Passt oder passt nicht?

Eine meiner Töchter reitet. Ich schaue manchmal zu und freue mich an dem harmonischen Miteinander der beiden. Wenn ich dabei bin, wie sie das Pferd putzt, sehe ich erst, wie groß es ist: Die Widerristhöhe liegt deutlich über meinem Kopf. Aber weil meine Tochter selbst auch ziemlich groß ist, wirkt das Tier unter ihr nicht überdimensioniert – sie passen gut zueinander.

Immer häufiger sehe ich große Geländewagen im Stadtverkehr. Sie sind breit, hoch und vorzugsweise schwarz, was sie noch massiger wirken lässt. Meist sieht man in diesen Ungetümen den Fahrer erst beim zweiten Hinschauen. Jedes Mal denke ich dann, dass dieser im Verhältnis zur Größe des Gefährts sehr klein aussieht – sie passen nicht zueinander.

Ja zur Blitz(ent)scheidung

„Blitz-Scheidung? Sie hat schon seinen Namen abgelegt“ so lautet die Überschrift in einer Boulevard-Zeitung. Gemeint ist die Frau von Bastian Schweinsteiger, Ana Ivanović. In dem Artikel geht es darum, wie schnell die beiden geschieden sein könnten: Sie haben Wohnsitze in Spanien und der Schweiz. In beiden Ländern bräuchten sie für eine offizielle Scheidung kein Trennungsjahr einzuhalten wie in Deutschland. Auch dass die beiden getrennte Konten haben, erleichtere und beschleunige den Prozess, heißt es weiter. Nur über den Unterhalt der drei Kinder müsse man sich einig werden, dann könne alles ganz schnell gehen. Es klingt fast so, als sollten die Leser denken: Wie schön! Kein Wort darüber, wie schade es ist, dass hier gerade eine Familie auseinanderbricht. Offenbar ist das auch für die Betroffenen selbst kein Thema. Ihr Statement klingt fast versöhnlich. Die Familie Schweinsteiger-Ivanović solle weiter voller Harmonie weiterbestehen – trotz der aus unbegreiflichen Gründen zerbrochenen Liebe.

Mich machen solche Nachrichten traurig und ratlos. Traurig, weil hinter dem Begriff `Ehe-Aus´ so viel Zerbruch steht für so viele Menschen – der sich weit in die Zukunft hinein auswirkt.
Ratlos bin ich, weil ich nicht verstehe, was das heißen soll: `aus unerfindlichen Gründen zerbrochene Liebe´. Meinen diese jungen Menschen tatsächlich, dass all die länger bestehenden Ehepaare es leichter haben miteinander? Dass das Verliebtsein sich bei den einen eben über Jahrzehnte hält und bei anderen in Luft auflöst – und man nichts dagegen oder dafür tun kann? Es gibt Missbrauch in Ehen, vollkommen klar, Gewalt in vielerlei Form und unerträgliche Zustände. Und manch ein Ehepartner stellt mit Entsetzen fest, dass er ein Monster geheiratet hat. Das scheint in diesem Fall nicht der Fall zu sein: Schließlich wollen sie als Familie voller Harmonie weiterbestehen – wieso tun sie es dann nicht?

Abwechslungsreich und aufschlussarm?

Auf meinem Weg zur Arbeit fahre ich durch einige Wohngebiete. Die Vorgärten sind so verschieden wie die Menschen, die hier wohnen. Beim Anblick einiger muss ich unwillkürlich lächeln und würde sie am liebsten mitnehmen. Andere lösen mentales Kopfschütteln aus: Wer hier wohl wohnt, der sowas schön findet? Es gibt komplett geschotterte Flächen direkt neben fröhlicher Blumenwiese, gefolgt von englischem Rasen oder Rhododendren in allen Größen und Farben. Dazwischen stehen Zäune aus Holz (in den Varianten `regelmäßig gestrichen´ und `vermodert´), kleine oder ausgewachsene Mäuerchen und immer mehr auch der typisch moderne `Schick´ dunkelgrauer Plastikplanen zwischen Stahlstangen – hässlich, aber auf jeden Fall blickdicht.

