Mein Sohn will seinen Angelschein machen. Er hat die Anmeldegebühren bezahlt und lernt jetzt für die beiden Prüfungen: eine schriftliche und eine mündliche. Schriftlich ist rein theoretisch; mündlich geht es unter anderem darum, an Fisch-Attrappen zu zeigen, wie man das macht mit dem `Landen, Betäuben und Töten´. Wenn er alles richtig aufschreiben, erzählen und zeigen kann, bekommt er seinen Angelschein. Dann darf er in bestimmten Gewässern angeln gehen und ist theoretisch gut vorbereitet – und zwar praktisch ohne einen einzigen echten Fisch gefangen haben zu müssen.
(Nicht) gut vorbereitet?
Wir als Eltern können und wissen eine Menge und bringen unseren Kinder alles Mögliche bei: Radfahren, Schwimmen, sprechen, höflich sein. Sie erlernen Musikinstrumente und wissen, dass niemand gern unterbrochen wird. Auch wenn sie es ungern zugeben, können sie gesunde Ernährung von `junk food´ unterscheiden – und eine Mahlzeit zu sich nehmen, ohne dass den Umsitzenden schlecht wird. Sie treiben Sport, gehen zur Schule, verdienen sich etwas zum Taschengeld dazu usw. Und natürlich stehen wir ihnen (wenn erwünscht) mit Rat und Tat zur Seite; wir wollen sie vorbereiten auf ein selbstständiges Leben.
Ich bin sicher, dass Kinder sehr viel mitnehmen von dem, was wir als Eltern ihnen `aktiv beibringen´: Gutes und weniger Gutes, Fertigkeiten und Verhaltensmuster. Dennoch gibt es Erfahrungen, auf die wir sie trotz aller unserer Mühen nicht vorbereiten und vor denen wir sie nicht bewahren können. Wie sich beispielsweise andere Menschen ihnen gegenüber verhalten, liegt weder in unserer Hand noch existiert eine Pauschallösung für herausfordernde Beziehungen.
Wir alle werden im Leben enttäuscht – von anderen, aber auch von uns selbst. Manchmal reicht es eben nicht aus, viel zu wissen und zu können: Einige emotionale Wunden sind unvermeidlich. Deshalb ist es gut, wenn Kinder erleben, dass auch Erwachsene manchmal unfähig und ratlos sind – und dass das nicht das Ende ist. Diese Wahrheit bereitet sie vielleicht besser auf ein selbstständiges Leben vor als die Illusion, auf alles eine Antwort zu haben.
Nicht vorbereitet
Seit langem weiß ich, dass mein ältester Sohn im Herbst auszieht. Wir haben immer wieder darüber gesprochen und alles mögliche dafür organisiert. Jetzt ist er weg und ich bin traurig: Die Seele lässt sich auf einen Abschied nicht gut vorbereiten.
Gut vorbereitet
Mein Sohn fährt zu seiner mündlichen Abitur-Prüfung. Er ist gut vorbereitet auf die unterschiedlichsten Themen, die drankommen können – und natürlich nervös. Wir beten für ihn, dann schicken wir ihn los. Während er unterwegs ist, bin ich aufgeregt; irgendwann warte ich auf eine Nachricht. Auch ich bereite mich gut vor auf die unterschiedlichsten Ergebnisse, die rauskommen können: Sollte es gut gelaufen sein, werde ich mich mit ihm freuen. Sollte es nicht gut gelaufen sein, werde ich ihn trösten und ermutigen.
Später ruft er kurz an, um zu sagen, dass es super gelaufen ist. Für den Rest des Tages ist er mit einem Freund unterwegs. Ich freue mich – zunächst allein: Mit ihm kann ich das erst später tun. Darauf war ich nicht so gut vorbereitet, aber ich bin flexibel…