Normal

Was ist normal? Was ist nicht normal? Unsere Denkfenster mögen so weit sein, wie wir uns nur vorstellen können, unsere Toleranz (unserer Meinung nach) nahezu grenzenlos: Wir werden doch in ganz subjektiven Denkmustern und Kategorien einordnen, beurteilen und auch verurteilen. Oft merken wir gar nicht, wie vorgeprägt unser Denken ist, wie eingefahren, wie wenig flexibel. Das eine „Normal“ gibt es nicht: Wir sind Kinder unseres Aufwachsens, unseres Umfeldes, unserer Erziehung.

Für wie unabhängig von allen Bindungen, aller Voreingenommenheit wir uns halten – wir sind nicht unabhängig. Wir können uns höchstens entscheiden, toleranter und emanzipierter als bisher mit anderen Meinungen umzugehen: Wie gestalte ich meine Freizeit, gehört Pünktlichkeit zum guten Ton oder ist nur das akademische Viertel akzeptabel, ist Fleiß ein hohes Gut oder Strebertum? Wie initiativ darf eine Frau sein, ohne als aufdringlich oder anbiedernd zu gelten? Stellt Rache die Ehre wieder her oder löst sie einen schier unaufhaltsamen Kreislauf der Gewalt aus?

Man muss bei der Frage nach normal gar nicht weit weg gehen – manchmal komme ich schon mit meinen Lieblingsnachbarn nicht auf einen gemeinsamen Nenner. Wie offen und verständnisvoll Gesprächspartner sind, liegt nämlich ganz und gar nicht in unserer Hand, sollte uns aber nicht verunsichern. Interessant ist, inwieweit wir trotz unserer Umstände und Erfahrungen, trotz des gesellschaftlichen Druckes leben, reden, tun und an unseren Überzeugungen festhalten. Uns dabei trotzdem als Teile einer menschlichen Gemeinschaft zu verstehen und auch so zu benehmen und wahrhaftig barmherzig mit Andersdenkenden zu sein, ist wohl die eigentliche Schwierigkeit…

Besonders (2)

Wollen wir nicht alle besonders sein? Besonders sind aber immer nur die anderen. Die scheinen das auch noch zu wissen und leben in einer tiefen Sicherheit, mit Selbstbewusstsein, das zum Himmel reicht. Nur ich nicht? „Wir sehen nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“, sagt der kleine Prinz in „Der kleine Prinz“; aber ich denke: Das stimmt eben gerade nicht – wir sehen eben nicht mit dem Herzen, wir sehen nur mit den Augen. Mit dem Herzen zu sehen ist nämlich ungleich schwieriger und uns nur vorbehalten in gewissen Sternstunden, wenn Gott selbst sie uns öffnet. Sonst sähen wir das Besondere im anderen – ohne Neid – und das Besondere in uns – ohne Stolz.

Interesse (2)

Vor vielen Jahren wollte ich Bäuerin werden. Seit Jahrzehnten schon nicht mehr. Eine Freundin von mir hat gerade mit ihrem Mann einen ziemlich modernen Kuhstall gebaut – mit Melkroboter und Chips fürs individuelle Füttern und allem Pipapo. Bislang hielt ich diese computergestützte Tierhaltung für verwerflich, hatte aber keine Ahnung und fragte mich letztens, wie das denn überhaupt automatisch geht – das Melken. Kürzlich ergab sich die Gelegenheit, ich konnte nicht nur in den Stall hinein, sondern sogar Aura und Balu beim Melken beziehungsweise Gemolken-Werden zuschauen. Ich bin begeistert! Funktioniert ganz wunderbar, wird von den Kühen (nach kurzer Eingewöhnung) entspannt akzeptiert, sieht reibungsarm aus und erlaubt es meiner Freundin und ihrem Mann verschiedene andere Dinge zu tun, während die Kühe sich melken lassen. Noch lesen diese Bauern tagsüber keine Bücher, schlafen auf dem Sofa oder sonnen sich im Garten, aber eine Erleichterung ist die Modernisierung allemal und geht nicht auf Kosten des Tierwohls.

Ich habe wieder was dazu gelernt – und mich insgeheim sehr gewundert, wieso mich derartige Dinge noch immer so interessieren.