Während ich hinsichtlich der kleinen Garten-Stückchen anerkennend lächle oder innerlich die Nase rümpfe, frage ich mich, wie unser Vorgarten auf andere wirkt. Er ist uns nicht wichtig und entsprechend kein Hingucker. Vorbei radelnde Menschen könnten sich fragen: Wer hier wohl wohnt, der sowas schön findet?

Vorher – nachher

Ein Todesfall in der Familie, völlig überraschend. Ein Mensch fehlt, die Gedanken gehen immer wieder zu der Lücke. Die nächsten Tage vergehen wie immer, unaufhaltsam, als wäre nichts geschehen. Und doch ist es von jetzt an anders als vorher.

Geroblond?

„Ich bin blond“, sage ich und ernte skeptisch bis mitleidige Blicke, ein kurzes Schweigen und schließlich ein klares „Nein, bist du nicht“ meiner Kollegin. Ich versuche zu widersprechen, gebe ein „bisschen grau“ gern zu, bestehe aber auf „hauptsächlich noch blond“. Meine Chefin grätscht dazwischen. Wohl um uns beide zufriedenzustellen, sagt sie: „Du bist geroblond.“ Jetzt bin ich es, die skeptisch guckt, kurz schweigt und dann gern etwas erwidern würde. Mir fällt nichts Schlaues ein – wahrscheinlich hat sie recht.

Nicht so einfach

Momentan ist Spargelzeit. Auch bei uns um die Ecke steht einer der kleinen Holzverschläge, in denen man das `weiße Gold´ sowie Erdbeeren und Kartoffeln kaufen kann. Am Samstagmorgen stehen die Leute Schlange, einige haben vorbestellt; der junge Mann hinterm Thresen wirkt dadurch etwas gestresst. Ein Kunde vor mir möchte vier Kilo geschälten Spargel, für drei davon benötigt er eine Quittung – erhöhter Schwierigkeitsgrad für den Verkäufer: Als er den Quittungsblock endlich gefunden hat, tut er sich schwer mit der Handhabung. Nach einigem planlosen Herumhantieren erkläre ich ihm, wie er die Trennpappe zwischen die aktuelle Rechnung und die dahinter liegenden platzieren muss. Das Kopfrechnen überlasse ich ihm – ich will nicht übergriffig sein. Glücklicherweise hat er ein Handy parat und schreibt 64 Euro, bis der Kunde ihn erinnert, dass er die Quittung nur für drei der vier Kilo benötigt. „Ach, stimmt ja“, und es geht noch einmal von vorn los: Pappe dazwischen, neu rechnen, Handy zücken. Endlich zieht der Kunde zufrieden ab. Ich stelle meine Erdbeer-Schälchen auf die Waage. „Moment noch“, sagt der junge Mann und füllt eine weitere Quittung aus, wieder über 48 Euro – als Beleg für die Kasse vielleicht? Wo die Kopie des Originals gelandet ist, frage ich mich, sage aber nichts. Stattdessen nehme ich zwei Kilo Spargel zu jeweils zehn Euro – ohne Quittung. Der junge Mann atmet durch …

Keine Ahnung?

Das `Theater der Nacht´ in Northeim hat ein besonderes Treppenhaus: Es ist dem Skelett eines Drachen nachempfunden. Von ganz unten im Keller kann man bis unters Dach schauen; die Windungen der Drachen-Wirbelsäule werden immer enger. Für mich ist das eine interessante Gestaltungsidee – aber nicht mehr. Ein anderer Besucher ist dagegen ganz begeistert von der Konstruktion. Er ist Bauingenieur und hat einen vollkommen anderen Blick. Die zugrundeliegende Idee an sich fasziniert ihn ebenso wie die Tatsache, dass Beton dazu verwendet wurde. Für diesen brauche man eine Schalung, sagt er, und in solch einer Spiralform sei das schwierig. Außerdem müssten die Steinchen in der Betonmischung bleiben, wo sie sind – was genau die richtige Konsistenz voraussetzt.

Weil er weiß, was machbar ist und was nicht, kann er viel besser wertschätzen, was er hier sieht. Ich sehe dasselbe wie er – und doch nicht. Im schlimmsten Fall erlaube ich mir sogar ein völlig unqualifiziertes Urteil: weil ich keine Ahnung habe.

Warteschleife? Schön wärs!

