Ein Kompliment

Gleich nach dem Aufstehen stürme ich voller Elan in die Küche und drehe – noch im Schlafanzug – eine übermütige Pirouette vor meinem Mann. Seine Reaktion: „Ein 50-jähriger Geist in einem 27-jährigen Körper!“ 

So sehe ich nicht aus, aber genau so fühle ich mich. Und deshalb: Welch ein schönes Kompliment – und ein wunderbarer Start in den neuen Tag!

Wie im Urlaub

Ich fühle mich wie im Urlaub, obwohl wir nicht „im Urlaub sind“. Wir verbringen die Ferien zu Hause und unternehmen nichts Besonderes. Natürlich trägt die unterrichtsfreie Zeit der Kinder bei zu meinem Urlaubsgefühl, aber dessen eigentlicher Ursprung ist ein anderer: Drei unserer Kinder verbringen sechs Tage auf einer Fußball-Freizeit. Dadurch sind nur zwei Kinder anwesend – etwas mehr als in der deutschen Durchschnittsfamilie. Diese temporäre Verkleinerung fühlt sich für mich nicht an wie Durchschnitt, sondern eben wie Urlaub: Wir reden, essen und verschmutzen nicht so viel wie normalerweise, weshalb ich nicht so viel zuhöre, koche, wasche und putze wie normalerweise.

Vielleicht empfinden wir Abweichungen von der Norm immer als etwas Besonderes – es funktioniert allerdings nur in eine Richtung: Wann immer weitere Personen temporär bei uns einziehen, fühlt sich das nicht an „wie im Urlaub“ – jedenfalls nicht für mich.

Downhill

Our first host in Scotland was exceptionally friendly, welcoming and encouraging. We told her so and thanked her for everything. She answered: „Everything goes downhill from here – so I heard.“ We laughed about it – but in the end she was right: No other host was more warm-hearted, honestly interested, and welcoming than her.

Sometimes I feel like I am at exactly the same point in my life: Everything goes downhill from here … and I don’t feel like laughing about it.

Ausgeschlafen

Nach einem zu vollen Tag bin ich zwar müde, schlafe aber manchmal nicht tief und erholsam. Gehe ich stattdessen mit Zeit und Ruhe durch meine Tage, sind die Nächte besser – und dann wieder die Tage: Ausgeschlafen zu sein, schenkt mir Energie und Lust auf das, was vor mir liegt. 

Als ausgeschlafen gilt auch, wer einfallsreich ist und geistig beweglich, begabt und geschickt. Mit echtem Schlaf an sich scheint dieses Ausgeschlafensein nichts zu tun zu haben. Im Gegenteil: Aufgeweckte Menschen wirken niemals müde, sprudeln vor Ideen und sind immer in Bewegung – körperlich und geistig. Kaffee oder ähnliches mag ihnen dabei helfen; ob sie ausreichend und erholsam schlafen, weiß ich nicht. Ich weiß aber: Sie sollten es tun.

Sicher variiert es, wie viel Schlaf wir brauchen und wie belastbar wir sind. Dennoch glaube ich: Wir entlocken einem Tag nur scheinbar mehr Ergebnis, wenn wir ihn mit allem möglichen füllen – und dafür an Ruhe und Schlaf kürzen. Kurzfristig können wir hochtourig leben; langfristig sind Muße-Stunden kein Verlust, sondern Gewinn. Wir müssen buchstäblich ausschlafen, um ausgeschlafen zu sein. Keine Droge, kein Adrenalin, kein aufregendes Erlebnis beflügelt uns so wie guter Schlaf.

Vom Schätzen zum Verstehen

Unsere erste (Ein)Schätzung von einem Menschen ist meist stark und eindeutig – das ist gut und nicht gut zugleich:

Gut ist es, weil wir bereits nach zwei Minuten ein Gespür dafür haben, wie unser Gegenüber „drauf ist“. Ob wir jemandem vertrauen oder ihm grundsätzlich wohl gesonnen sind, entscheiden wir auf einer Ebene, die sich dem Intellekt entzieht.

