Es war, ist und wird mir ein Rätsel bleiben, wieso Menschen in der Öffentlichkeit telefonieren – und dann auch noch im Lautsprecher-Modus. Die trauen sich was, denke ich, denen ist nicht viel peinlich. Ich habe schon Gespräche mitgehört über Themen, die mich wirklich nichts angehen und mich nicht interessieren: „… wie der mich behandelt hat …“, „… der Kostenvoranschlag muss dann noch einmal überarbeitet werden und geht neu raus …“. Ich kann dann nicht in Ruhe über meine eigenen Themen nachdenken oder einfach nur still sein. Stattdessen muss ich zuhören – ungefragt. Dabei will ich das alles gar nicht wissen! Manchmal bin ich deshalb drauf und dran, mich aktiv in das Gesagte einzumischen und (ebenso ungefragt) meine Meinung zu sagen. Vielleicht käme das Telefongespräch dadurch spontan zu einem vorzeitigen Ende? Zwar telefonieren diese Menschen in der Öffentlichkeit, aber dass die Öffentlichkeit sich daran beteiligt, ist ihnen wahrscheinlich doch nicht recht. Bisher konnte ich mich beherrschen: Ich trau mich einfach nicht, es wäre mir peinlich.
Kollektivstrafe
Seit Wochen bekomme ich im Supermarkt keine Gelben Säcke. Stattdessen hole ich mir welche an der (für mich nahegelegenen) Müllumladestation – aber jedes Mal nur eine Rolle. Weil einige ihre Gelben Säcke zweckentfremdet nutzen, werden diese nur reduziert ausgegeben: egal ob man sie nutzt wie vorgesehen oder nicht. Kollektivstrafe nennt man das; normalerweise halte ich nichts davon. Auch in diesem Fall hat sie sehr unangenehme Konsequenzen – vor allem für die ältere, nicht mobile Dame, die weit weg wohnt von der Müllumlade. Kollektivstrafen sind zwar eventuell für den einen wirksam, aber für manch anderen sicher ungerecht. Man sollte gut abwägen und sie sparsam einsetzen!
Mut zur Lücke
„Immer wenn die Sonne scheint, denke ich, ich sollte meine Fenster putzen“, sagt meine Schwester am Telefon, „aber wer putzt denn im November Fenster?“ Ich nicht; aber den Impuls kenne ich auch: Mich motiviert die Sonne sogar zum Fensterputzen, wenn ich meine Fenster gerade geputzt habe!
Eine Freundin meiner Schwester ist pragmatisch und findet, Putzen sei total überbewertet: Anstelle einen halben Tag lang alle Fenster zu putzen, nutzt sie die Werbeblöcke im Fernsehen, um sich nebenbei mal dem einen und mal dem anderen Fenster zu widmen. Auch ich denke, man braucht Mut zur Lücke oder (weil die Sonne im November selten scheint) zu schmutzigen Fenstern. „… oder zum Fensterputzer!“, ergänzt meine Schwester – und wir lächeln beide.
Ungemütlich
Es ist (leichtes) Angriffswetter: den ganzen Tag Nieselregen, mal intensiv, mal weniger heftig, dabei acht Grad Celsius. Jeder Hund verkriecht sich heute wohl hinterm Ofen, aber ich brauche Äpfel und radele zum Hofladen. Mir ist kalt, der Bauer aber sieht das anders: „Nö, es ist nur ungemütlich, kalt ist es noch nicht.“ Er hat Recht, richtig kalt ist was anderes; trotzdem friere ich und denke voller Sehnsucht an den Sommer. Wenn wenigstens die Sonne scheinen würde! Da schiebt der Bauer hinterher: „Aber ungemütlich ist viel schlimmer als kalt.“ Eben!
