Vorbei

Nach dem Regen der vergangenen Tage wächst der Löwenzahn am Wegesrand ganz wunderbar: `Super Stelle, um Kaninchenfutter zu flücken´, schießt es mir aus alter Gewohnheit durch den Kopf – obwohl wir schon seit einigen Monaten keine Kaninchen mehr haben. Vorbei, … die Kaninchenphase ist vorbei.

Wir verschenken die Roller, die keiner mehr benutzt; und der Garten ähnelt weniger einem Spielplatz als noch vor drei Jahren: Weg sind das Trampolin, der Sandkasten, die Reckstange und im Sommer der Pool. Mit den beiden Fußballtoren können wir leben – und rücken sie zur Seite, wenn sie keiner braucht. So gefällt uns die Aussicht von der Terrasse besser. Vorbei, … die Kinder-Tobe-Phase ist vorbei.

Die wenigsten Kontakte halten über Jahrzehnte. Im Laufe unseres Lebens verlieren wir Menschen wieder aus den Augen – weil sie wegziehen, die Kinder nicht kompatibel sind oder es doch nicht so gut passt … Vorbei, … manche Beziehungsphasen gehen vorbei.

Alles hat seine Zeit; auch der jetzige Status quo hat sicherlich einige (materielle oder andere) Eigenheiten, die irgendwann der Vergangenheit angehören werden. Vorbei, … das Leben geht vorbei. Uns gehört nur der Moment … 

Was bleibt, wenn es vorbei ist.

Wir gehen zu der Trauerfeier für einen Nachbarn. Vorher sind wir zu Hause beschäftigt – und hinterher wieder. Die Beerdigung selbst ist eingeschoben, wie ein Ort des Innehaltens: Während wir da sitzen und auf den Redner warten, fühle ich mich wie ausgebremst und genieße es. Dann erinnern uns persönliche und ehrliche Worte an den Toten: Er war ein schwieriger Mensch. Einige Angehörige wirken untröstlich, denn der Tote hatte auch liebevolle Seiten. Angesichts dieser Trauer verlieren seine Ecken und Kanten ein wenig von ihrer Schwere, denke ich. So schnell ist ein (in diesem Fall langes) Leben vorbei; was davon bleibt, wissen die Menschen, die ihm näher standen als ich.

Ich frage mich, wie wohl meine Beerdigung sein wird: Die Ausgestaltung kann mir egal sein, oder ich lege vorher fest, was ich mir wünsche. Wer wird kommen und – viel wichtiger – was wird über mich gesagt? Auf jeden Fall werde ich irgendwann diese Tote sein. Menschen werden ihren geschäftigen Alltag für eine Trauerfeier unterbrechen, sich an mich erinnern, trauern und denken: So schnell ist ein Leben vorbei. Was von mir bleibt, wissen jetzt schon die Menschen, die mir nahestehen.

Vorbei

In den Ferien spielen wir Phase 10 und erinnern uns an einen Urlaub vor siebeneinhalb Jahren: Damals konnte ein Mitspieler mehrmals nicht ablegen, weil immer irgendein anderer überraschend die jeweilige Runde beendete. Der `Ausgebremste´ ärgerte sich hör- und sichtbar; wir anderen fanden seine Wut – zugegeben – ein bisschen lustig. (Wer den Schaden hat …) Jedesmal wenn wir jetzt (ohne ihn) Phase 10 spielen, denken wir an das Spiel von damals und schmunzeln. Aber die Stimmung können wir nur schwer wieder herstellen.

Ein Abend im Wohnzimmer: Die Mädchen singen zweistimmig, später tanzen sie nach eigener Choreographie. Wir schauen zu und sind begeistert von ihrem Überschwang, ihrer Energie und Lebensfreude. Ich denke zu spät daran, ein Video zu machen. Aber es würde die Atmosphäre ohnehin nur unvollkommen einfangen.

Einer meiner erwachsenen Söhne erzählt, was er mit Kindheit verbindet: „Ein Wort reicht: sorglos. Die Jahre zwischen zwölf und 16 waren die besten“, sagt er, „Wir waren nicht mehr klein und noch nicht verantwortlich.“ Er wohnt noch bei uns und kann sich in Vielem auf uns verlassen. Aber dieses sorglose Lebensgefühl lässt sich nur schwer (und kurzzeitig) wieder heraufbeschwören.