Unerfüllte Wünsche

Verflucht sei der Tag, an dem ich geboren wurde; der Tag, an dem meine Mutter mich gebar, sei nicht gesegnet!“
Jeremia 20, 14

Jeremia, du armer Mann!“, das denke ich, wenn ich diese Worte lese. Er tut mir leid – aus der Ferne. Ich lese, dass er andauernd und über Jahrzehnte hinweg Unheil verkünden und Vernichtung ankündigen muss. Ich lese auch, dass er genau das tut, was Gott von ihm möchte. Er lebt seine Berufung. Zwar fühlt er sich nicht genügend ausgestattet für das, was Gott ihm auftrug; aber Gott hatte ihm zugesagt, mit ihm zu sein und ihm alles zu geben, was er braucht. Also macht Jeremia sich auf den Weg und ist gehorsam. Und erlebt auch, dass Gott seine Zusage hält: Jeremia sagt, was er zu sagen hat, wird verstanden, verlacht und verachtet, behält Recht in allem, was er voraussagt, und erfährt Bewahrung.

Das ist doch wohl das, was wir unter „seiner Berufung entsprechend leben“ verstehen. Und dann kommt mittendrin dieser Vers. Jeremia ist nicht glücklich damit. Das Leben, das Gott für ihn geplant und für das Gott ihn begabt hat, schmeckt Jeremia nicht. Ich kann das gut verstehen: So ein Leben hätte ich auch nicht gewollt.

Meine bisherige Vorstellung war: Ich kann nie glücklicher und zufriedener sein, als wenn ich genauso lebe, wie Gott sich das für mich gedacht hat. Nirgends wird es mir so gut gehen wie in seinem Willen für mich. Stimmt diese Vorstellung nicht? Kann es mir auch gut gehen, wenn es mir nicht gut geht? Kommt dann etwas anderes ins Spiel? Vielleicht bin ich eine weichgespülte Wohlfühl-Christin, die gar nicht mehr merkt, wie sehr ihre menschlichen Umstände die biblische Idee von „erfülltem Leben“ verdrängt oder gar ersetzt haben. „Es gibt erfülltes Leben trotz unerfüllter Wünsche“, sagt Dietrich Bonhoeffer. Davon habe ich keine Ahnung: Es gibt nur wenige unerfüllte Wünsche in meinem Leben.

Ich bin dankbar, dass Jeremias Ehrlichkeit auch in der Bibel steht. Und dass er trotzdem weitergemacht hat. Dass er treu war und mutig und in Gottes Willen geblieben ist – auch wenn es ihn seinen eigenen gekostet hat.

Besonders (1)

„Ich danke dir, dass ich wunderbar gemacht bin…“
Psalm 139, 14a

Wunderbar? Ich will besonders sein. Ich weiß, dass ich von Gott wunderbar gemacht und für Gott einzigartig bin – und das ist doch etwas Besonderes. Aber es reicht mir nicht immer. Ich möchte Dinge besser können als andere, eine Sprache, einen Sport, einen Job, möchte eine Gabe haben, die andere nicht haben. Besonders sein eben. Wahrscheinlich bin ich mit diesem Wunsch nicht allein, aber er fühlt sich nicht richtig an, nicht legitim.

Außerdem: Wieso möchte ich besonders sein? In Gottes Augen werde ich nicht liebenswürdiger, wenn ich anders bin. Er hätte mich ja anders machen können. Seine Liebe kann ich mir nicht verdienen. Menschen dagegen würden mich auch dann nicht mehr lieben, wenn ich die Tollste überhaupt wäre. Liebe funktioniert nicht so. Liebe funktioniert anders. Und auf die Liebe kommt es an.

Wieso dann also dieser Wunsch tief in mir? Wieso dieser Frust, wenn ich Dinge nur mittelmäßig kann oder zwar etwas mehr als durchschnittlich, aber eben nicht besonders gut? Weil ich mich so oft mit denjenigen vergleiche, die gut sind, begabt, liebenswert und überdurchschnittlich in irgendetwas. Ich blicke zu ihnen auf, bewundere interessante Leute – und bin mir oft vielleicht gar nicht bewusst, dass ich in den Augen anderer ähnlich interessant (eben anders) wirke.