Komfortzone
Mein Mann lächelt und hält mir einen Zettel vor die Nase. Komfortzone steht da, umrahmt von einem Viereck; außerhalb davon hat er meinen Namen notiert. Er hat Recht: Ich versuche gerade, mich herauszuwagen aus meiner Komfortzone – und es fällt mir schwer, dabei zu lächeln. Das, was ich schon seit über 20 Jahren mache, fühlt sich nämlich sehr komfortabel an: bekannt, vertraut und berechenbar. Momentan scheint es jedoch angebracht, etwas Neues zu wagen: unbekannt, nicht vertraut und auch nicht berechenbar. Ich weiß, dass ich mich in jedem Fall weiterentwickeln werde und dazulerne. Nur leider lässt sich so etwas nicht in der Theorie üben und erfahren: Ich muss losmarschieren. Der erste Schritt ist der halbe Weg, ich weiß – aber den muss ich halt machen. Es ist herausfordernd für mich, und ich weiß nicht, wie ich damit zurechtkomme. Deshalb zögere ich. In der Bibel finde ich einen Vers, der mich ermutigt und gleichzeitig enspannt: „Der Mensch wirft das Los; aber es fällt, wie der Herr es will.“ (Sprüche 16, 33)
Nicht so einfach
Wir tun so, als könnten wir uns einer Meinung nur dann anschließen, wenn derjenige, der sie vertritt, gesellschaftlich anerkannt ist. Aber schon Sebastian Haffner bemerkte zutreffend (in seinen Anmerkungen zu Hitler): Man könne `nicht alles, was Hitler gedacht und gesagt hat, nur darum schon als indiskutabel … verwerfen, weil er es gedacht und gesagt hat… Dass Hitler falsch gerechnet hat, schafft die Zahlen nicht ab.´ So einfach ist es nicht.
Die Menschen
In einer Broschüre lese ich die Reiseberichte zweier Australien-Spezialistinnen, die schon öfter down under waren. Eine der Frauen war bereits 50-mal in Australien, weil es ihr so gut gefällt. Wirklich? 50-mal ist außerhalb meines Vorstellungsbereiches: zu weit weg, zu teuer und daher zu zeitintensiv. Finde ich. Beide Frauen empfehlen Urlaube im Wohnmobil: So habe man erstens das Gefühl grenzenloser Freiheit; außerdem garantierten die Einkäufe in örtlichen Supermärkten und Begegnungen an Übernachtungsplätzen den Kontakt zu Einheimischen. Und oftmals sei es das, was als Eindruck nach der Reise bleibt.
Das wiederum kann ich verstehen; deshalb war ich gerade zum zweiten Mal in Australien. Ich wollte die Menschen wiedertreffen, die ich vor 31 Jahren dort kennengelernt hatte – nicht die Orte. Entsprechend verbrachte ich Zeit mit diesen alten Freunden, arbeitete bei und redete mit ihnen. Ich weiß jetzt wieder, wie sie ihre Tage gestalten und was sie beschäftigt: wie sie versuchen, nachhaltig und sparsam zu leben, sich mit wenig oder viel Regen arrangieren und ihr Land gegen Feuer schützen. Wir teilen die Begeisterung für Worte und ihre Kraft, schmunzeln über dieselben Dinge, vertreten ähnliche Werte – und haben doch sehr unterschiedliche Glaubensüberzeugungen. In ihren Herzen habe ich (jetzt wieder neu) einen Platz (und sie in meinem) – selbst wenn wir uns wahrscheinlich nie wieder sehen werden.
Klar, Flora und Fauna in Australien sind fantastisch, die Vögel klingen anders (und sehr laut), der Himmel hängt (scheinbar?) viel mehr voller Sterne als der bei uns. Sicher sind auch die Strände wunderbar, ist die Kultur der `First Nation´-Leute sehr alt und interessant, staunt man auch nach vier Wochen noch über Kängurus und bleibt das Outback gleichzeitig faszinierend und gefährlich. Die Eindrücke am anderen Ende der Welt sind allesamt fremdartig, speziell und wunderbar. Aber für mich sind die Menschen dort entscheidend: ihre Freundlichkeit, ihre großzügige Gastfreundschaft, ihr unkompliziertes Vertrauen, ihre offenen Häuser, ihr trockener Humor. All das wird mir am längsten im Gedächtnis bleiben; die Menschen sind es, die mich an Australien am meisten begeistern.
