luft abgelassen wird. Dann ist es wieder gut; ich verspüre weder Enttäuschung noch Neid. Meine Freundin hat recht: V. wird diesbezüglich, ohne es darauf anzulegen, immer in einer anderen Liga spielen. Mein Wunsch und meine Fähigkeit, aufzutakeln, sind begrenzt …

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold?

Immer häufiger passiert es mir, dass Menschen nicht antworten. Bei Briefen ist es mittlerweile ohnehin total unüblich – wer schreibt schon noch Briefe? Aber auch Mails bleiben oft unbeantwortet, selbst wenn das der einzige Kommunikationsweg ist, den wir nutzen. Diese kommunikative Zurückhaltung irritiert und ärgert mich; sie existiert privat und beruflich. Besonders nervig ist sie im Geschäftlichen: Wenn ich eine Rechnung stelle oder eine Arbeit abliefere, kommt von manchem – eine Weile gar nichts. Kein `Es dauert noch, tut mir leid!´, keine Rückmeldung, stattdessen nur Stillschweigen. Erschreckenderweise gewöhne ich mich immer mehr daran und rechne damit, dass ich nicht mit einer Reaktion rechnen kann. 

Kürzlich erfuhr ich, dass es auch anders geht: Eine Bekannte rief mich an wegen eines Jobs. Ich solle darüber nachdenken, sie sei jetzt erstmal im Urlaub. Zwei Wochen später schrieb ich eine Mail, ob wir uns treffen könnten. Umgehend kam die Antwort: „Ja, gern“, hieß es, „ich bringe Ordnung in mein Nach-Urlaubs-Chaos und melde mich in den nächsten Tagen.“ Das tat sie; wir trafen uns und einigten uns auf ein Schnupperarbeiten. Auch den Termin dafür habe ich inzwischen abgemacht, und zwar mit ihrer Kollegin, die sich deswegen bei mir meldete. Ich war jedes Mal überrascht und bin beeindruckt von der verlässlichen Kommunikation. Sie sollte normal sein, wirkt auf mich aber wie ein selten gewordenes Gütesiegel. 

Urlaub in der Heide

Sie blüht nicht mehr die Heide – es macht nichts. Trotzdem gehen wir wandern und genießen Ruhe und Weite bei wunderbarem Herbstwetter: kühl und windig, dabei trocken und sonnig. Anfangs halten wir uns an die beschilderten Wanderwege, später weichen wir davon ab, verlaufen uns aber nur unwesentlich. Das Gebiet ist über 700 Hektar groß; man könnte hier verlorengehen.

Als wir zwei Stunden später wieder an einer Orientierungstafel vorbeikommen, sind wir überrascht, wie klein der Bogen ist, den wir geschlagen haben – und beschließen, dass es reicht. Noch eine halbe Stunde und wir sind wieder beim Auto. Die gut zehn Kilometer sind nicht als Wanderung zu bezeichnen, aber in diese Urlaubswoche passt nichts Größeres. Die restlichen freien Tage füllen wir mit Garten- beziehungsweise Schreibarbeit. Am Ende der Woche wird der Heide-Spaziergang eine der wenigen völlig zweckfreien Beschäftigungen sein. Auch ein Kurz-Urlaub ist toll, finde ich und denke abends sogar, ich hätte Farbe bekommen. Das allerdings erweist sich als Illusion: Meine Tochter sieht nichts!

Unser bestes Stück

Wir haben einen großen Garten. Ringherum wachsen Büsche und Sträucher; im Sommer schaut man überall ins Grüne, das ist schön. Seit ein paar Jahren müssen wir aufpassen, dass uns immergrüne und blatt-abwerfende Büsche gleichermaßen nicht über den Kopf wachsen. Dabei behilflich sind uns verschiedene Gartengeräte: Bei hartnäckigen Verholzungen greifen wir zu Säge oder Axt, für den Rest reichen diverse Scheren. Aber wohin dann mit der Biomasse, die am Boden liegend so viel mehr Raum einzunehmen scheint als an der Pflanze?