Wir haben ja die unpraktische Gewohnheit, uns überhaupt zu vergleichen. Und dann eben auch noch mit Leuten, die – auf den ersten Blick zumindest – „mehr besonders“ scheinen als wir selbst. Dabei sagt Gott, dass ich genug bin. Wunderbar genug.

Dear English,

we´ve known each other for quite some time. I got officially introduced to you, when I was about twelve years old – much later than nowadays usual. Instantly I fell in love with you. You know, that German is my mother tongue. It is normal for me, a great tool to communicate and often more than just words: I know, that I can transport facts with them as well as interest, knowledge, curiosity and even emotions. Other people´s German I can really admire or enjoy – in Newspapers, in books, by people who are eloquent, funny, quick-witted. I like to deal with words myself, I like how they sound, how special phrases make me laugh or thoughtful.

But another kind of smile crosses my face when it comes to you – the English language. You are my real passion (language-wise). I am not as fluent as in my mother tongue and it´s not as easy going for me to speak or write in English as I wished. But still – I am simply fascinated by you and enjoy your company: I like listening to you, reading books, watching movies – and I am even ready to sacrifice my claim for the contents of a text just for the sake of you. If it wasn´t for you I wouldn´t have „met“ Minette Walters for instance. I don´t especially like crime novels, but with you I read them anyway – and enjoy you along the way, certain wordings I understand and admire but don´t actively use myself.

You broadened my horizon: A whole world of people, books, interviews, thoughts, ideas opened up to me through you. Expressions like ´pugnacious`, ´oblivious` or ´to get carried away`, to name only very few, expand my ability to describe my disposition or my feelings – and often make me smile.

You are generous: Even when I lack the right words (because I never studied you properly and probably never will get the chance to do so) I will always find a way to say what I want. You don´t mind, if it´s sometimes a bit off the mark: With you it´s not about perfectionism, it´s about being together and being honest and trying anyway.

You are patient with me: When Jonny Lee Miller as Sherlock Holmes speaks as fast as a shot gun, Tom Hanks as Charlie Wilson articulates almost beyond recognizability or Gary Lewis as Billy Elliot´s father Jackie pronounces his sentences as only a real Durham mineworker can – I still get it. There will be something left for me what I can understand, some phrases still sound in my brain after the words have long been spoken – and I understand. I don´t need a translation to know, what the story was about.

You are sometimes beyond my grasp – and still my friend: Lionel Shriver´s use of you in „We need to talk about Kevin“ took me to the limits of my skills, but I finished the book and even liked the challenge.

Your are forgiving: My days are filled with German words, different tasks, even some long stretches of silence. You seem to bide your time, wait for the moment of all moments when I grab an English book, write a mail to an English friend or get a phone call – and my enthusiasm is back, you fascinate me and don´t make yourself rare or refuse to be understood.

You remain full of surprises: There always are and always will be new words, unknown expressions and the whole area of complicated grammar, irregularities, the special use of tenses – to name only a few: I often discover something I don´t have a clue about. After a sometimes initial sigh deep in my heart about my hopelessness to master you I start to enjoy even those hardships. They are rather an enrichment than a difficulty to me.

You are more than a language, more than a challenge for my brain: You touch a chord inside of me, my soul enjoys your presence, my mood lifts up, when you are around.

You are like a soul mate to me. There is no reasonable explanation and this is silly, I know, but that´s how I am wired – as it is with any other loving relationship. I was lost, when I met you, my fascination was there from the start as a teenager in school and it has grown over the years. And I am sure it will stick with me until I die or stop being able to use my brain. Although I am far away from being perfect I will go on applying you, listening to you, spending time in your presence and trying to learn more about you. I simply love you! Thanks for being my companion and friend.

Lots of love,
Dagmar

PS: Thanks for reading up to the end in spite of my inadequacy – especially concerning the punctuation!

Gleichberechtigung – geht alles gar nicht?

Als ich noch nicht wieder an Berufstätigkeit dachte …,
aber schon wieder Zeit zum Denken hatte.

Folgender Text war ein Kommentar zum Artikel „Geht alles gar nicht“ von Marc Brost und Heinrich Wefing in der ZEIT vom 30. Januar 2014.

Interessant und lobenswert finde ich Ihren Artikel zum Stress der heutigen Väter, die sich mit ihren Rollen als solche zurecht finden müssen in einer Welt, in der sie außerdem noch Ehemänner und Berufstätige sind. Und es ist in der Tat schön, wenn jemand den Stress einmal beim Namen nennt, den die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für alle Beteiligten erzeugt. Auch dass der aus meiner Sicht völlig überstrapazierte Begriff der Qualitäts-Zeit von seinem Heiligenschein befreit wird, gefällt mir.

