Nicht mein Verdienst!

„Du hast was Besseres verdient“, sagt jemand zu mir und ich schäme mich. Ich gehe, sie bleibt – es ist eine Frage der Entscheidung und nicht des Verdienstes. Dass diese Frau auch nur ansatzweise meint, weniger `verdient´ zu haben als ich, macht mich fertig. Den Eindruck will ich nicht hinterlassen. Er ist nicht nur allgemein völlig verkehrt; auch in dem konkreten Fall passt ihre Einschätzung nicht: Wo ich vielleicht mutiger bin als sie, hat sie dafür größeres Durchhaltevermögen und mehr Biss. 

Jedenfalls denke ich nicht in dieser Kategorie: dass ich etwas Besseres verdient hätte als jemand anderes. Meine Schmerzgrenze ist früher erreicht, das ist alles. Ich bin noch nicht einmal sicher, ob ich diese klug festgelegt habe; aber auf jeden Fall sagt sie nichts darüber aus, was ich verdient habe und was nicht.

Vater-Glück?

Mein Sohn ist übers Wochenende da und wir reden über alles Mögliche: auch über seinen Einsatz in Afrika, bei dem er einen Jugendlichen kennenlernte. Dieser hat von seinem Vater nur den Nachnamen (und möchte ihn am liebsten nicht tragen). Vor seiner Mutter fürchtet er sich; die Familie ist arm. Spender ermöglichen ihm den Schulbesuch. Der Junge ist klug, aber rebellisch und willensstark. Die Lehrer und Mitarbeiter, die ihn schon Jahre begleiten, sind freundlich und konsequent. Dennoch war und ist der Weg mit ihm bisweilen herausfordernd und mühselig. Dieses Jahr wird er die Schule abschließen – und seine Unterstützer werden auch für sein Studium aufkommen. Das ist großzügig und toll, aber nicht alles. Denn ein Mitarbeiter der Schule hat im Laufe der Zeit eine Art Vaterrolle für den Jungen übernommen und begegnet ihm liebevoll, präsent, barmherzig und verständnisvoll.

Wie jede Vater-Sohn-Beziehung ist auch diese sicher nicht frei von sehr alltäglichen Schwierigkeiten, aber unterm Strich bleibt: Es ist besonderes Glück, einen Vater zu finden, wenn der eigene diese Rolle nicht wahrnimmt. Und aus einem anderen Blickwinkel: „Es gibt kaum ein beglückenderes Gefühl, als zu spüren, dass man für andere Menschen etwas sein kann.“ (Dietrich Bonhoeffer)

Luxus-Stress?

Ich unterhalte mich mit einer entfernten Bekannten; es geht um Arbeit. Sie kann sich überhaupt nicht vorstellen, jemals weniger als voll zu arbeiten. Aus ihrer Sicht müssten wir alle in den nächsten zehn Jahren mehr arbeiten, nicht weniger, auch Mütter. Unsere Gesellschaft könne sich Teilzeit-Arbeiter eigentlich gar nicht mehr leisten, sagt sie. Sie scheint sich auszukennen – und vor allem ihrer Sache sehr sicher zu sein. Ich verstumme, denn ich habe keine Ahnung und meine Perspektive ist eine andere. Sie hat ein Kind, ich hab´ fünf; mir war die Haus-Arbeit immer wichtiger, ihr die Außer-Haus-Arbeit. Wahrscheinlich kommunizieren wir aneinander vorbei.

Kinder `nebenbei´ bekommen und alles andere genauso weiterlaufen lassen, das ist unmöglich – finanziell, zeitlich, von der Kraft her. Zudem sind in den vergangenen 50 Jahren unsere Ansprüche gestiegen, was zum Leben dazugehört: Wir waren früher sonntags zum Mittag bei meiner Oma und im Herbst zum Pilzesuchen im Wald. Heute besuchen Familien einen Freizeitpark oder unternehmen einen Wochenendtrip an die See; manche fliegen auch nach London und schenken dem volljährigen Kind ein eigenes Auto. Früher gehörte das nicht zum Standard und niemand hat dieser Art Luxus vermisst: Das Glück in Familien hängt nicht an Dingen, die Geld kosten.

Vom (Un-)Sichersein

Ich denke wochenlang darüber nach, meinen Job zu kündigen, bin unsicher und hole mir Rat. Eine Freundin betet für mich und sagt, ich könne so oder so `nichts falsch´ machen: Gott brauche meine Entscheidung nicht, um mit mir zu seinem Ziel zu kommen. Eine Bekannte dagegen rät ab: „Wieso wartest du nicht noch ein bisschen? … Ich bin ja so ein Sicherheitstyp, ich würde kein Risiko eingehen, bevor ich nicht sicher etwas anderes hätte.“ 

Mir wäre `sicher´ auch lieber, aber ich schwimme ohnehin, nämlich in einem Meer kontroverser Gedanken: „`Jeder Job hat Kröten´ versus `Mir reichen die Pralinen nicht´ beziehungsweise `Aufgeben ist keine Option´ versus `Ich will mich nicht verbiegen´. Die Unruhe in mir nimmt immer mehr zu und lässt sich nicht sachlich schönreden. Also verfolge ich den Gedanken weiter, noch in der Probezeit zu kündigen – und sei es auch noch so unvernünftig.

