Ich habe keine Ahnung, was morgen passiert. Ich kann nur heute so leben, wie Gott es von mir will – falls ich das denn weiß. Wenn ich seinen Ruf verspüre, möchte ich dem folgen. Gott muss und wird mir nicht offenbaren, was genau er mit meinem Leben vorhat: ob ich erfolgreich bin in meiner Arbeit oder meinen Kindern eine gute Gesprächspartnerin, es meiner Freundin nutzt, dass ich ihr zuhöre, mein Mann sich auf mich verlassen kann … Aber ich kann im Hier und Jetzt mein Bestes geben und versuchen, so zu leben, wie ich vermute, dass Jesus es auch tun würde.
Die Krux mit dem Vergleichen
Auf meiner Laufrunde komme ich bei einer Bekannten vorbei; sie werkelt gerade in ihrem Garten herum. Es ist warm genug, so dass ich einen kleinen Zwischenstopp mit Plausch einlegen kann. Wir reden über dies und das. Ich hätte sie vor einiger Zeit motiviert, wieder regelmäßig laufen zu gehen, sagt sie: Im vergangenen Jahr habe sie dann noch ihre 1.000 Kilometer geschafft. Ich bin beeindruckt. Als ich weiterlaufe, überlege ich, wie viele Kilometer ich im Jahr schaffe – und komme `nur´ auf ungefähr 750 Kilometer. Sofort suche ich nach Erklärungen dafür, dass es nicht mehr sind: Ich bin wahrscheinlich zehn Jahre älter. Außerdem lege ich es nicht darauf an, die 1.000er Grenze zu knacken – und bin stattdessen aber wahrscheinlich zügiger unterwegs. Während meine Gedanken noch in dieser Richtung kreisen, werde ich innerlich still und denke: Es sollte mir egal sein. Seit Jahrzehnten laufe ich fröhlich und regelmäßig vor mich hin, ohne dass ich die Jahreskilometer auf dem Schirm habe. Die Leistung anderer ist ihre Sache und nicht relevant für MEINE Laufrunden. Ich bin nicht besser oder schlechter als sie, weil ich weiter, genauso weit oder kürzer laufe als sie!
Ein, zwei, drei Wege
Es langweilt mich nicht, immer dieselbe Strecke zu joggen – im Gegenteil: Ich muss nicht denken und kenne jede Stolperfalle. Ganz selten variiere ich ein wenig und hänge hier oder dort noch ein Schleifchen dran; fast nie kürze ich ab.
Seit einigen Wochen arbeite ich in einem Büro in der Innenstadt. Um dorthin zu gelangen, wechsele ich zwischen drei leicht unterschiedlichen Wegen: mit oder ohne Berg, viel oder wenig Hauptstraße. Die Distanz bleibt fast gleich. Es würde mich langweilen, immer dieselbe Strecke zu radeln – wieso auch immer.
Paradox?
In einem ehemaligen Autohaus befindet sich seit einigen Jahren ein Fitness-Studio. Ich fahre oft daran vorbei – es liegt direkt an der Hauptstraße. Durch die großen Fensterfronten sehe ich, wie die Sportler sich fit halten. Wer auf dem Laufband trainiert, schaut manchmal ebenso interessiert zurück. Heute standen drei Leute vor der Tür, in Trainings-Outfit plus Jacke gegen die kühle Luft am Morgen – Zigarettenpause.
Erst im Studio etwas für die körperliche Fitness tun und danach eine Zigarette rauchen: für mich als Beobachter eine widersinnige Mischung.
Erst eine Zigarette rauchen und dann im Studio etwas für die körperliche Fitness tun: für die Betroffenen vielleicht eine logische Konsequenz.