Sie schreiben, wir wollten Gleichberechtigung; es sei gut, dass Frauen das gleiche Recht auf Karriere hätten. Haben sie doch. Nur geht das zulasten der Familie, wie Sie richtig bemerken. Aber – heißt Gleichberechtigung wirklich, dass wir alle die gleichen Aufgaben zu gleichen Teilen wahrnehmen? Und – geht das überhaupt, oder müssen wir an diesem Anspruch unweigerlich scheitern, weil wir eben nicht gleich veranlagt, gleich begabt, gleich interessiert sind? Also haben wir anstelle der Vereinbarkeit von Familie und Beruf deren Unvereinbarkeit und daraus folgend wohl die einzig logische und vielfach praktizierte Konsequenz – dass gerade hoch qualifizierte Frauen sich gegen Kinder entscheiden.

Zu dieser Kategorie gehöre ich wohl auch – habe ich doch zumindest einen Hochschulabschluss, danach noch eine Ausbildung, aber in beiden Berufen habe ich kaum gearbeitet, sondern spät – wie sollte es anders sein – mit Anfang 30 mein erstes Kind bekommen. Fünf sind es geworden, wofür ich dankbar sein kann, weil die Gesellschaft und die Frauen um mich herum nicht erwarten, dass ich das mit einem Job noch hinbekomme und ich mich somit kaum diesbezüglichem Druck ausgesetzt fühle. Mein Jüngster ist noch im Kindergarten, mein Zeitfenster noch sehr klein; aber seien wir ehrlich: Wie soll ich als Mutter von egal wie vielen (kleinen!) Kindern überhaupt einer Arbeit nachgehen, ohne sowohl bei der Arbeit als auch in der Familie nur noch halb anwesend zu sein? Von meiner Rolle als Ehefrau mal ganz abgesehen.

Es mag ja mit ein bis zwei Kindern noch eine gewisse Vereinbarkeit existieren, aber auch hier habe ich meine Zweifel. Jedenfalls kenne ich in meinem Umfeld kaum Familien, in denen es gut klappt, wenn beide Eltern arbeiten gehen. Das halbe Leben scheint mit dem Organisieren der Kinder angefüllt zu sein – von der von Ihnen beschriebenen spontan auftauchenden Grippe in der Tat mal ganz zu schweigen. Solange alles läuft, in Ordnung. Aber wie lange läuft denn alles normal, wenn Kinder zu sehr sich selbst überlassen bleiben, wenn beide Eltern Terminen hinterher rennen, wenn meine Aufmerksamkeit als Mutter immer eine geteilte sein muss, damit ich auf dem Arbeitsmarkt mithalten kann?

Wenn es finanziell nicht anders geht, kann man wohl froh sein, dass beide Partner Arbeit haben. Ist das Finanzielle keine Frage, muss man sich jedoch fragen lassen, was die Motivation ist, sich Stress ins Haus zu holen, obwohl das der einzige Ort ist, an dem man dem Stress, den unsere Kinder heutzutage spüren, entgegenwirken kann.

Einen wichtigen Aspekt finde ich nebenbei noch: Was ist mit den Frauen, die keine Karriere machen wollen? Sind die deswegen nicht gleichberechtigt? Sind die rückschrittlich, altmodisch, Auslaufmodelle, wie einer Freundin von mir schon bescheinigt wurde, weniger mit der Zeit gehend? Ist die Aufgabe, die eine Nur-Mutter wahrnimmt, eine gleichermaßen berechtigte Tätigkeit? Meiner Wahrnehmung nach nicht. Sie muss erledigt werden, sie wird im allgemeinen nicht vergütet, und sie hat einen deutlich geringeren ideellen Stellenwert.

Ist es wirklich so, dass bestimmte Karrierewege nur lückenlos beschritten werden können? Und – sind das dann auch meine Wege? Lebe ich im Morgen, wenn ich eine bestimmte Stufe endlich erreicht haben werde, oder lebe ich im Heute, in dem meine Kinder mich einige (wenige) Jahre intensiv brauchen? Ist das auch ein mich erfüllendes Leben? Ich persönlich bin sicher nicht diejenige, die ihre Selbstverwirklichung im Kochen und Putzen findet, trotzdem bin ich nicht berufstätig, sondern investiere meine Zeit in meinen Nachwuchs. Dabei zahle ich ebenso einen Preis wie Sie.

