In eins der Geschäfte unserer Stadt gehe ich nicht gern. Es hat nichts mit dem Sortiment zu tun oder dem Preis; die jungen Verkäuferinnen sind freundlich. Ich gehe nicht gern dorthin, weil ich ungefragt und stetig geduzt werde. Würden dieselben Frauen mich auf der Straße nach der Uhrzeit oder dem Weg fragen – sie würden mich garantiert siezen. Sobald ich aber `ihr´ Geschäft betrete, nehmen die Damen mich offenbar anders wahr. Bei ihnen gelten andere Regeln und Umgangsformen. Es mag der Gang der Dinge sein oder modern; ich bin wohl einfach zu alt dafür.
Nicht gut
Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft spielt manchmal erstaunlich einfalls- und erfolglos – besonders gegen Mannschaften, die ihnen vorab unterlegen schienen: Ein mittelmäßiger Gegner verleitet selbst exzellente Fußballer zu einer schlichten Spielweise; sie bleiben hinter ihren Möglichkeiten zurück.
Unsere polnische Austauschschülerin spricht nur rudimentär Englisch. Im Gespräch mit ihr stottere ich unbeholfener durch meine Sätze, als ich es könnte und gewohnt bin: Ein radebrechender Gesprächspartner verleitet mich zu schlichter Kommunikation; ich bleibe weit hinter meinen eigenen Fähigkeiten zurück.
Vorsicht mit Worten
In mehreren Zeitungsartikeln, die sich mit der vergangenen Corona-Zeit befassen, lese ich von Impfgegnern. Jedesmal klingt es abfällig wie ein Schimpfwort – und steckt Menschen pauschal in eine Schublade. Impfgegnern traut man zu, Alu-Hut-Träger, rechtsradikaler Demonstrant und/oder Corona-Leugner zu sein, gern auch demokratiefeindlich. Sehr wahrscheinlich ist nichts davon wahr, aber das Szenario im Kopf ist eindeutig negativ konnotiert. Dabei wissen wir nicht erst heute: Die mit Impfgegner Titulierten haben weder die Pandemie verlängert noch andere gefährdet und auch keine Umsturzpläne geschmiedet. Schlimmstenfalls erhöhten sie ihr eigenes Ansteckungsrisiko – freiwillig und völlig legitim. Jegliches unfreundliche Kategorisieren war und ist also fehl am Platz.
Im Zusammenhang mit Corona ist das Wort Impfgegner außerdem undifferenziert: Diejenigen, die sich nicht gegen Covid-19 impfen ließen, sind keineswegs alle Gegner des Impfens allgemein. Die Zahl der tatsächlichen Impfgegner, die Impfungen grundsätzlich ablehnen, ist verschwindend gering. Und auch diese bewegen sich in den meisten Fällen auf legalem Boden. Den Begriff Impfgegner hinsichtlich der Pandemie noch immer zu bemühen ist mindestens unglücklich – vielleicht sogar missbräuchlich. Schwarz auf weiß macht es nicht besser.
Weniger ist mehr als zu viel!
`Auf zwei Hochzeiten kann man nicht tanzen´, heißt es, dabei stimmt das gar nicht: Man KANN schon, aber es ist oft keine gute Idee. Denn man wird weder dem ersten noch dem zweiten Gastgeber gerecht – und kommt im Zweifelsfall selbst auch nicht richtig in Stimmung. Ebenso ist es mit einem `zu viel´ an anderen Dingen: Freunde kann man angeblich nie genug haben, aber um zu viele kann man sich schlecht kümmern. Wer sich diversen Hobbys widmet, wird sich in keins richtig investieren. Und ich schätze, man selbst – oder mindestens die innere Balance – bleibt auf der Strecke, wenn man von Termin zu Termin oder Veranstaltung zu Veranstaltung hetzt.