Apropos „ungeschminkt“

Ich besitze kaum Schminke, und das, was ich habe, benutze ich selten. Dass ich „ungeschminkt“ aus dem Haus gehe, ist trotzdem keine Selbstverständlichkeit. „Ungeschminkt“ heißt für mich authentisch – und das kann für den einen mit mehr, für den anderen mit weniger Make-up verbunden sein. Verstecken kann ich mich nicht nur hinter einer Maske aus Kajal und Concealer, sondern mindestens ebenso gut hinter einem aufgesetzten Lächeln, hinter der Antwort „Gut!“ auf die Frage, wie es mir geht, oder dem Satz „Ist ja interessant“, wenn ich „Oje, wie langweilig!“ meine. Ich mag Menschen, bei denen ich weiß, woran ich bin und möchte selbst so einer sein.

Ich meine nicht die Ehrlichkeit, die einem fast schon peinlich ist, diese öffentliche Zurschaustellung jeglicher Intimitäten – wem auch immer gegenüber. Diese hat mit Authentizität wenig gemein. Authentisch zu sein bedeutet für mich, ehrlich die eigenen Stärken UND Schwächen zu benennen und meiner selbst sicher zu sein, weil ich vertraue, dass ich geliebt und angenommen bin – auch wenn ich noch eine Menge lernen kann (oder sollte). Dazu gehören unter anderem der Mut, sich zu entschuldigen; die Größe, andere Meinungen stehen zu lassen; die Bereitschaft, Grenzen (eigene und fremde) anzuerkennen, und ein demütiger und großzügiger Einsatz der mir geschenkten Gaben. In all diesen Bereichen gibt es bei mir noch Luft nach oben!

Eitel

Es gibt wenige Menschen, die man tatsächlich als nicht eitel bezeichnen kann. Ich jedenfalls kenne nur wenige, und vielleicht gibt es ein Gefälle von der Stadt hinaus aufs Land. Wir in der Kleinstadt haben mehrere Varianten zu bieten – von „ungeschminkt nicht vor die Tür“ bis hin zu „nicht am eigenen Äußeren interessiert“ ist alles vorhanden. Mann, Frau, Eltern, viel in der Öffentlichkeit unterwegs, berufstätig (als Bauer oder Bank-Angestellter)… – Eitelkeit hat sehr viel mit den Umständen zu tun, in denen wir leben. Zudem spielt sicher auch das Alter eine nicht unwesentliche Rolle, oder aber die Auswüchse an Eitelkeit manifestieren sich nur in jeder Altersgruppe anders.

Ich bin froh, dass ich (als Kleinstädterin) selbstvergessen zur Not in Garten-Klamotten zum Supermarkt huschen kann, um schnell noch ein paar Kleinigkeiten zu besorgen. Und dass der Satz „Ungeschminkt gehe ich nicht vor die Tür“ für mich noch nie galt und jenseits der Lebensmitte erst recht nicht zutrifft. Man mag es sehen, wie man will – und über mich den Kopf schütteln, wer will; aber das ist für mich Lebensqualität: Ich kann mich zeigen, wie ich bin – nicht heruntergekommen, aber auch nicht wie aus dem Ei gepellt. (Was nicht heißt, dass ich nicht auch meine ganz eigene Eitelkeit habe…)

Erfolgreich als Mutter?

„Wo der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen. Wo der Herr nicht die Stadt behütet, so wacht der Wächter umsonst.“
Psalm 127, 1

Bin ich als Mutter erfolgreich, wenn aus meinen Kindern „etwas wird“? Und was heißt das? Eine Krankenschwester, ein Vater, ein Lehrer, ein Fußballstar, eine Pianistin, ein Mathematiker, ein Bundeswehrsoldat, ein Entwicklungshelfer, ein Lotto-Gewinner, eine zufriedene Frau …? Definiere ich mich später über die Lebenstauglichkeit meiner Kinder? Auch noch, wenn sie Lebenskünstler werden? Von wieviel Machbarkeit gehe ich unbewusst eben doch aus? Wieviel meine ich, selbst in der Hand zu haben?

Nicht erst, wenn etwas Unerwartetes passiert, ist es hilfreich, die eigene Allmacht in Frage zu stellen und Dinge loszulassen. Wir haben letztlich gar nichts unter Kontrolle; Gott dagegen alles. Er weiß, was gut ist, er weiß, welche Persönlichkeit in unseren Kindern schlummert, welcher Art die Herausforderungen sind, die ihnen bevorstehen und wie er sie am besten darauf vorbereiten kann. Ich möchte bewusst mit seinem Eingreifen rechnen, für meine Kinder beten, um Gutes, um Segen bitten und vertrauen, dass Gott es gut meint und zum Ziel kommt mit ihnen – auch wenn menschlich „erfolgreich“ vielleicht anders aussehen würde.