Ich empfinde es als Vollzeitjob, meinen Kindern die Prägung mitzugeben, die mir wichtig ist, ihnen in der Schule helfend zur Seite zu stehen, Ansprechpartner zu sein, wenn sie das denn wollen und brauchen – was nicht unbedingt immer in oben erwähnter Qualitäts-Zeit vorkommt (und überhaupt selten, wenn es MIR am besten passen würde).

Mein großer Vorteil ist: Ich erlebe die Freude meiner Kinder über gelernte Dinge, erreichte Ziele, teile ihre Enttäuschungen, muss die auftauchenden Konflikte aushalten – wie jede andere Mutter auch –, bin aber meist mit dem ganzen Ohr dabei.

Mein großer Nachteil: Ich kann eben nichts anderes machen. Ich erfahre keine außerhäusige Anerkennung, meine Rente steigert sich – wenn überhaupt – nur spärlich, meine Aussichten, an diesem Zustand jemals etwas zu verändern, sinken mit jedem Jahr weiter ab. Und wenn ich Pech habe, komme ich in der gesamten Diskussion über Gleichberechtigung überhaupt nicht vor!

Was ich später einmal machen werde beruflich? Keine Ahnung, noch nicht jedenfalls. Das ist das eigentliche Problem, finde ich. Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht schwerlich (oder gar nicht, wie Sie feststellen) mit kleinen Kindern. Mit größeren Kindern sieht die Sache sehr anders aus, nur bin ich dann als bisherige Nur-Mutter zu lange aus dem Job/dem Thema raus und werde entsprechend nicht mehr eingestellt. Dabei wäre ich mit selbständigerem Nachwuchs zuverlässiger bei der Arbeit, sicherlich hoch motiviert und mit ganzem Herzen dabei. Arbeitgeber zu unterstützen, älteren Frauen eine berufliche Chance zu bieten, das wäre doch vielleicht eine langfristige und schlaue Investition. Dass wir ohne Anerkennung dennoch treu unseren Job machen, wiederkehrende Routine-Arbeiten klaglos erledigen und in der Lage sind, die eigenen Bedürfnisse nicht immer zu wichtig zu nehmen, haben wir dann ja schon zur Genüge bewiesen.

Ganz sachlich

Es fällt mir schwer, ganz sachlich über etwas zu schreiben – schon verkehrt. So kann man nicht anfangen, wenn man ganz sachlich bleiben möchte. Schwerfallen ist kein Wort für einen sachlichen Text. Nochmal.

Rein sachliche Aussagen wirken oft blutleer und flach, ihnen fehlt die Tiefe. Dennoch können sie wahr sein und richtig und damit kaum anfechtbar – ein bisschen wie Menschen, die sich korrekt verhalten, das Gesetz beachten und allgemeine Regeln befolgen. Das funktioniert eine Weile sehr gut, in der Auseinandersetzung mit lebendigen Menschen wird es allerdings irgendwann schwierig. Ich jedenfalls weiß nicht, wie man so durch´s Leben kommen kann, aber es muss gehen. Oder?

Und schon wieder habe ich nicht sachlich geschrieben, sondern wertend – alles, was da steht, klingt ein wenig ab-wertend. Bin ich deswegen kein sachlicher Mensch?

Männern wird nachgesagt, eher die sachlichen Typen zu sein, Emotionen gar zu vernachlässigen. Ob das immer so stimmt, vermag ich nicht zu sagen; aber meine Erfahrungswerte bestätigen es in vielen Fällen. (Deshalb sind Männer auch völlig aufgeschmissen, wenn es um weinende Frauen geht, um unlogische Argumentationsweisen – und nebenbei gesagt auch um Einkaufzettel, auf denen nicht alles drauf steht, was aber ein anderes Thema streift.) Sachargumente sind oft schwerwiegend in Diskussionen. Es gibt Menschen (Männer?), die behaupten, ohne erwiesene Argumente könne man nicht miteinander diskutieren. Da fehle dann die Grundlage, sagen sie.