Besonders und umsonst
Wir gehen selten essen; es ist nicht normal, sondern etwas Besonderes für uns. Deshalb darf es dann auch etwas mehr kosten als zu Hause; schließlich bezahlt man den Service mit und dass man sich auch nicht ums Kochen kümmern muss. Kürzlich waren wir (aus besonderem Anlass) in einem mexikanischen Restaurant. Es schmeckte in Ordnung, aber eher normal als besonders. Entsprechend erstaunten mich die Preise – wie heutzutage überall: ganz schön teuer. Ab und zu ist das in Ordnung. Und doch denke ich wehmütig an unseren letzten Urlaub im Herbst. Wir waren in Süd-England in einem Airbnb; sehr gute Freunde von uns wohnen dort in der Nähe. Wir hatten eine wunderbare Zeit zusammen, gingen viel spazieren und besuchten sie oft in ihrem kleinen Häuschen. Fast jeden Abend wurden wir bekocht. Meine Freundin ist eine sehr gute Köchin, ohne viele Worte davon zu machen. Sie benutzt kaum Rezepte und zaubert wie beiläufig sehr besondere und ausgesprochen leckere Gerichte –für uns: alle umsonst!
Beim Laufen
Die Vögel zwitschern, die Sonne scheint, die Luft ist lauwarm. Mitten im Wald stehen und blühen Krokusse: Frühlingsblüher. Ich frage mich, was die hier machen – aber egal. Der Winter wird sich sicherlich noch einmal aufbäumen mit Nässe und Kälte. Es wird ihm nichts nutzen, es ist Anfang März: Frühling liegt in der Luft und ich freu mich!
Frech und lächerlich
Kürzlich holte ich meinen Mann am Flughafen ab – nachts um 2 Uhr. Ich stellte unser Auto auf den fast leeren Parkplatz; mit mir warteten nur vier oder fünf andere Leute auf ihre Lieben. Drei Wochen später bekommen wir Post: mit einem Parkticket. Ich hatte nicht gesehen, dass man dort nachts fürs Parken zahlen muss. Das ist lächerlich, denke ich. Die Gebühr beläuft sich auf 47 Euro. Das ist außerdem frech, denke ich. „Mach dir nichts draus“, sagt mein Mann. Also spare ich mir die Schnappatmung für wirklich wichtige Dinge auf; wir überweisen das Geld und schenken den verantwortlichen Handaufhaltern nichts weiter: keinen empörten Gedanken und kein ärgerliches Gefühl.
Unnützes Zeug?
Unsere Kinder hatten beziehungsweise haben alle Latein in der Schule, einige auch Griechisch. „Was soll man denn heute noch mit einer Sprache, die keiner mehr spricht?“, fragte und fragt uns mancher. Na, zum Beispiel andere romanische Fremdsprachen leichter erfassen, Wort-Ursprünge im Deutschen erkennen und all das lernen, was zum LERNEN einer solchen Sprache dazugehört: Ausdauer beim Üben, genaues Hinschauen, Training des Sprachgefühls beim Übersetzen, ein besseres Verständnis von Grammatik, einen Einblick gewinnen in die Kultur, aus der wir kommen … Bei entschiedenen Neusprachen-Freunden bleibt die Skepsis trotzdem größer als das Verständnis.
Gestern waren wir in einem Konzert der Schulband: Gitarren, Schlagzeug, Klavier, Posaunen, Trompeten, eine Geige, Sänger … Die musizierenden jungen Menschen nahmen uns mit auf eine zweistündige Reise durch die Musik der vergangenen sieben Jahrzehnte. Es war wunderbar: überzeugende musikalische Fertigkeiten, ansteckende Spielfreude und beeindruckende Bühnenpräsenz. Einige der Musiker machen dieses Jahr Abi und werden höchstens für Gastauftritte zurückkommen. Ob sie in Zukunft noch Gelegenheit haben werden, in einer Band zu spielen – wer weiß. Kaum einer der Beteiligten wird aus seinem Hobby einen Beruf machen; sicherlich werden alle in Zukunft deutlich weniger Zeit für Musik haben als bisher.
Waren all die Unterrichtsstunden deshalb umsonst? Oder dienten sie nur dem einen Zweck, den einen oder anderen Abend mit der Schulband zu gestalten? Mitnichten: Musik ist horizonterweiternd und man lernt mehr als nur das Spielen eines Instrumentes: Fingerfertigkeit und Koordination (mindestens der Hände), Ausdauer beim Üben, Training des Harmonie-Gefühls beim Zusammenspiel mit anderen, Mut, vor Menschen aufzutreten, und natürlich das Einfügen in eine Gruppe … Selbst wenn all diese Nebeneffekte irgendwann nicht mehr fürs Musizieren benötigt werden: Horizonterweiternd sind sie doch.
