Vorfreude

In ein paar Tagen kommt ein Sohn aus dem Auslandsjahr wieder nach Hause. In seinem Zimmer hatte sich der kleine Bruder breit gemacht, ist jetzt aber praktischerweise unterwegs auf einer Freizeit. Ich möchte es dem Großen schön machen. Dafür werfe ich weg, was stört, räume Besitztümer hin beziehungsweise her, sauge Fußböden und wische Regale aus. Schließlich beziehe ich dem Heimkehrer ein Bett. Nach meinem Einsatz sieht das Zimmer aus, wie er es vor elf Monaten verlassen hatte; währenddessen dachte ich an ihn – zwei Stunden Vorfreude!

Vorfreude ist die schönste Freude?

Warten auf Weihnachten. Vorfreude ist die schönste Freude! Ich weiß nicht, ob mein jüngster Sohn diese Aussage bestätigen würde. Er freut sich noch sehr über Geschenke. Zwar hat er schon erlebt, dass die tatsächliche Erfüllung eines Wunsches der Anfang vom Ende der Begeisterung über die gewünschte Sache ist. Dennoch fiebert er dem Ende der Vorfreude entgegen. Er könnte auch ohne sie leben. Für ein Kind ist das normal.

Menschen in meinem Alter umgehen die Vorfreude durch eine gewisse Instant-Befriedigung. Wer wartet denn schon Weihnachten oder den Geburtstag ab, um sich Wünsche erfüllen zu lassen? Die meisten von uns haben genug Geld und kaufen sich schnell und spontan, was sie haben möchten. Dabei stimmt es – Vorfreude ist eine sehr schöne und intensive Freude. Es stimmt aber auch: Neues ist morgen schon alt. Moden kommen und gehen, Sofas nutzen sich ab; Dinge verlieren ihren Glanz, wenn ich nicht mehr von ihnen träume, sondern sie besitze.

Es ist nicht so, dass ich keine materiellen Wünsche habe. Unter anderem kaufe ich mir gern Bücher – und lese sie dann mit Freude und Gewinn. Mehr und mehr erlebe ich aber auch, das wahr ist, was schon Dietrich Bonhoeffer wusste: „Es gibt erfülltes Leben trotz unerfüllter Wünsche.“ Es liegt eine unglaubliche Kraft darin, sich genügen zu lassen an dem, was schon da ist. Es liegt Kraft im Heute. Und manchmal erfährt das unspektakuläre Heute eine Aufhellung durch die Vorfreude auf etwas Besonderes. Manchmal auch durch das Besondere selbst.