Auf der anderen Seite der Skala befindet sich – wer? Der emotionale Typ? Was macht den aus, wie erkennt man den? Ich glaube, das stimmt nicht: emotional ist nicht das Gegenteil von sachlich, unsachlich ist das Gegenteil von sachlich – und das hat vor allem mit negativen Emotionen zu tun.

Unsachlich also, was ist unsachlich? Wenn man mal so, mal so argumentiert? Wenn man andere nicht ausreden lässt? (Wie heutzutage in so mancher Talkshow nicht nur üblich, sondern geradezu nötig, falls man überhaupt zu Wort kommen möchte.) Wenn man lügt und alle möglichen Register zieht, um in einem Gespräch als Sieger hervor zu gehen? Unsachlich hat viele Varianten – von perfide, fast unmerklich bis hin zu offenbar und rücksichtslos, und ich weiß nicht, welche die schlimmste ist. Hinterher bleibt dann ein schales Gefühl zurück, ein G´schmäckle, wie der Schwabe sagen würde. Eins fühlt es sich jedenfalls nicht an – gut.

Wobei wir beim Fühlen sind: Empathische Gespräche gibt es nämlich auch noch, die sind aber viel schwieriger. Da geht’s dann weniger ums Faktentauschen als ums Reden, Zuhören und im Grunde um Beziehungsbau. Das ist auch nicht jedermanns Sache und ganz schön schwer. Fakt ist: Es sind die Austausch-Runden am besten, in denen beides vorkommt: klare Kommunikation der Fakten, Empathie für den Gesprächspartner, dranbleiben, nicht zurückziehen, wenn´s schwierig wird, Kritik hören wollen und annehmen, Emotionen wahrnehmen und zugeben. Persönlich anwesend sein, aber nichts persönlich nehmen, dem anderen Raum geben.

Was lehrt mich dieser Text? Nur „sachlich“ schreiben kann ich nicht so gut, und bei den empathischen Gesprächen habe ich noch Luft nach oben.

Interesse (1)

Wir gehen Reiten. Eine meiner Töchter ist begeistert dabei. Es sind Ferien und ich begleite sie, der kleine Bruder will auch mit. Während er auf dem Pferd sitzt, sind wir zwei „Frauen“ hoch aufmerksam dabei, das Pferd zum Traben zu bringen und gleichzeitig den Sohn/Bruder mit Blicken und ermutigenden Ausrufen dazu zu motivieren, oben zu bleiben. Er? Schaut einmal kurz zur Straße und kommentiert trocken „Audi – cooles Cabrio“, Reiten ist Nebensache. Soviel dazu, wofür sein Herz tatsächlich schlägt.

Einfach so katholisch

Vor einiger Zeit sprach ich mit einer Mutter in der katholischen Grundschule, die unsere Kinder besucht haben beziehungsweise noch besuchen, obwohl wir nicht katholisch sind. Diese Mutter wollte ihr Kind unbedingt dort einschulen dürfen – und nicht aufs Losverfahren hoffen wie wir – und hat sich deswegen katholisch taufen lassen. Extra und mal eben, so klang es jedenfalls. Wahrscheinlich musste sie dafür das Glaubensbekenntnis auswendig lernen und aufsagen. In die Kirche gehen oder ihr Kind katholisch erziehen muss sie nicht. Sie wollte nur an diese Grundschule.

Ich finde das bestenfalls interessant, schlimmstenfalls erschreckend. „Ich glaube an Jesus Christus, geboren von der Jungfrau Maria, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel…“: Das müsste einem doch im Halse stecken bleiben, wenn man es nicht ernst meint. Ich gehe doch auch nicht zu meinem Nachbarn und sage ihm, dass ich ihn sehr schätze, wenn mir in Wahrheit nichts an ihm liegt.

Altersmilde

Fahrradfahren ist toll. Seit ungefähr 30 Jahren – seit ich auch ein Auto nehmen könnte… „Nur Genießer fahren Fahrrad und sind immer schneller da“, das war lange mehr als mein Motto: Früher war ich nicht nur begeistert, sondern fast schon militant überzeugt, dass das Rad immer die bessere, umweltschonendere und glücklich-machendere Alternative zum Auto ist. Diese Phase meines Lebens scheint unwiederbringlich vorbei. Warum?

