Früher oder später fertig

Im Supermarkt an der Kasse steht ein Mann vor mir, den ich kenne: Sein jüngstes Kind war mit meinem jüngsten Kind im Kindergarten. Ob mein Jüngster jetzt auch schon in der Ausbildung sei, fragt er mich, seine Tochter habe gerade angefangen. Ich verneine, mein Sohn ist erst in Klasse zehn. Ach so, sagt er, bei ihm seien jetzt alle fertig mit ihrer Ausbildung, das sei schön.

Das Gespräch hallt in mir nach; von meinen Kindern ist noch keins fertig mit irgendwas, das wird noch dauern. Ich rechne: Geht man nach der zehnten Klasse ab und lernt einen Beruf, dann ist man mit 19 Geselle – und steht spätestens dann auf eigenen Füßen. Macht man stattdessen nach 13 Jahren Schule sein Abitur und studiert hinterher, fängt man erst mit 24 Jahren an, finanziell unabhängig zu werden. Dazwischen gibt es Schattierungen in grau (sozusagen), schließlich wählen immer mehr Abiturienten einen Ausbildungsberuf.

Menschen sind unterschiedlich begabt und wollen nicht alle dasselbe machen; ein Weg ist nicht besser oder schlechter als der andere. Zwischen den einzelnen Möglichkeiten liegen drei bis acht Jahre, bis die Kinder fertig werden. Was mir in dem Moment aufgeht: Von unseren fünf Sprösslingen könnten schon drei in ein sehr langes, vor ihnen liegendes Arbeitsleben eingestiegen sein. Sind sie aber nicht.

Egal, für welchen beruflichen Werdegang unsere Kinder sich entscheiden und wo sie mal landen. Ich wünsche ihnen, dass sie etwas finden, was ihren Gaben entspricht und sie (bei allen Herausforderungen) zufriedenstellt – wie bald auch immer. Dennoch freue ich mich, dass wir ihnen diese paar mehr Jahre ermöglichen können, in denen sie einfach noch nicht fertig sind.

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