„Es ist so schön, dass wir Jahreszeiten haben“, findet mein Kind. Recht hat es.
Nicht wahr?
Ein Mensch, der mir nahesteht, sagt etwas, was nicht wahr ist. Angesichts der Unaufrichtigkeit denke ich: `Das kann doch nicht wahr sein!´
Zu denen, die wir am meisten lieben, haben wir schon eine besondere Beziehung, nicht wahr?
Ganz schön großartig – und mühsam
Ich sehe eine Doku über eine junge Frau, Cathy. Mit ihrer Zwillingsschwester Bella und ihrem Mann Max zusammen will sie einen Ultratrail laufen – den Zugspitzlauf: 106 Kilometer, über 5.000 Höhenmeter. Die beiden Schwestern trainieren oft zusammen, Bella ist schneller. Das wurmt Cathy ein bisschen; sie würde bei sich selbst gern mehr Fortschritte sehen.
Die Kamera begleitet die Frauen; Intervall-Läufe sind gut für Fitness und Tempo. Cathy möchte vor allem schneller werden, denn beim Zugspitzlauf würde sie gern unter 20 Stunden bleiben. Zur Probe läuft sie drei Monate vorher 69 Kilometer in Kroatien – und zweifelt hinterher, ob sie sich ein bisschen zu viel vorgenommen hat.
Einige Male fragt die junge Frau sich: „Warum tue ich mir das an?“, aber als es endlich soweit ist, packt sie begeistert ihre Sachen und ist vor dem Start ganz hibbelig. Die Läufer starten am Abend, sind also die ersten sechs Stunden im Dunkeln unterwegs. „Ich bin müde und will ins Bett“, sagt Cathy nachts um drei und schiebt ein paar Stunden später noch ein „Ich will nach Hause“ hinterher. Der Sonnenaufgang ist spektakulär, einige halten an und fotografieren – um Bestzeiten geht es offenbar den wenigsten. Dann fängt es auch noch an zu regnen und wird rutschig. Einige Anstiege sind brutal; bergab ist auch kein Spaziergang.
Die drei bleiben zusammen und ermutigen Bella, der es ab Kilometer 80 oder so nicht gut geht. „Ich mach das nie wieder“, sagt sie und Cathy antwortet: „Musst du auch nicht!“ Sie werden nicht unter 20 Stunden bleiben, finden aber: „Das ist Latte.“ Sie schaffen es entweder zu dritt, vor der Cut-Zeit von 27 Stunden ins Ziel zu kommen – oder gar nicht. Die letzten Meter laufen sie Hand in Hand und zumindest Cathy strahlt. „Dass ich das mit den beiden Menschen zusammen machen konnte, die in meinem Leben am wichtigsten sind“, sagt sie, „das ist großartig.“
Ich mag das auch, denke ich: so eine sportliche Grenzerfahrung in guter Gesellschaft. Natürlich würde ich (laufend) keine solche Distanz schaffen – und auch nicht dafür trainieren wollen. Stattdessen erinnere ich mich an meine kurze, unspektakuläre und großartige Triathlon-Vergangenheit. Beim ersten Mal wurde ich zweite – und war enttäuscht. Später kam ich immer ins Ziel, aber nie mehr aufs Treppchen. Währenddessen fragte ich mich (wie Cathy), wieso ich mir das antue: Todesangst beim Schwimmen braucht kein Mensch. Danach sind die Beine eigentlich zu schlapp und schwer fürs Radfahren – und du fährst trotzdem. Selbst das sonst von mir so geliebte Laufen war nie ein Selbstläufer: „Das jetzt auch noch, ich muss verrückt sein.“
Ein Zugspitzlauf oder ein Triathlon. Beides ist toll und von (ziemlich weit) vorn bis hinten mühsam; andere erleben es genauso und tun es trotzdem. Denn ohne die Mühe kein Zieleinlauf – auch das ist die Wahrheit.
Grässlich
Untote, Grabsteine, riesige Spinnen und ihre Netze, Skelette mit und ohne Kopftuch. Es überwiegen die Farben Schwarz, Weiß und Grau … Manche Menschen dekorieren (oder eher: verschandeln) ihre Vorgärten wirklich gruselig – schon Wochen vor Halloween. Ich finde diesen Kram rein optisch abstoßend und den Brauch selbst aus christlicher Perspektive höchst unangemessen. Schön, dass es jetzt vorbei ist und all das grässliche Deko-Zeugs wieder in Kisten verschwindet. Der Herbst kann so schön sein: wolkenverhangen, nieselig und kühl und dabei orange-braun-gelb-bunt.