Ich hatte was mit Soße

Familienfeier mit lauter älteren Herrschaften, 75 plus. Wir bestellen – das dauert seine Zeit. Bis das Essen kommt, dauert es auch. Dann kommen ungefähr 25 Gerichte nahezu gleichzeitig. Wer bekommt was? „Ich hatte was mit Soße“, bringt mich schon zum Schmunzeln; der eigentliche Knaller jedoch ist die Antwort eines Gastes auf die Frage, wer denn das Rinderfilet bestellt hat: „Das könnte ich gewesen sein.“ Ich muss mich sehr beherrschen, nicht laut loszuprusten.

Am nächsten Tag schäme ich mich. Vergesslichkeit ist keine Schande. Ich muss nicht 80 werden, um regelmäßig die Namen meiner Kinder durcheinander zu bringen, bisweilen Wortfindungsstörungen zu haben oder bekannte Gesichter auf der Straße nicht dem entsprechenden Zusammenhang zuordnen zu können, aus dem ich sie kenne. Wichtiger ist doch wohl, wie wir mit diesen Alterserscheinungen umgehen: Und da sind mir alte und auch junge Leute lieber, die weniger meckern als zufrieden und dankbar sind – und vielleicht sogar fröhlich etwas essen, was nicht so ganz ihrer Bestellung entspricht …

Unerfüllte Wünsche

Verflucht sei der Tag, an dem ich geboren wurde; der Tag, an dem meine Mutter mich gebar, sei nicht gesegnet!“
Jeremia 20, 14

Jeremia, du armer Mann!“, das denke ich, wenn ich diese Worte lese. Er tut mir leid – aus der Ferne. Ich lese, dass er andauernd und über Jahrzehnte hinweg Unheil verkünden und Vernichtung ankündigen muss. Ich lese auch, dass er genau das tut, was Gott von ihm möchte. Er lebt seine Berufung. Zwar fühlt er sich nicht genügend ausgestattet für das, was Gott ihm auftrug; aber Gott hatte ihm zugesagt, mit ihm zu sein und ihm alles zu geben, was er braucht. Also macht Jeremia sich auf den Weg und ist gehorsam. Und erlebt auch, dass Gott seine Zusage hält: Jeremia sagt, was er zu sagen hat, wird verstanden, verlacht und verachtet, behält Recht in allem, was er voraussagt, und erfährt Bewahrung.

Das ist doch wohl das, was wir unter „seiner Berufung entsprechend leben“ verstehen. Und dann kommt mittendrin dieser Vers. Jeremia ist nicht glücklich damit. Das Leben, das Gott für ihn geplant und für das Gott ihn begabt hat, schmeckt Jeremia nicht. Ich kann das gut verstehen: So ein Leben hätte ich auch nicht gewollt.

Meine bisherige Vorstellung war: Ich kann nie glücklicher und zufriedener sein, als wenn ich genauso lebe, wie Gott sich das für mich gedacht hat. Nirgends wird es mir so gut gehen wie in seinem Willen für mich. Stimmt diese Vorstellung nicht? Kann es mir auch gut gehen, wenn es mir nicht gut geht? Kommt dann etwas anderes ins Spiel? Vielleicht bin ich eine weichgespülte Wohlfühl-Christin, die gar nicht mehr merkt, wie sehr ihre menschlichen Umstände die biblische Idee von „erfülltem Leben“ verdrängt oder gar ersetzt haben. „Es gibt erfülltes Leben trotz unerfüllter Wünsche“, sagt Dietrich Bonhoeffer. Davon habe ich keine Ahnung: Es gibt nur wenige unerfüllte Wünsche in meinem Leben.

Ich bin dankbar, dass Jeremias Ehrlichkeit auch in der Bibel steht. Und dass er trotzdem weitergemacht hat. Dass er treu war und mutig und in Gottes Willen geblieben ist – auch wenn es ihn seinen eigenen gekostet hat.

Besonders (1)

„Ich danke dir, dass ich wunderbar gemacht bin…“
Psalm 139, 14a

Wunderbar? Ich will besonders sein. Ich weiß, dass ich von Gott wunderbar gemacht und für Gott einzigartig bin – und das ist doch etwas Besonderes. Aber es reicht mir nicht immer. Ich möchte Dinge besser können als andere, eine Sprache, einen Sport, einen Job, möchte eine Gabe haben, die andere nicht haben. Besonders sein eben. Wahrscheinlich bin ich mit diesem Wunsch nicht allein, aber er fühlt sich nicht richtig an, nicht legitim.

Außerdem: Wieso möchte ich besonders sein? In Gottes Augen werde ich nicht liebenswürdiger, wenn ich anders bin. Er hätte mich ja anders machen können. Seine Liebe kann ich mir nicht verdienen. Menschen dagegen würden mich auch dann nicht mehr lieben, wenn ich die Tollste überhaupt wäre. Liebe funktioniert nicht so. Liebe funktioniert anders. Und auf die Liebe kommt es an.