In den nächsten Wochen bestätigt sich immer wieder, dass ein Aufhören zumindest folgerichtig und sehr verständlich wäre. (Natürlich hört und spürt man immer das, was man hören und spüren möchte!) Dann aber öffnet sich völlig überraschend eine andere Option – noch unklar, aber meinen Gaben entsprechend. Einige Tage später kündige ich und bin direkt im Anschluss vor allem erleichtert. Ich weiß, dass ich mich um das Neue intensiv kümmern muss, aber zunächst genieße ich den Moment. Ich könne `nichts falsch´ machen, hatte meine Freundin gesagt. Trotzdem ist es schön, dass sich gerade `alles richtig´ anfühlt. Dafür bin ich sehr dankbar und außerdem gespannt, wie es Schwimmzug für Schwimmzug weitergehen wird.

Was für ein Geschenk!

Mein Geburtstag ist fast ein Tag wie jeder andere: Ich frühstücke mit meinem Mann, gehe arbeiten, nachmittags sind auch Kinder wach; abends kommt eine Freundin vorbei. Außerdem rufen einige an oder schreiben Karten oder eine Mail – auch Menschen, die mir jahrelang nicht gratuliert haben. Weil meine Familie weiß, dass ich mich über Geschenke freue, lassen sie sich ein paar Dinge einfallen. Aber dass Menschen freundlich an mich denken und mich mögen, ist das schönste Geschenk – nicht nur an diesem Tag!

Unerwartete Begegnung

Mich ruft eine Frau an, die meine Nummer im Netz gefunden hat. Ihre Frage an mich ist schnell beantwortet. Im darauffolgenden Gespräch merken wir, dass es uns ähnlich geht: Wir sind in derselben Sache unsicher, welches der nächste Schritt ist. Sie gibt mir Tipps und ich ihr. Zum Schluss verabreden wir uns – in einem halben Jahr. Ich kenne nur ihren Vornamen und ihre Telefonnummer, aber das reicht: Unser Gespräch ermutigt und motiviert mich, aktiv voranzugehen.

Vergiss es? Von wegen!

Regelmäßig gehe ich zum Hautarzt und lasse meine Leberflecken (und sonstiges) checken. Wie diese roten Punkte heißen, von denen ich immer mehr bekomme, will ich wissen. Die Ärztin lächelt milde: „Ich weiß gar nicht, ob ich Ihnen das sagen soll.“ Erst recht neugierig sehe ich sie fragend an. „Senile Angliome heißen die Dinger“, sagt sie dann, „können Sie gleich wieder vergessen: Die sind total harmlos.“ Und ähnlich charmant wie die Alterswarzen, die ich schon ein paar Jahre mit mir herumschleppe, denke ich. Aufgrund meiner altersgerechten Senilität mag ich schon eine Menge vergessen, aber derartige Begriffe kann ich mir super merken.

Wäsche-Status Quo

Nach dem Urlaub fange ich wie immer sofort mit dem Wäschewaschen an. Und obwohl wir nur eine Woche weg waren, nicht zu siebt, sondern nur zu fünft, und ich zwischendurch waschen konnte: Es dauert. Die Waschmaschine hat nonstop zu tun – und ich auch. Denn zum Wäschewaschen gehört auch der Teil, den keine Maschine erledigt: aufhängen, abnehmen, zusammenlegen, gegebenenfalls bügeln. Weil das Wetter passt, komme ich kaum hinterher. Erst am Abend sind wir fertig, die Waschmaschine zwei Stunden früher als ich: alles sauber und im Schrank. Die Halbwertzeit dieses Status Quo beträgt maximal 12 Stunden – etwas länger, als es gedauert hat, ihn wiederherzustellen.

Vom Grüßen

Von zu Hause aus sind wir es gewohnt, Menschen zu grüßen, denen wir beim Spazierengehen begegnen: Fast alle grüßen zurück. Im Urlaub gelten andere Gesetze – erschreckend häufig ernten wir Stille. Zunächst wollen wir aufgeben, entscheiden uns dann aber, uns treu zu bleiben und unsere freundlichen `Hallo´ weiter großzügig zu verteilen. Nach einer Weile stellen wir fest: Die Urlauber mit sächsischem (oder auch badischem) Dialekt sind die freundlichsten. Auf Platz zwei landen Familien, dicht gefolgt von Leuten mit Hund im Fahrradanhänger. Am stoffeligsten sind ältere Ehepaare: als bräuchten sie Urlaub auch vom Grüßen.

Erklärung zwecklos

Ich gehe spazieren und komme an drei Leuchttürmen vorbei: Kap Arkona ist diesbezüglich reichhaltig ausgestattet. Neben dem heute aktiven Leuchtturm stehen eine Erklär-Tafel sowie ein Modell der verwendeten Leucht-Optik (wenn ich es richtig verstanden habe). „Blitz – Blitz – Blitz – kein Blitz, und das alle 17 Sekunden …“, so fängt die Aufschrift an – und geht dann zügig über in eine komplexe Beschreibung der technischen Hintergründe. Ich halte mich technisch nicht für besonders gebildet, bin aber auch nicht vollkommen unterbelichtet. Dennoch kann ich schon nach einigen Zeilen nicht mehr folgen. Von Fresnellinsen ist die Rede, benannt nach einem `genialen´ französischen Gelehrten des 19. Jahrhunderts. Große Brennweiten kommen in dem Text ebenfalls vor und dass diese nur mit eben jenen besonderen Linsen erreicht werden können – und auch warum. Wer von den Kap Arkona-Besuchern das wohl versteht, frage ich mich: für mich alles in allem keine Erklärung, die mich erhellt. Was bleibt? Lediglich das mit dem `Blitz – Blitz – Blitz – kein Blitz, und das alle 17 Sekunden …´ wird mir wohl noch eine Weile in Erinnerung bleiben.