Es gibt ein gewisses Standardprogramm in meinem Alltag. Wie jede Berufstätige habe auch ich einen Aufgaben-Kanon, den ich einfach abarbeiten muss. Darüber hinaus gibt es Ideen, Pläne und Vorhaben, die ich selbst dazu packe, die aber weniger dringlich sind. Diese werden bei mir häufig durchkreuzt beziehungsweise müssen sehr flexibel neu arrangiert werden: Es regnet den ganzen Tag und ich kann den Rasen nicht mähen. Oder die Hausaufgabenhilfe für meinen jüngsten Sohn ist dermaßen langwierig, dass ich für den ursprünglich geplanten Brief keine Muße mehr habe. Oder ich muss einfach früh ins Bett und habe für ein Telefonat oder die Bügelwäsche keine Kraft mehr. Oder es kann sein, dass ich einfach doch keine Lust habe, die Fenster zu putzen.
Das bewirkt, dass meine To-do-Liste ständig erneuert, abgestrichen und ergänzt wird. Manchmal steht mehr drauf, manchmal weniger, ganz leer ist sie nie. Und nur sehr selten erledigt sich eine Sache von selbst oder wird von einem anderen Heinzelmännchen abgearbeitet. Das bewirkt auch, dass ich bisweilen ganz ungeplant auf dem Sofa sitze und einen Asterix-Band vorlese und danach eine Partie Phase 10 spiele und es dann schon Zeit fürs Abendbrot ist … Obwohl ich doch die vielen Äpfel verarbeiten wollte, die da unterm Apfelbaum liegen und in zwei, drei Tagen nicht mehr so gut schmecken oder faulen oder von Insekten (halb) aufgefressen sein werden. Ich habe dann weniger „geschafft“, aber ist der Tag dadurch auch weniger wert? Natürlich ist das eine Buch (nach und vor vielen anderen vorgelesenen Büchern) nicht wirklich wichtig für mein Kind. Natürlich könnte er auch ohne das gemeinsame Spiel einen schönen Nachmittag haben. Ich will das gar nicht gewichten. Dafür wären dann ja mehr Äpfel zu apple crumble verarbeitet und weniger auf dem Kompost gelandet.
Ist mein Tag erfolgreicher, wenn ich viel schaffe von dem, was ich mir vornehme? In der Regel sind es ja doch auch Dinge, die getan werden sollten. Aber wer entscheidet, ob der pünktliche Geburtstagsbrief wichtiger, richtiger ist als der entrümpelte Keller oder die Laufrunde nur für mich? Wir machen immerzu etwas und lassen etwas anderes sein; und wir bewerten immerzu, dass das eine wichtiger ist als das andere. Das ist ja auch in Ordnung – solange wir nur für uns selbst bewerten und nicht für andere. Solange wir uns zumindest bewusst sind, dass unser eigenes Wertesystem eine sehr subjektive Geschichte ist.
Früher habe ich ALLE Äpfel, die zu Boden fielen, verarbeitet. Und Bücher vorgelesen und Geburtstagsbriefe pünktlich abgeschickt. Und ganz regelmäßig die Fenster geputzt. Heute erlaube ich mir (warum auch immer), Aufgaben nicht oder nicht sofort zu erledigen. Ich merke zweierlei: Zum einen – Fenster, Äpfel, Bücher (und manchmal sogar Kinder) können warten. Zum anderen – ich schaffe trotzdem noch eine ganze Menge.