Pizza? Nein, danke!
Auf dem Weg durch die Innenstadt komme ich an einem kleinen Pizzabäcker vorbei. Davor stehen einige Leute an Stehtischen, andere nehmen ihre Pizza mit und gehen essend weiter. „Welche Pizza wollte ihr denn?“, fragt eine Oma ihre beiden Enkelkinder. Und ein Mann, der zu den Wartenden tritt, sagt fast entschuldigend in die Runde: „Ich muss jetzt auch Pizza essen, Döner sind alle zu!“
Pizza, Pizza, Pizza: buchstäblich in aller Mund und Nase. Und es riecht ja auch wirklich intensiv und appetitmachend – wenn man Pizza mag. Obwohl ich selbst fast nie außer Haus esse (und schon gar nicht auf die Hand), verstehe ich, dass Leute hier Lust auf Pizza bekommen. Dennoch sage ich innerlich `Nein, danke!´, denn: Es ist morgens um 11 Uhr. Bei aller Liebe, das ist einfach nicht meine Zeit für Pizza.
Technik begeistert – wenn sie funktioniert
Normalerweise gehe ich davon aus, dass meine digitalen Geräte funktionieren. Immer wenn etwas hakt, denke ich automatisch, dass es an mir liegt. Entsprechend lange probiere ich herum und versuche es noch einmal und noch einmal anders … Inzwischen weiß ich, dass auch Computer manchmal nicht so laufen, wie sie sollen. Dann hilft meist ein Neustart.
Was aber, wenn das Problem gar nicht bei mir oder meinem Rechner liegt? Kürzlich sollte ich etwas auf einen Server hochladen – ohne Erfolg. Der `technische Support´ wusste auch nicht weiter und schrieb, ich solle es nochmal versuchen … Sieben bis neun Versuche später fragte ich nach, ob eventuell nicht vorhandene Zugriffsrechte die Ursache sein könnten. „Das war ein guter Hinweis, Frau Hecker“, lautete die Antwort, „ich lass das mal prüfen.“ Und siehe da, plötzlich ging´s.
Die Stunden davor ließen mich an meinem Verstand zweifeln, irritierten mich einigermaßen und kosteten MICH: nämlich meine buchstäblich umsonst investierte Zeit. Vergeblich war diese nicht. Ich merke mir hoffentlich, dass ich in Zukunft nicht stundenlang probiere, sondern mir und meinen Fähigkeiten über den Weg traue. Manchmal wenn´s hakt, liegt´s nicht an mir!
Es tut mir leid beziehungsweise: gern geschehen!
Beim Laufen begegne ich einem Pärchen mit Hund. Als sie mich sehen, hockt sich der Mann neben den Hund und redet beruhigend auf ihn ein. Ich bedanke mich und laufe unbehelligt weiter. Ein, zwei, drei Schleifen später sehe ich aus der Ferne, dass die drei mir schon wieder entgegenkommen. Auch sie erspähen mich – und der Mann hockt sich neben den Hund … „Es ist ein Kreuz mit den Joggern, was?“, sage ich und auch, dass es mir leidtut. Die Frau lächelt, der Mann nuschelt etwas wie „… schon die ganze Runde …“ in seinen nicht vorhandenen Bart. Ich fühle mich fehl am Platz; um die Gemüter zu beruhigen, rufe ich noch: „Jetzt bin ich wirklich weg.“
Beim Weiterlaufen sinniere ich darüber, wieso ich mich tatsächlich ein wenig schuldig fühle, dort lang zu laufen. Hallo?, denke ich. Ich darf das, die Wege sind öffentlich. Es ist nicht mein Problem, wenn Hundebesitzer ihre Vierbeiner in Gegenwart von Läufern nur durch extra Zuwendung im Griff haben.
Keine drei Minuten später – ohne Spaß – treffe ich ein Ehepaar mit Kind und Pferd: Der Mann läuft hinter diesem Vierbeiner, als wäre er selbst die Kutsche. Ich nähere mich langsam und frage, ob ich überholen darf. „Na, klar!“, sagt der Mann freundlich: „Ein besseres Training können wir uns ja gar nicht wünschen. Wir machen das zum ersten Mal heute.“
So kann es auch gehen, denke ich. Ich laufe durch die Walachei und kann mich fühlen wie ein Störfaktor oder wie eine willkommene Trainingshilfe.