Ein paar Menschen scheinen wie ein Schmetterling von einem Ereignis zum nächsten zu flattern. Aber auch sie brauchen Momente der Besinnung, damit sie nicht den oder das Wichtigste in ihrem Leben vernachlässigen. Selbst wenn wir es nicht hören wollen, bleibt es doch wahr: Unsere Ressourcen sind begrenzt – nicht erst im hohen Alter. Junge Leute haben absolut am meisten Energie und Schwung, setzen sie verschwenderisch ein und leben manchmal gefährlich nah am Limit. Menschen in der Lebensmitte machen ihre nachlassenden Kräfte wett mit Erfahrung und Ausdauer – und kennen und akzeptieren doch (vielleicht zähneknirschend) ihre Grenzen. Für einige meiner älteren Bekannten gilt: „The greatest freedom is having nothing to prove.“ Die größte Freiheit liegt darin, nichts mehr beweisen zu müssen. Das mag wie langweilig und wenig wirken, zeugt aber von mehr – Weisheit, Gelassenheit und Selbstbewusstsein.
Zweite Kasse bitte
Mal wieder bildet sich im Supermarkt eine Schlange an der Kasse. Zwei Rentnerinnen vor mir fordern eine zweite Kasse – erst leise, dann etwas lauter. Eine von ihnen dreht sich verständnissuchend zu mir um, aber ich widerspreche ihr vorsichtig: „Es sind nur ein paar Minuten, die es länger dauert“, sage ich, „die kann man nutzen, um ein bisschen zur Ruhe zu kommen.“ Das habe sie gerade beim Sport schon gemacht, nuschelt sie und wendet sich ab, das brauche sie hier jetzt nicht mehr. Dann öffnet eine weitere Kassiererin die gewünschte zweite Kasse – von der allerdings nur die Leute hinter mir profitieren. Ich wechsele nicht.
Als ich den Supermarkt verlasse, steht eine der beiden Damen noch immer auf dem Parkplatz. Sie unterhält sich: in aller Ruhe.
Begrenzte Medienkompetenz
Mir begegnet eine Schulklasse auf dem Weg irgendwohin; ich schätze, es ist eine fünfte oder sechste Klasse. Das Schüler-Feld ist weit auseinander gezogen: Sie gehen in Gruppen zu zweien oder dreien, wenige sind allein. Die meisten von ihnen starren dabei auf ihr Handy, gesprochen wird kaum. Das können die Eltern doch nicht wollen, denke ich. Es fällt eindeutig nicht unter die oft zitierte Medienkompetenz. Diese ist nämlich nicht dadurch erreichbar, dass Kinder immer mehr und immer früher digitale Geräte benutzen. Kompetent ist jemand, der das tatsächliche Miteinander ebenso souverän beherrscht wie das über Funk. Nicht viel Übung macht hier den Meister, sondern stattdessen Einsicht und Selbstdisziplin. Kinder brauchen dafür Hilfe in Form von Grenzen, wie zum Beispiel Handy-freien Orten oder Zeiten. Als Nebeneffekt entwickeln sie dann Kreativität und Gelassenheit – und können sich an der realen Welt erfreuen, auch wenn in der Hosentasche die digitale lockt.
Allein
Auf meinem Spaziergang komme ich am Haus einer Bekannten vorbei; wir kennen uns vom Sehen. Heute wischt sie sich ein paar Tränen ab. Was los sei, frage ich. „Ach, nur Freudentränen, alles gut“, sagt sie, „meine Tochter hat mir gerade geschrieben: Sie hat für ihre Masterarbeit eine 1,0 bekommen!“ Ich gratuliere und bleibe kurz stehen. Im weiteren Gespräch erfahre ich, dass sie mittlerweile allein wohnt. Ihr Sohn ist ebenso erwachsen wie die Tochter; der Mann hat sich vor einigen Jahren von ihr getrennt. Das tut mir leid, aber sie winkt ab: „Es geht mir gut; ich habe meine Ruhe. Nur in solchen Momenten, da fehlt einem doch etwas.“ Ich nehme sie spontan in den Arm; sie bedankt sich.
`Geteiltes Leid ist halbes Leid´, heißt es. Für die schönen Momente unseres Lebens gilt dasselbe: Allein weiß man manchmal nicht, wohin mit seiner Freude. Besser ist es, wenn jemand da ist, der sich mit-freut.
