Andere Länder, andere Sitten

Auf der Autobahn in Deutschland dient die linke Spur als Überholspur für alle, die deutlich schneller als der Rest fahren wollen. Letztere merken das und bleiben meist rechts, aber nicht immer: Zum Überholen scheren sie nach links aus – und tun dies in der Regel zügig. Viele rasen, einige schleichen, der Rest wechselt immer wieder hin und her: Eine gewisse Hektik ist auf deutschen Autobahnen immer mit dabei.

Wir kennen es aus Dänemark, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen das Fahren entspannt. Keiner rast, keiner schleicht: Alles läuft gleichmäßig und weniger hektisch; wir passen uns gern an.

Das ist nicht überall so, denn in unseren westlichen Nachbarländern läuft es beziehungsweise fährt man anders: Der Verkehr bewegt sich parallel auf den vorhandenen Spuren; die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 120 bis 130 Stundenkilometern wird von kaum einem Einheimischen tatsächlich erreicht. Die ganz linke Spur dient als Fahrspur für alle, die ebenso schnell oder minimal schneller als der Rest unterwegs sind. Überholvorgänge dauern sehr lange

Dieses Prinzip beherrschen alle – nur wir tun uns schwer damit. Keiner rast, viele schleichen: gern auch ganz links. Das Fahren verläuft in ungleichmäßigen Wellen, entspannt ist das keineswegs – jedenfalls nicht für Durchreisende. Andere Länder, andere Sitten; auch hier passen wir uns an, aber nicht ganz so leicht.

Weniger ist mehr?!

Wer in wenigen Worten das Entscheidende sagt, wird gehört.
Großartigen Schauspielern reichen wenige treffende Gesten.
Ein Karikaturist illustriert mit wenigen wohl platzierten Strichen die Wahrheit.
Weniger unterschiedliche Akzente kreieren einen ansprechenden Stil.
Weniger reden und stattdessen aufmerksam Zuhören belebt wahrscheinlich jedes Gespräch.

Nur wenig ist nicht genug – so einfach ist es nicht: Manchmal ist weniger auch gar nichts.

Weniger reicht auch

10.000 Schritte pro Tag müssen es nicht sein, um seiner Gesundheit etwas Gutes zu tun: 4.000 Schritte pro Tag reichen auch, ein `Etwas-mehr an Bewegung´ ist `bereits gesundheitlich wirksam´. Diese Erkenntnis entstammt einer Studie. Du meine Güte, das hätte ich ihnen auch sagen können, denke ich, aber auch: Welch eine unglückliche Meldung! Es ist erschreckend genug, dass etwas mehr Bewegung heutzutage schon als Investition in die eigene Gesundheit gilt – und empfohlen werden muss. Selbstverständlich sollte das sein und normal, hier bei uns im gesundheitsbewussten Deutschland. Aber, nein, da wird der körperverliebte, aber bequeme Mensch noch beruhigt, sich nicht mit 10.000 Schritten täglich abzuplagen: Das würde auch viel zu lange dauern, steht da, nämlich 80 bis 150 Minuten, die seien im Alltag kaum zu schaffen.

Ich sehe es ja selbst: Der Parkplatz vor dem Supermarkt steht voller Autos; viele davon kommen aus der Siedlung um die Ecke und gehören jungen bis mittelalten Menschen. Und, nein, nicht jeder der Fahrer tätigt hier seinen wöchentlichen Großeinkauf.

Wir gehen sie heute nicht mehr, diese 4.000 Schritte am Tag, und schon gar nicht die vorher `gültigen´ 10.000. Wir haben Wasch- und Spülmaschinen, Rasen- und Saugroboter, in manchen Berufen eine 35-Stunden-Woche. Trotzdem nutzen wir die dadurch eingesparte Zeit nicht dafür, um unserem Körper etwas Gutes zu tun. Stattdessen eilen wir mit dem Auto durch die Gegend – und sitzen dann vielleicht länger im Sessel oder was weiß ich denn. In Zukunft ohne schlechtes Gefühl, denn wir wissen: Weniger (Bewegung) reicht auch.

Unverhoffter Müßiggang

Plötzlich haben alle anderen etwas vor und ich bin ganz allein zu Hause – allerdings nur für drei Stunden. Egal: Ich gehe erst spazieren, koche dann und spüle ab; die Hälfte der Zeit ist schon rum. Anschließend checke ich meine Mails, werfe einen Blick in die Zeitung, beantworte eine SMS und schaue in eine alte Serie rein. Endlich besinne ich mich und nutze die letzte halbe Stunde, um einfach nur zu sein.

Unverhoffte Pausen sind wunderbar und herausfordernd zugleich: Anfangs stolpere ich wie gewohnt weiter durch mein alltägliches Einerlei – erst dann beginnt mein Müßiggang.