Ein Instrument oder eine alte Sprache – das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge. Es hat sehr ähnliche Nebeneffekte, das eine oder das andere zu erlernen. Finde ich.
Vom Hörensagen
„Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen, aber nun hat mein Auge dich gesehen“, sagt Hiob über Gott (Hiob 42, 5), nachdem er den Tod seiner Kinder sowie geschäftlichen und gesundheitlichen Ruin durchlebt hatte. In der Zeit danach lernte er Gott anders kennen als vor all dem Elend – unmittelbar, aber nicht weniger geheimnisvoll: Er hatte einen Einblick bekommen von Gottes Macht und Herrlichkeit.
Wir haben uns daran gewöhnt, schlechte Nachrichten zu lesen oder zu hören: in der Zeitung, im Radio, im Internet. Sie schocken uns, wenn überhaupt, meist nur kurz – auch wenn es wirklich schlimme Dinge sind, die in der Welt passieren. Aber es handelt sich fast immer um Geschichten, die mit uns persönlich nichts zu tun haben und uns entsprechend wenig berühren – vom Hörensagen.
Schlechte Nachrichten entfalten eine andere Wirkung, wenn Menschen damit konfrontiert sind, die wir persönlich kennen. In den letzten Wochen war das der Fall: sozusagen Mord und Totschlag in unserem Dunstkreis. Wir blicken in die Abgründe einer gefallenen Welt – nicht aus sicherer (rationaler) Distanz, sondern aus der (emotionalen) ersten Reihe. Wir sind nicht die Hauptdarsteller, gehören aber zum Ensemble; `vom Hörensagen´ ist definitiv vorbei.
Meine Story des Tages
In unserer Tageszeitung steht ein langer Artikel; er gefällt mir. Es geht darum, dass die beiden Vorreiter-Länder der digitalen Schule, Schweden und Dänemark, inzwischen längst zurückrudern und wieder auf Bücher und Papier setzen. Das freut mich sehr: auch, dass es bei uns in der Zeitung steht.
Was wurden und werden wir belächelt als die ewig Gestrigen – die Spaßbremsen! – weil wir unseren Kindern erst spät ein Handy erlaubt haben und Wert auf altmodisches Zeug legten und legen: Bücher lesen und eine ordentliche Handschrift zum Beispiel. Unsere Skepsis sei unpopulär und unvernünftig, hieß es immer wieder, die digitale Technik komme sowieso („später tippen sie alle“) und lasse sich nicht aufhalten. Als wäre das ein hinreichendes Argument dafür, das Unaufhaltsame dann auch noch gutzuheißen und jeden Trend kritiklos mitzumachen, anstatt sich selbst eine Meinung zu erlauben!
In dieser `story des Tages´ wird die Bewertung der nationalen Digitalisierungsstrategie in Schweden erwähnt. In ihr heißt es unter anderem: „Je mehr Computer es in den Schulen gibt und je öfter sie eingesetzt werden, desto schlechter.“ Der Bildungsminister Dänemarks hat sich sogar entschuldigt bei einer `Generation digitaler Versuchskaninchen´. Sicherlich gibt es andere Experten und Studien, die das Gegenteil behaupten. Diese müssen herhalten als Begründung für die digitale Aufrüstung an deutschen Schulen – weil wir ja `so hinterherhinken´ in dem Bereich.
Ich aber bewundere die ehrliche (und mutige) Kehrtwende der Skandinavier, die erkennen: „Wir brauchen eine gute Balance zwischen digitalen und analogen Medien.“ Sie ist mir lieber als die anhaltende Glorifizierung der Digitalisierung als DAS Allheilmittel für eine erfolgreiche Ausbildung unserer Kinder. Generationen vor uns waren nicht weniger schlau als wir, nur weil sie mit Buch, Stift und Papier zur Schule gingen. Auch ihretwegen tummelt sich so viel gesammeltes Wissen: ja, auch im Internet. Es lässt sich nicht vererben, sondern nur erwerben – und dafür müssen Menschen noch selber denken und sich Fähigkeiten aneignen, oft mühevoll.