Nicht gut ist es, weil wir manchmal daneben liegen mit unserer ersten (Ein)Schätzung. Wir brauchen mehr als zwei Minuten, um zu verstehen, warum unser Gegenüber so „drauf ist“. Ein hilfreicher englischer Satz lautet: „Understand before you`re understood.“ Versuche zu verstehen, bevor du verstanden wirst. Schätzen geht schnell, Verstehen kostet Zeit (und einiges mehr). Der Gewinn für die Beziehung ist nicht zu unterschätzen.

Was ist schon (un)wichtig?

Ich merke mir Telefonnummern, Geburtstage sowie diverse Termine und habe im Supermarkt meinen Einkaufszettel im Kopf, auch wenn dieser tatsächlich zu Hause auf dem Küchentisch liegt. 

Worüber wir uns abends streiten, habe ich morgens wieder vergessen. 

Wichtige Dinge merke ich mir, die unwichtigen vergesse ich – was will ich mehr?!

Festlegen

Am Nachmittag bitte ich meine Tochter, einen Freund zu fragen, ob er sie abends mit dem Rad begleiten würde. Ihre Antwort: „Wieso jetzt schon? Ich möchte nicht diejenige sein, die jemand anderen zwingt, sich festzulegen. Die Jugend von heute mag das nicht so gern, sich festlegen.“ Aha, denke ich, das mag sie also nicht, die Jugend von heute. Was ich sage, ist: „Ich möchte aber schon am Nachmittag wissen, ob ich abends einen Fahrdienst übernehmen muss oder nicht. Das Mittelalter würde sich gern festlegen.“ Daraufhin verdreht die Jugend von heute leicht die Augen: Das Mittelalter von heute ist ihr nicht spontan und flexibel genug …

Ob das mit „Generationenkonflikt“ gemeint ist?

Was mein Leben reicher macht …

… sieht gar nicht danach aus. Weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick. Denn bei mir ist es nicht die erste glänzende Kastanie des Herbstes, kein staunendes Enkelkind und auch nicht die selbstgekochte Erdbeermarmelade mitten im regnerischen Oktober. Stattdessen sieht sie aus, wie ihre 19 Jahre vermuten lassen; sie macht nicht mehr viel her – machte sie ehrlich gesagt noch nie; aber sie tut`s noch: die Anhängerkupplung für meinen Fahrradanhänger. Sie ermöglicht mir genau das, was ich so liebe – fast alles mit dem Rad erledigen zu können.

Keine Antwort!

Vor ein paar Wochen unterhielt ich mich mit einer Freundin – es war besonders persönlich und offen. Kurz danach schrieb ich ihr einen Brief, der ohne Antwort bliebt. So etwas kommt oft vor, ich kenne das. Trotzdem wundert es mich immer wieder – und verunsichert mich. Denn: Der Wunsch nach einer Antwort ist so fest in mir verankert wie das Bedürfnis, selbst auf eine persönliche Anfrage zu reagieren. So `ticke´ ich. 

Ich sollte mich damit abfinden: Ein Mensch, der antwortet, ist die Ausnahme; ein schnell antwortender Mensch ist eine Sternstunde. Dabei können wir ungleich mehr Kommunikationswege nutzen als jemals zuvor.

Der Brief stirbt aus und ich kann nichts dagegen tun. Seit es digital geht, schreibt kaum noch jemand mit der Hand. Stattdessen nutzen wir: Telefon, Kurz- oder Sprachnachricht, Mail oder das gute alte persönliche Gespräch. Damit könnte ich leben; womit ich schlecht zurechtkomme, ist – Schweigen auf allen Kanälen.

Ein paar Wochen später frage ich nach. Meine Freundin entschuldigt sich wortreich per Kurznachricht. Untergegangen sei mein Brief in den Ereignissen der vergangenen Zeit, obwohl er danach „schreit, dass wir weiter denken und uns stundenlang austauschen“. Es wird nicht dazu kommen, ich ahne es. Zu viel passiert in unseren Leben. Vielleicht auch zu viel, was wichtiger ist als der Austausch darüber, was unsere Seele beschäftigt und warum. Die Fülle des Alltags verhindert, innezuhalten und zu reflektieren. Ich finde es schade, aber das ist ein anderes Thema.