Voreingenommen

Ein Unfallchirurg sieht seine Kinder nicht gern Motorrad fahren.
Eine Bekannte von mir ist Kinderärztin und findet Hausgeburten viel zu gefährlich.
Menschen, die mit Jugendlichen in einem Problemviertel arbeiten, besitzen entweder viel Glauben an den guten Kern von jungen Menschen oder kein Vertrauen in die Jugend von heute allgemein.
Hat man Kinder, werden eigene Bedürfnisse (bis zu einem gewissen Maß) unwichtig. Außerdem verliert sich das Gespür für eigene Peinlichkeit.
Lebt jemand als Single, bleibt ihm die Dynamik einer Partnerschaft letztlich doch fremd: Kompromissbereitschaft muss er an anderer Stelle lernen.

Wir gehen alle irgendwie voreingenommen beziehungsweise mit einem gewissen Tunnelblick durchs Leben. Das merken wir aber nur, wenn wir unvoreingenommen mit den vielen anderen Wahrheiten dieser Welt umgehen – und das ist schwer.

Pünktlich oder was?

Eine meiner Töchter definiert pünktlich mit `auf den letzten Drücker´. Alles davor ist Zeitverschwendung – und reichlich uncool.

Ich erscheine lieber zehn Minuten zu früh am vereinbarten Treffpunkt: „Fünf Minuten vor der Zeit ist des Deutschen Pünktlichkeit.“ 

Seit heute Abend weiß ich, dass ich nicht besonders deutsch bin, sondern eher reichlich betagt: Ein Freund (in meinem Alter) holt zwei Kinder zur Musik-Probe ab – mit wenigen Minuten Puffer zum Quatschen im Flur: „Ihr wisst schon: präsenile Überpünktlichkeit!“

Team-Arbeit: unvollständige Liste

Im Team lastet die Arbeit auf mehreren Schultern.
Im Team entstehen viel mehr Ideen.
Im Team hat man mehr Spaß.
Im Team entwickelt sich eine eigene Dynamik und beflügelt der eine den anderen.
Im Team kann sich der Einzelne ab und an zurücklehnen.
Im Team kann man sich seinen Stärken gemäß einbringen – und die Aufgaben, die einen überfordern, anderen überlassen.

Im Team muss man sehr viel ganz klar kommunizieren, ziemlich oft.

Objektives und subjektives Wetter

`Alarmstufe Heiß´ lautet die Überschrift in einer Zeitung; daran an schließt sich ein kurzer Artikel zum heißesten Juli. Nicht dabei steht, für welchen Zeitraum diese Aussage gilt. Ein kurzer Blick ins Internet ergibt, dass wir in Deutschland seit 1881 systematisch das Wetter – oder zumindest die Temperatur – aufzeichnen. Wir erleben also den heißesten Juli seit gut 140 Jahren, ganz objektiv. Das klingt nach flirrender Hitze über den Feldern und unterm Dach, dem Geruch von frisch gedroschenem Getreide und vertrocknetem Rasen im Garten.

Subjektiv kann ich mich an heißere Sommer erinnern. Vielleicht war die Mitteltemperatur geringer, dafür aber längere Zeit gleichbleibend. Natürlich ist meine Empfindung weniger zuverlässig als konkrete Daten einer Wettererfassungsstelle, deswegen aber ebenso wahr: 2010 zum Beispiel durften meine damals noch jungen Kinder außergewöhnlich lange wach bleiben. Abends um acht war an Schlafen nicht zu denken. Ich ließ die Wäsche über Nacht draußen hängen und genoss den Wein auf der Terrasse erst, als es abends schon fast wieder dunkel wurde. Dieser Sommer dagegen ist verregnet, im Wettersprech: sehr nass. Die Wäsche trocknet draußen gar nicht und drinnen nur langsam; der Rasen wächst grün und üppig und ergibt selbst im Hochsommer eine reiche Mäh-Ernte. Ganz im Gegensatz zum Getreide, das hier in unserer Gegend auf dem Acker vergammelt und einfach nicht trocken werden will.

Das Wetter ist eine komplexe Geschichte; es lässt sich nicht nur mit bloßen Fakten und rein objektiv erfassen. Wissenschaftliche Analysen können helfen, ja; die konkreten Lebensbedingungen ausreichend beschreiben können sie nicht – und wie wir (ganz subjektiv) mit ihnen umgehen glücklicherweise auch nicht.

Vorübergehend alle zu Hause:

mehr Leute, mehr Gespräch und mehr Bewegung
mehr unterschiedliche Bedürfnisse, mehr Kompromiss, ein bisschen mehr Streit
mehr Essen, mehr Wäsche, mehr Dreck und mehr Müll
mehr Leben, mehr Stimmung, mehr Lachen, mehr laut
mehr klare Ansagen, mehr gewohnte Muster, mehr Rückzug

Von allem gibt´s mehr, nur die Tage sind genauso kurz wie vorher.