Wieso dann also dieser Wunsch tief in mir? Wieso dieser Frust, wenn ich Dinge nur mittelmäßig kann oder zwar etwas mehr als durchschnittlich, aber eben nicht besonders gut? Weil ich mich so oft mit denjenigen vergleiche, die gut sind, begabt, liebenswert und überdurchschnittlich in irgendetwas. Ich blicke zu ihnen auf, bewundere interessante Leute – und bin mir oft vielleicht gar nicht bewusst, dass ich in den Augen anderer ähnlich interessant (eben anders) wirke.

Wir haben ja die unpraktische Gewohnheit, uns überhaupt zu vergleichen. Und dann eben auch noch mit Leuten, die – auf den ersten Blick zumindest – „mehr besonders“ scheinen als wir selbst. Dabei sagt Gott, dass ich genug bin. Wunderbar genug.

Dear English,

we´ve known each other for quite some time. I got officially introduced to you, when I was about twelve years old – much later than nowadays usual. Instantly I fell in love with you. You know, that German is my mother tongue. It is normal for me, a great tool to communicate and often more than just words: I know, that I can transport facts with them as well as interest, knowledge, curiosity and even emotions. Other people´s German I can really admire or enjoy – in Newspapers, in books, by people who are eloquent, funny, quick-witted. I like to deal with words myself, I like how they sound, how special phrases make me laugh or thoughtful.

But another kind of smile crosses my face when it comes to you – the English language. You are my real passion (language-wise). I am not as fluent as in my mother tongue and it´s not as easy going for me to speak or write in English as I wished. But still – I am simply fascinated by you and enjoy your company: I like listening to you, reading books, watching movies – and I am even ready to sacrifice my claim for the contents of a text just for the sake of you. If it wasn´t for you I wouldn´t have „met“ Minette Walters for instance. I don´t especially like crime novels, but with you I read them anyway – and enjoy you along the way, certain wordings I understand and admire but don´t actively use myself.

You broadened my horizon: A whole world of people, books, interviews, thoughts, ideas opened up to me through you. Expressions like ´pugnacious`, ´oblivious` or ´to get carried away`, to name only very few, expand my ability to describe my disposition or my feelings – and often make me smile.

You are generous: Even when I lack the right words (because I never studied you properly and probably never will get the chance to do so) I will always find a way to say what I want. You don´t mind, if it´s sometimes a bit off the mark: With you it´s not about perfectionism, it´s about being together and being honest and trying anyway.

You are patient with me: When Jonny Lee Miller as Sherlock Holmes speaks as fast as a shot gun, Tom Hanks as Charlie Wilson articulates almost beyond recognizability or Gary Lewis as Billy Elliot´s father Jackie pronounces his sentences as only a real Durham mineworker can – I still get it. There will be something left for me what I can understand, some phrases still sound in my brain after the words have long been spoken – and I understand. I don´t need a translation to know, what the story was about.

You are sometimes beyond my grasp – and still my friend: Lionel Shriver´s use of you in „We need to talk about Kevin“ took me to the limits of my skills, but I finished the book and even liked the challenge.

Your are forgiving: My days are filled with German words, different tasks, even some long stretches of silence. You seem to bide your time, wait for the moment of all moments when I grab an English book, write a mail to an English friend or get a phone call – and my enthusiasm is back, you fascinate me and don´t make yourself rare or refuse to be understood.

You remain full of surprises: There always are and always will be new words, unknown expressions and the whole area of complicated grammar, irregularities, the special use of tenses – to name only a few: I often discover something I don´t have a clue about. After a sometimes initial sigh deep in my heart about my hopelessness to master you I start to enjoy even those hardships. They are rather an enrichment than a difficulty to me.

You are more than a language, more than a challenge for my brain: You touch a chord inside of me, my soul enjoys your presence, my mood lifts up, when you are around.

You are like a soul mate to me. There is no reasonable explanation and this is silly, I know, but that´s how I am wired – as it is with any other loving relationship. I was lost, when I met you, my fascination was there from the start as a teenager in school and it has grown over the years. And I am sure it will stick with me until I die or stop being able to use my brain. Although I am far away from being perfect I will go on applying you, listening to you, spending time in your presence and trying to learn more about you. I simply love you! Thanks for being my companion and friend.

Lots of love,
Dagmar

PS: Thanks for reading up to the end in spite of my inadequacy – especially concerning the punctuation!