Angriffswetter

Es gibt ein Wetter, das ist besonders ungemütlich: Es regnet Bindfäden und ist kalt, der Wind fegt um die Häuserwände und kommt immer von vorn – so wie sonst nur an der Küste. Das gibt es auch hier in der norddeutschen Tiefebene, in der ich seit 20 Jahren zu Hause bin. Mein Mann hat dafür einen Begriff mit in die Ehe gebracht, den er seit seiner Bundeswehrzeit kennt: Angriffswetter. Ob es sich dabei um einen offiziellen Titel handelt, kann ich nicht sagen; ich weiß nur, dass der Name passt. Wer sich bei dem Wetter aus dem Haus wagt, hat selbst Schuld, keine andere Wahl – oder will einen ungeliebten Feind überrollen.

Obwohl wir in einer Zeit leben, in der jede mittelgroße Kleinstadt mit mindestens drei sogenannten Outdoor-Läden ausgestattet ist, fahren an Tagen mit Angriffswetter die meisten Menschen mit dem Auto. Sogar Schüler steigen auf Busse um oder überzeugen ihre Eltern, dass sie auf keinen Fall laufen oder mit dem Rad fahren können. Es ist ja auch wahr: Schön ist es nicht. Den halben Tag draußen zu arbeiten, ist kein Spaß; sich kilometerweit durch die Walachei zu kämpfen auch nicht. Feinde zum Überrollen haben die wenigsten von uns. Kein Grund also, sich bei Angriffswetter rauszuwagen – nicht einmal für eine Stunde.

Wer es doch tut, ist am Ende nass. Und um eine Erkenntnis reicher: Angriffswetter entwickelt seinen größten Schrecken, solange man auf dem warmen Sofa sitzt. Mittendrin ist es weniger schlimm – und schneller vorbei, als man denkt. Wir müssen ja keine 36 Stunden-Übung bei der Bundeswehr durchhalten. Wir sehen hinterher nur fast so aus…

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