Ich versuche vergeblich, verschiedene Ärzte telefonisch zu erreichen. Das Muster ist immer gleich: Gleich am Morgen läuft meist noch für zehn Minuten das Außerhalb-der-Öffnungszeiten-Band mit dem entsprechenden Hinweis. Wenn man es geduldig wieder und wieder probiert und endlich durchdringt, landet man bei einer anderen sehr freundlichen Ansage: Momentan seien alle Leitungen belegt, gleich werde sicherlich eine frei, heißt es und – man solle sich gedulden. Dann ertönt ein weiterer Klingelton, etwas anders diesmal; und ich rechne tatsächlich damit, dass gleich oder bald eine echte Person den Hörer abnimmt. Nach zwei, drei oder vier weiteren Minuten wechselt das hoffnungsfroh stimmende tuuuuut, tuuuuut in ein kurzes, hektisches tut, tut, tut, tut – und dann ist Schluss. Gespräch abgebrochen, ach, was sage ich: Hör-Einheit beendet. 

Manchmal wird auch noch eine Art verbale Schleife gedreht: „Für Termine nutzen Sie bitte unsere Online-Funktion auf der Homepage. Wenn Sie ein Rezept anfordern möchten oder eine Überweisung, drücken Sie bitte die 1; wenn Sie einen Befund abfragen wollen, drücken Sie bitte die 2; für alle anderen Anliegen bleiben Sie in der Leitung.“ Dann klingelt es eine Weile hoffnungsfroh stimmend tuuuuut, tuuuuut, bevor ein kurzes, hektisches tut, tut, tut, tut ertönt … siehe oben.

Früher ärgerte ich mich über Warteschleifen mit nervtötender Musik-Untermalung. Heute wäre ich dankbar für dieses altmodische Zeug, an deren Ende meist tatsächlich jemand den Hörer abnimmt. So ändern sich die Zeiten.

Ausgehungert? Wohl kaum!

Vergangenes Jahr war ein Sichtschutzgitter an unserer Terrasse total verrottet war. Es hielt noch, aber nur durch den an ihm rankenden Efeu. Mein Mann schlug vor, nicht nur das Gitter zu erneuern, sondern gleich auch die Pflanzen auszutauschen: irgendetwas anderes als Efeu. Dazu schnitten wir diesen kurz über dem Boden ab und häckselten in mühseliger Kleinarbeit alle Ranken. „Über den Winter hungern wir den Efeu einfach aus“, sagte mein Mann. Ich lächelte angesichts seiner Zuversicht.

Eine Plane sorgte in Herbst, Winter und Frühjahr dafür, dass die Wurzeln auf dem Trockenen saßen. Wie ich ahnte und wir jetzt sehen, lässt sich der Efeu davon nicht beeindrucken und vor allem nicht am Wiederaustreiben hindern. Die ersten grünen Blättchen sind schon da. Wir können uns darüber ärgern und es weiter mit Aushungern versuchen. Oder aber wir akzeptieren den Ist-Zustand und bauen dem Efeu ein neues Rankgitter über die lebenshungrigen Wurzeln.

Das Haus, die Lücken und ich

In den vergangenen 25 Jahren bauten wir so einiges um und an: So wie die Familie sich vergrößerte, wuchs das Haus mit. Jetzt zieht ein Kind nach dem anderen aus; das Haus und ich, wir spüren die Lücken, die sie hinterlassen. Manche davon kann man so und so sehen …

Momentan stehen vier von fünf Kinderzimmern leer – drei endgültig, eins gerade noch ein letztes Mal vorübergehend.
Die Handtuchhaken im Badezimmer sind die meiste Zeit ohne Funktion.
Ich koche aus Macht der Gewohnheit fast noch so wie früher – und wir müssen drei Tage dasselbe essen.
Schon beim Reinkommen im Flur sieht es unbewohnt aus bei uns: kein einziges Paar Schuhe da.
Die Stille im Haus ist ungewohnt und manchmal schwer auszuhalten.

Aus den leerstehenden Kinderzimmern quillt keine Unordnung.
Ich kann von allen Hausbewohnern die Handtücher wechseln, ohne sofort eine Waschmaschine anwerfen zu müssen.
Was ich koche, reicht meistens für zwei Tage.
Im Flur herrscht auch dann Ordnung, wenn das verbliebene Kind zwei Paar Schuhe dort abstellt.
Die Stille im Haus ist ungewohnt und manchmal sehr angenehm.