Nur …

„Ich wäre nie auf die Idee gekommen, nicht zu arbeiten.“ Das klingt fortschrittlich und emanzipiert. Der Satz stammt von einer Politikerin, die in der DDR aufgewachsen ist. Ich lese ihn in einer Sonderausgabe zum Tag der Deutschen Einheit. Gleich nach dem Zitat steht da: „Nahezu alle Ostfrauen würden diesen Satz wohl unterschreiben.“ Ach ja?, denke ich. Bin ich auch eine von diesen Ostfrauen, obwohl ich inzwischen im Westen lebe?

„Ich wäre nie auf die Idee gekommen, für eigene Kinder nicht zu Hause zu bleiben.“ Diesen Satz hätten bis vor zehn, fünfzehn Jahren (wahrscheinlich?) nahezu alle Westfrauen unterschrieben. Merkwürdigerweise klingt er nicht genauso fortschrittlich und emanzipiert. 

Aber: Nicht alle Ostfrauen sind arbeiten gegangen, weil sie es unbedingt wollten; nicht alle Westfrauen sind nicht arbeiten gegangen, weil sie nicht durften. Gesellschaftliche Gegebenheiten spielen eine große Rolle – und unsere persönliche Überzeugung wird von ihnen mehr beeinflusst, als wir uns eingestehen wollen.

Jedes Jahr um den 3. Oktober herum geht es um die Unterschiede zwischen DDR und BRD. Diese lassen sich anscheinend bestens illustrieren am Beispiel der (Nicht-)Berufstätigkeit von Frauen: `In der DDR konnten alle Frauen arbeiten gehen – und können es noch. Dort passte das Rollenverständnis und die Infrastruktur. In der BRD mussten die meisten Frauen zu Hause bleiben. Hier herrschte ein anderes Rollenverständnis und dementsprechend auch eine andere Infrastruktur. Zum Glück ändert sich das gerade…´ Wertfrei klingt das nicht. 

Mich nervt es jedes Jahr wieder neu. Als wären berufstätige Mütter eine nicht in Frage zu stellende Errungenschaft, die keinen Preis hat – außer vielleicht den, der in ausreichend Kindertagesstätten fließt. Und als würden alle „nicht arbeitenden“ Mütter genau das tun – nicht arbeiten. Solche Sätze sorgen nicht für Gleichberechtigung und die freie Wahl, sondern für Druck, der Mütter dort erwischt, wo sie besonders empfänglich sind: Mutter wollen sie sein; aber nur Mutter dürfen sie nicht sein wollen. Frau scheint nur gleichberechtigt und gleichwertig zu sein, wenn sie arbeitet – aber bitte nicht nur zu Hause.

Dadurch fällt es jungen Müttern heute schwer, für ihre Kinder länger als gesellschaftlich akzeptiert zu Hause zu bleiben. Sie müssen sich erklären, wenn sie „nicht arbeiten“ möchten – als wäre die Betreuung von Kindern nur Arbeit, wenn jemand anderes als die Mutter sie leistet. Als wäre all das, was nicht berufstätige Mütter sonst noch tun, nur nebensächlich und genauso gut nach dem Job zu erledigen: Haushalt, Hausaufgabenbetreuung, Ehrenamt, Nachbarschaftshilfe usw. Und auch als wäre es eben nicht genauso akzeptiert, wenn man sich heutzutage für Zeit und gegen Eile entscheidet: Zeit für Kinder und Familie, Zeit für Gespräche mit Menschen und für Unvorhergesehenes.

Es klingt so, als wären nur berufstätige Mütter fortschrittlich und emanzipiert. Die nicht berufstätigen finden sich durch solche Formulierungen automatisch einer anderen Kategorie zugehörig: Wer wie ich nur Hausfrau und Mutter ist, gilt als altmodisch; wir sind nicht nur finanziell, sondern auch in anderer Hinsicht abhängig – von unseren Männern und von einem längst überholten Rollenverständnis. Dass wir gern und ganz bewusst nur zu Hause arbeiten, lese ich nicht heraus aus solchen Betrachtungen. Aber vielleicht ist das auch nur meine Interpretation und nur ich habe Zeit, mir Gedanken darüber zu machen …