Inselbegabt
Im Gespräch mit meinen Nachbarn sage ich, dass ich weder Schnitzel noch Kasseler zubereiten kann – beziehungsweise es noch nie gemacht habe. „Du kannst ganz viel nicht“, stellt mein Nachbar daraufhin fröhlich fest. Er hat recht, denn ich mache auch nie Weiße Sauce, Gulasch oder Königsberger Klopse. Dennoch höre ich seine wahren Worte nicht gern.
Vom Verstand her weiß ich, dass ganz viele Leute ganz viele Dinge nicht können. Das ist einfach so. Dennoch kollidiert diese Negativ-Aussage mit meinem Selbstwertgefühl. Besser leben könnte ich mit: Du bist inselbegabt – und davon ganz viel.
Spontane Warte-Zeiten
Einige Leute in meinem Umfeld kommunizieren gern über social media, aber mit eingebauten Pausen. Am Sonntag schreibt mir beispielsweise eine Freundin aus England: „Kann ich von Donnerstagabend bis Samstagmorgen bei euch übernachten?“ Ich muss nicht lange nachdenken und schicke ein „Ja klar!“ zurück. Danach höre ich bis Mittwochabend NICHTS mehr. Also frage ich, wann sie genau kommt (und ob sie vom Bahnhof abgeholt werden möchte), ob wir nur Basisstation sind oder sie am Freitag Zeit mit uns verbringen möchte … solche Dinge halt. Eine Stunde später antwortet sie, dass sie das erst noch klären muss – und ich gehe ins Bett.
Am Donnerstagvormittag weiß ich noch immer nicht, wann genau mein Besuch heute Abend kommt, geschweige denn, wie ich MEINEN Freitag gestalten kann. Ich halte mich für spontan, aber das Warten auf die Spontaneität anderer macht mir zu schaffen.
In Ordnung? Ja!
Ich gebe mir Mühe mit einem Text; mein größter Kritiker bin ich selbst. Hier etwas kürzen, dort eine treffendere Formulierung – es geht immer noch ein bisschen besser, jedenfalls für meinen Geschmack. Besagter Text ist der erste für diesen Auftraggeber, weshalb ich unsicher bin, was genau von mir erwartet wird. Ich möchte es sehr gut machen. Irgendwann erkläre ich mein Werk für abgeschlossen und schicke es los.
Erfreulicherweise bekomme ich sehr schnell eine Antwort: „Der Text ist in Ordnung so“, steht da und dann noch einige Erklärungen, wie es jetzt weitergeht. In Ordnung?, denke ich und bin ganz erstaunt, was das mit mir macht. Einerseits bin ich erleichtert: Keine Kritik, kein Wunsch nach einem anderen Stil, eventuell nötige Kürzungen würden sich ausschließlich aus Platzgründen ergeben. Andererseits spüre ich eine leise Enttäuschung. `In Ordnung´ ist mir als Standard für meine Arbeit zu wenig – und klingt nicht nach sehr gut.
Vielleicht geht es der Erst-Leserin in ihrer Rückmeldung gar nicht um eine Bewertung meiner schriftstellerischen Leistung. Stattdessen zählt eventuell (zunächst) nur, dass ich die Sprache ihres Unternehmens treffe. Möglicherweise liest sich mein Text auch einfach nicht sehr gut, obwohl ich mir Mühe gegeben habe.
Wie geht es jetzt für mich weiter? Werde ich in Zukunft weniger Zeit und Mühe investieren, weil das auch reicht? Wonach richte ich mich hinsichtlich des Anspruchs an meine Arbeit? Ein Vers hilft mir, an meiner Perspektive festzuhalten: „Alles, was ihr tut, das tut von Herzen als dem Herrn und nicht den Menschen, denn ihr wisst, dass ihr von dem Herrn als Lohn das Erbe empfangen werdet. Dient dem Herrn Christus!“ (Kolosser 3, 23+24) Ich habe mehr investiert, als für `in Ordnung´ nötig gewesen wäre – und Gott weiß das. Das reicht mir!