Als ich weitergehe, denke ich an die Tochter. Heute will sie mit ihren Freunden feiern und morgen die Mutter besuchen. Kinder allein lebender Eltern fühlen sich unweigerlich verantwortlich, den fehlenden Partner zu ersetzen. Es ist toll, wenn sie das gern tun; aber es kann auch eine Bürde sein.
Nicht mehr peinlich
Meine erste Begegnung mit zu viel Alkohol ist lange her: Damals schlief ich inmitten einer laufenden Haus-Party einfach ein und wurde von anderen Gästen liebevoll (und über zwei Treppen) ins Bett geschleppt. Am nächsten Morgen konnte ich mich an nichts erinnern; vor allem gegenüber den Gastgeber-Eltern war mir die ganze Aktion ziemlich peinlich. Seit diesem Kontrollverlust habe ich nie wieder so viel und so durcheinander getrunken wie damals. Dadurch vertrage ich nicht viel; ich merke den Alkohol schon nach einem Glas Wein – und höre dann meist auf.
Auf dem Sommer-Geburtstagsfest einer Freundin dieses Jahr im Mai wurden es dann doch zwei (oder drei) Gläser: ein bisschen zu viel für die von mir so geschätzte `absolute´ Kontrolle. Ich war eindeutig beschwipst und das war sehr lustig – für mich und auch für einige andere, wie ich kürzlich feststellen musste: Eine Bekannte erinnerte mich schmunzelnd an meinen `Kontrollverlust´: Ich hatte zu viel getrunken; wahrscheinlich war meine Zunge gelöster und ich selbst fröhlicher drauf als sonst. Aber peinlich war und ist mir die ganze Aktion nicht.
Tote Winkel und blinde Flecken
Viele Laster sind (neuerdings) mit Aufklebern versehen, auf denen man den beziehungsweise die Toten Winkel erkennen kann: Erschreckend viel Fläche direkt um den Laster herum kann dessen Fahrer über seine Spiegel überhaupt nicht sehen. Er ist sich dessen (zumindest theoretisch) bewusst – schätze ich – und kann aber trotzdem nur schwer etwas daran ändern. Es wirkt so, als wäre es mindestens Glückssache, wenn beim Rückwärtsfahren oder Abbiegen niemand zu Schaden kommt.
Ähnlich geht es uns mit unseren Blinden Flecken; von außen betrachtet sind sie umfassender und klarer sichtbar, als uns selbst bewusst ist. Wir kennen sie (theoretisch) – und können doch praktisch nur schwer etwas an ihnen ändern. Es ist mindestens Glückssache, wenn es im Zusammentreffen mit anderen nicht zu mehr sozialem Kollateralschaden kommt.
Fokus geradeaus!
Ich versuche, auf einer Fuge zwischen den Gehwegplatten möglichst geradeaus zu laufen. Zunächst konzentriere ich mich auf die Fuge direkt vor meinen Füßen – und ende leicht verkrampft im Zickzack-Gang. Fokussiere ich mich dagegen auf einen Punkt weiter weg von mir, umso gerader komme ich voran. Ich muss ans Leistungspflügen denken, bei dem ich vor Jahrzehnten zugeschaut habe: Auf die erste Furche kommt es an; dafür wählt sich der Pflügende einen Zielpunkt am Ende des Feldes und fährt darauf zu. Die dadurch entstehende Spaltfurche wird umso gerader, je unbeirrter der Mann auf dem Trecker auf sein Ziel hinzu fährt. Der darauf folgende Rest der Pflügerei ist – sicherlich kein Kinderspiel, aber doch leichter. Ebenso geht es demjenigen, der eine volle Tasse irgendwohin trägt: lieber auf das Irgendwohin schauen als auf die Tasse selbst. Die fast überschwappende Flüssigkeit bringt einen sonst ganz schön aus dem Tritt! Selbst Eierlauf funktioniert besser, wenn man das Ei, um das es geht, gar nicht be(tr)achtet. Man braucht einfach einen anderen Fokus!