Zum einen: Autofahren ist echt praktisch – wenn ich es eilig habe, eine Menge transportieren muss, viele Menschen mitgenommen werden wollen und die Entfernung es gebietet. Das ist nicht gleich unökologisch, schlecht oder falsch. Kein Dogma. Was ich mir erlaube, kann ich anderen auch erlauben und in großer Gelassenheit trotzdem verantwortlich handeln.

Zum anderen: Die große Inspektion unseres Familienautos ist so teuer, da muss ich es doch auch bewegen! Soviel kann ich an Sprit gar nicht einsparen – auch wenn ich es bisher immer dachte.

Zum dritten: Es kommt nicht auf eine Autofahrt an, sondern auf mein ganzes Leben. Und normalerweise ziehe ich das Fahrrad dem Wagen noch immer vor. Bin ich aber gestresst oder nur aus Prinzip motiviert, ist motorisiert wohl besser – sonst werde ich unbarmherzig mit denjenigen, für die das Zweirad nicht die erste Wahl ist.

Sind das Ausreden, weil ich älter und bequemer werde, oder abgeklärte Erkenntnisse, weil ich älter und schlauer werde?

Freiheit des Einzelnen

Ich habe Malcolm Gladwell gehört. Wie immer bin ich beeindruckt und zum Nachdenken angeregt. Er sprach über einen Paradigmenwechsel zwischen unserer Generation und der nächsten – in verschiedener Hinsicht. Unter anderem ging es um Individualität versus Zugehörigkeit: Wer heutzutage alles Apple hat, gehört dazu; er selbst mit seinen 50+ ist froh, ein Sony Laptop und ein BlackBerry zu haben und sich in gewisser Hinsicht von der Masse zu unterscheiden. Heutzutage wollen die Leute sich seiner Meinung nach weniger abgrenzen als vielmehr dazugehören.

In vielen Bereichen gilt das für mich auch: Ich möchte nicht unbedingt auffallen. In anderen Fragen grenze ich mich dagegen bewusst ab und frage, was ich wirklich brauche, was ich selbst gut finde, wieviel Verfügbarkeit und Erreichbarkeit ich anstrebe und für wünschenswert für mich halte, welchen Preis das hat, welche Nachteile ein Nicht-Teilnehmen mit sich bringt, ob ich mit denen leben kann und will. Bewusste Kosten-Nutzen-Abwägung. Welch ein Luxus, dass wir so viel so frei entscheiden können!

Oder denken wir das nur? Fühlen wir uns nur solange frei in unseren Entscheidungen, solange wir keine Nachteile dadurch erfahren? Solange es uns nichts kostet, anders zu sein? Und: Hängt das mit den Grenzen zusammen, in denen wir uns bewegen? In der ehemaligen DDR war es schwieriger, seine Überzeugungen zu artikulieren, weil man Schwierigkeiten zu erwarten hatte. In der Bundesrepublik kann man sich heute ziemlich viel „Anderssein“ leisten, ohne dass einem „jemand was kann“. Was sagt das über die Wahrhaftigkeit unserer Überzeugungen?

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold?

„Wo viel Worte sind, da geht’s ohne Sünde nicht ab; wer aber seine Lippen im Zaum hält, der ist klug.“
Sprüche 10, 19

Und schon zucken die Gesprächigeren unter uns zusammen und fragen sich, wie sie ihren Mund aus dieser Schlinge bekommen. Es gibt einfach Unterschiede in den Persönlichkeiten, und nur scheinbar haben´s die Stilleren und Bedachteren leichter: Insgesamt denke ich, es kommt darauf an, dass man Gott hinlegt, wie man kommunizieren möchte und ihn in das eigene Denken über andere hineinlässt – schon lange bevor man tatsächlich in ein Gespräch verwickelt ist. Den anderen grundsätzlich wertzuschätzen, zu respektieren und ihm mit Wohlwollen zu begegnen, das färbt auf mein Reden und Schweigen mehr ab als eine bloß vom eigenen Willen gesteuerte Selbstbeherrschung. Und dann werden Spontaneität und Impulsivität gute Zutaten zu einem gelingenden, lebendigen Gespräch sein; bedächtiges Schweigen und zu viel Nachdenken darüber, was man jetzt wie sagen sollte, können Kommunikation auch ganz schön aus dem Fluss bringen.

Sich noch einen anderen Bibelvers hinter die Ohren zu schreiben, kann zudem nicht schaden:

Lasst kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Segen bringe denen, die es hören.“ (Epheser 4, 29)