Das Dahinschwinden von Werten und Zwängen, die für meine Eltern noch Standard waren, erfüllt mich nicht nur mit Freude und Erleichterung, sondern auch mit leiser Wehmut und lautem Bedauern. Schön ist, dass ich nicht bis zur Selbstaufgabe pünktlich sein muss, um in meinem Freundeskreis noch eingeladen zu werden. Schön ist auch, dass man auf Anfragen mit einem klaren „Nein“ antworten kann: Ich muss Erwartungen nicht erfüllen, um als vollwertiges Mitglied einer Gemeinschaft akzeptiert zu werden. Unsere Kinder dürfen auch mal nicht zum Training gehen; in der Regel tun sie das aber doch, sind sie verbindlich.
Es ist nämlich ausgesprochen schade und äußerst unglücklich für die Charakterbildung, wenn man unangenehmen Terminen oder Personen fernbleibt und sich den Weg des geringsten Widerstandes als den einzig gehbaren und der eigenen Seele zumutbaren aneignet. Auf diesem werden so überlebensnotwendige Fähigkeiten wie Durchhaltevermögen und Frustrationstoleranz, Kreativität und Flexibilität nicht gelernt. Und wie wichtig erweisen diese sich im manchmal so langweiligen und unspektakulären Alltag!