Strom
Mein Mann macht das Abendbrot: Ofengemüse und Reis. Plötzlich geht das Licht im Wohnzimmer aus, der Ofen auch. Die Sicherung ist rausgesprungen – und lässt sich leider nicht wieder reindrücken. Das Gemüse und der Reis sind so gut wie fertig, aber leider hängt auch der Kühlschrank an dieser Sicherung. Wir müssen etwas tun, möglichst zügig. In Gedanken gehen wir Freunde und Bekannte durch: Wer `kann Strom´? Es sind nicht viele, alle wohnen außerhalb. Mir fällt einer unserer Nachbarn ein. Er werkelt ganz viel herum in Haus und Garten; ob er sich auch mit Elektrizität auskennt, weiß ich nicht. Fragen kostet nichts, denke ich, und mache mich auf den Weg. „Ich hab das mal gelernt“, antwortet er auf meine Frage, schnappt sich ein Kästchen mit Werkzeug und begleitet mich in unser dunkles Zuhause.
Er klemmt den Herd ab, aber der Sicherung scheint das noch nicht zu reichen. Es ist möglich, dass der Fehler gar nicht im Herd liegt, sagt unser Nachbar. Also ziehen wir bei sämtlichen anderen Geräten den Stecker – mit Erfolg: Irgendwann bleibt die Sicherung drin. Nacheinander stecken wir einen Stecker nach dem anderen wieder in die Steckdosen, als letztes wird der Herd wieder angeklemmt. Das Licht bleibt an, der Herd funktioniert. Woran lag´s? „Das kann man nicht genau sagen“, erfahren wir, „es kann in irgendeinem Gerät oder einer Leitung eine Kleinigkeit nicht stimmen. Entweder die Sicherung kommt irgendwann wieder oder nicht.“ Die Antwort ist unbefriedigend: Wir würden doch so gern WISSEN und UNTER KONTROLLE haben. Stattdessen werden wir wahrscheinlich nie erfahren, wo die Ursache lag – egal. Unser Gemüse essen wir kalt, aber das macht nichts. Wir sind dankbar für einen Nachbarn, der `Strom kann´ und gern hilft.
Begegnung am Telefon
Ob ich an einer telefonischen Umfrage teilnehmen würde, bitte, bitte, fragt mich der Anrufer – in gebrochenem Deutsch. Ich lehne erst ab, aber er hakt fast flehend nach: für seinen Job, bitte, es gehe auch ganz schnell, vier oder fünf Minuten vielleicht. Zögerlich stimme ich zu. Im Verlauf der Befragung geht es immer wieder auch um meine Haltung zu Migration, Flüchtlingen, Fachkräften aus dem Ausland, deren Integration … Die Fragen sind Legion und komplex, meine Antworten nicht einfach; oft entscheide ich mich für `keine Angaben´. Am anderen Ende der Leitung müht sich offenbar ein Migrant, seinen Job gut zu erledigen und sich auch dadurch hier bei uns zu integrieren. Ich möchte das Gespräch zweimal abbrechen, bringe es aber nicht fertig. Immer wieder bittet der Anrufer mich um noch ein wenig Geduld – es gehe doch um seinen Job.
Letztlich dauert es deutlich länger als angekündigt; mein Gegenüber tut sich schwer mit den langen Fragen und meinen Antwort-Optionen: Nach 13 Minuten sind wir fertig, zum Schluss antworte ich nur noch kurz, knapp und fast schon unhöflich. Anschließend bedankt sich der junge Mann für das `freundliche Gespräch´; ich gehe zurück zu meiner Familie. „Warum hast du nicht früher aufgelegt“, fragt mich meine Tochter, die meine Ungeduld wohl durch die Tür wahrnehmen konnte. Ich weiß es selbst nicht, denke aber an eine der Fragen: Ob ich finde, dass von der Regierung genug für die Integration von Migranten getan werde. „Eher nicht“, hatte ich geantwortet und merke: Integration ist nicht nur etwas für die Regierungsebene, sondern für das persönliche Miteinander – manchmal auch am Telefon.
Zuhören
Nach einer Veranstaltung kommt meine Tochter ins Gespräch mit einer älteren Frau: „Ich weiß jetzt alles über ihre Krankheiten und auch sonst.“ Allein lebende oder gar einsame Menschen haben manchmal ein erhöhtes Redebedürfnis.
„Zuhören, aktiv zuhören, ist vielleicht einer der größten Liebesdienste, den man einem Menschen heutzutage erweisen kann“, sagt mein Mann, „und einer der anstrengendsten.“ Meine Tochter lächelt sparsam und nickt.