Die schiere Menge an Material lässt uns zwei Optionen: jährlich mehrere Fahrten zur Müllumladestation oder hauseigene Weiterverarbeitung. Schon vor über zehn Jahren entschieden wir uns gegen die umständliche Fahrerei und kauften einen kleinen, aber leistungsstarken Gartenhäcksler. Seither ist dieser Nadelöhr und Masse-Bezwinger in einem. Es zerkleinert sich (wie bereits an anderer Stelle erwähnt) langsamer, als es sich abschneidet. Andererseits frisst sich der Häcksler unermüdlich durch festes, biegsames, verholztes oder frisches Schnittgut. Im Herbst steht er für ein paar Tage im Zentrum der Aktivität und bringt uns zum Staunen – unser bestes Stück.

Geteilter Ärger

Im Garten beim Zurückschneiden und Häckseln; die Sonne scheint. Wir kommen gut voran, quatschen ein bisschen, scherzen und nähern uns dem Ende. Als vorletzten Busch für heute stutzt mein Mann eine Korkenzieher-Hasel – großzügig, denn wir hatten sie jahrelang wachsen lassen. Die verdrehten Äste lassen sich nicht gut häckseln und wir kommen gar nicht mehr gut voran. Mein jüngster Sohn und ich häckseln jetzt schweigend und ernst vor uns hin, dann hilft auch mein Mann.

Es ist eine mühselige Angelegenheit, immer mal wieder unterbrochen davon, dass der eine oder andere sich kurz abwendet: Ausdruck mühevoll unterdrückten Frusts. Zwischendurch würde ich am liebsten jemanden anschreien oder alles kurz und klein schlagen. Aber ich tue es nicht, denn niemand und nichts ist schuld an der Misere. Also beiße ich mich durch, genau wie Mann und Sohn.

Ich staune mal wieder, wie viel Ärger in mir steckt: in diesem Fall nur, weil eine Arbeit nicht geschmeidig vorangeht. Es ist gut, diesem Ärger keinen Raum und dadurch auch keine Macht über mich zu geben – und es fällt mir viel leichter, weil wir zu dritt hier stehen. Irgendwann sind wir fertig, denn auch unangenehme Tätigkeiten sind am Ende nur eine Frage von Zeit, Fleiß und Geduld.

Arbeit versus Leben?

Menschen wünschen sich eine vier-Tage-Woche, eine geringere Wochenarbeitszeit oder sonst etwas in der Richtung. Das Ziel ist eine bessere work-life balance, was zu bedeuten scheint, möglichst wenig zu arbeiten und möglichst viel zu leben. Es klingt, als hätte unsere Arbeit nichts zu tun mit unserem Leben, fast so, als würden beide sich gegenseitig ausschließen – als ob ich umso weniger lebe, desto mehr ich arbeite.

Sehe ich meine Arbeit nur als leider notwendiges Übel, um meine Rechnungen zu bezahlen, dann ist die Lösung natürlich, mit minimaler Arbeit maximal Geld zu verdienen. In diesem Fall wären Langzeitarbeitslose die glücklichsten Menschen unter der Sonne – beglichene Rechnungen vorausgesetzt.
Empfinde ich dagegen meine Arbeit als etwas sehr Befriedigendes, dann bin ich (glücklich) rund um die Uhr damit beschäftigt, ohne Zeit zum Leben zu haben. Beide Szenarien sind natürlich Quatsch.

Klüger wäre es, Arbeit als zum Leben zugehörig zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen. Denn stimmt es einfach nicht, dass wir entweder arbeiten oder leben. Schließlich leben wir rund um die Uhr und arbeiten deutlich länger als von 8 bis 5. Generationen vor uns wussten sehr genau: Leben ist (manchmal harte) Arbeit – auch abseits des Broterwerbs. Daher werde ich, solange ich lebe, höchst selten arbeits-los sein – auch abseits des Broterwerbs. Oft fühle ich mich gerade dann am lebendigsten, wenn ich etwas tue, was einem anderem dient.

Ich bezweifle, dass meine work-life balance sich verbessert, sobald ich weniger arbeite und dafür in der Freizeit mehr erlebe. Ausbalancierter werde ich eher, wenn ich meine Perspektive ändere und dankbar bin, in meinem Leben eine (wie auch immer brauchbare) Arbeit erledigen zu können – egal, ob für Lohn oder nicht. Es ist müßig und nicht besonders schlau, Arbeit und Leben in ein Gleichgewicht bringen zu wollen. Generationen vor uns wussten auch das.