Sooo unzufrieden – sooo schade!

`Mein´ Supermarkt ist nach dem Verschönerungs-Umbau wieder geöffnet. Die Umstrukturierung hat mehr Weite geschaffen, was mir gefällt – obwohl ich kaum noch etwas auf Anhieb finde. Den Verkäuferinnen geht es zum Teil ebenso, aber sie suchen dann eben mit mir zusammen. Am Samstagmorgen treffe ich eine Bekannte. Sie sieht unzufrieden aus und schimpft: was sie alles nicht findet, was offenbar alles nicht mehr im Sortiment ist und dass ihr Lieblingssupermarkt sowieso drei Orte weiter liegt … „Dafür ist dieser hier in Fahrradentfernung“, sage ich und dass wir uns sicher schnell an die neue Sortierung gewöhnen werden. Widerwillig gibt sie mir recht – zufriedener sieht sie deswegen nicht aus. 

Ich finde das so schade! Da hat man einen Supermarkt vor der Haustür, in dem es so ziemlich alles gibt, was man so brauchen kann: wahrscheinlich 35 Joghurt-Sorten; Brot, frisch oder abgepackt, Gemüse, Käse, Wurst, Fleisch, Tiefkühl-Zeug … Hunde- und Katzenfutter, Putzmittel, Hygiene-Artikel … eine Ecke für frisch gemahlenen Kaffee, Wein und Co. … Und doch reicht das alles nicht. Es ist zwar ganz viel da, aber es fehlen ein paar spezielle Artikel – und das verhagelt ihr den Samstagmorgen.

Christus und ich

Eine Frage, die mich seit einigen Jahren immer wieder beschäftigt, ist die nach der Berechtigung von Unzufriedenheit in meinem erfolgreichen, gesegneten Leben als langjährige Christin in einem reichen Land, in dem ich weder verfolgt noch aufgrund meines Glaubens bedroht werde. Ich weiß, dass Unzufriedenheit mit Undankbarkeit zu tun hat und nichts Positives bringt. „Sei dankbar in allen Dingen“, heißt es in der Bibel; und das stimmt ja auch wirklich, das tut mir ja auch gut. Ich höre oft, dass mit Gott alle Mauern zu überspringen sind, dass ich in IHM und mit IHM alles habe, was ich brauche, dass Dankbarkeit der Schlüssel zur Zufriedenheit ist und solche Dinge. Aber im ganz normalen alltäglichen Leben ist Gott eben nicht so häufig gleich und einfach zu erfahren. Manche Lebenswendungen erklären sich mir bisweilen auch nicht im Nachhinein – so sehr ich mich mühe, ihnen Gutes abzugewinnen. Und dann gibt es sie eben doch, diese leise Stimme, die sich hin und wieder in mir zu Wort meldet: `Es geht mir nicht so gut, wie ich es gern hätte. Ich bin unzufrieden oder sogar unglücklich, ich möchte aus meinem Leben ausbrechen, auch wenn es noch so viele sehr beneidenswerte Umstände gibt, in denen ich lebe.´ Zunächst bin ich versucht, diese Stimme zum Schweigen zu bringen, weil sie so undankbar klingt und so unheilig und so ungeistlich – und es vielleicht ja auch ist. Aber nach einiger Zeit kommt sie wieder; und immer mehr habe ich den Eindruck, ich müsste mich ihrem Reden stellen.

Zwischen Pro und Kontra

Ich bin verheiratet – ein Umstand, den sich viele wünschen und nicht haben, ich weiß. Aber das ist eben auch anstrengend. Ich habe zu Dingen eine andere Meinung als er, wir müssen uns einigen. Kompromisse sind nicht immer einfach und eben auch genau das – Kompromisse. Ja, mein Mann hat Werte und Prinzipien, unterstützt und liebt mich etc.
Dennoch gibt es manchmal eine Sehnsucht in meinem Innersten nach genau den Eigenschaften und der Art Verständnis, die er eben nicht mitbringt. Klar, ich kann mir genügen lassen an dem, was ich habe, kann dankbar sein. Aber ich darf mir auch zugestehen, dass es da ein kleines Defizit gibt, dass ich mich unverstanden fühle und nach 20 Ehejahren im Alltag zu wenig bewundert, zu wenig bestaunt (auch wenn dem de facto gar nicht so ist).

Ich habe Kinder – ebenfalls ein Segen, der nicht allen zuteil wird. Und wahrscheinlich kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, was es heißt, in diesem Bereich jahrelang auf Erfüllung starker Wünsche zu warten und zu hoffen, darum zu beten, und letztlich doch ohne Kind dazustehen. Wie schwer muss es sein, trotzdem noch Gott als den liebenden Vater zu kennen, der weiß, was gut ist für mich – wo es mir doch gar nicht gut damit geht!
Andererseits verändern Kinder ein Leben eben so umfassend, dass nicht nur Erfüllung auf der Liste steht, sondern auch Verzicht. Verzicht auf Selbstbestimmung, manchmal jahrelang. Verzicht auf Freiheit und Spontaneität, vom Verzicht in finanzieller Hinsicht, den einige noch dazu zu tragen haben, ganz zu schweigen. Verzicht vielleicht auch auf eine Arbeit und Karriere, die mich erfüllen würden, für die ich begabt wäre. Und manchmal sehe ich nur diese Seite der Medaille und fühle mich älter werdend und betrogen um Anerkennung im Beruf, eigenes Geld, Feierabend, kinderfreie Zeiten oder Zonen in meiner Wohnung, meinem Haus.

Zwischen Ist und Soll

Ich habe so viel, was andere nicht haben. Ich könnte, nein, müsste so unsagbar glücklich und zufrieden sein. Bin ich auch meistens. Mein Jammern findet auf einem sehr hohen Niveau statt. Aber auch in meinem so optimal laufenden Leben gibt es eben Dinge, die mich anstrengen und ermüden, die mich frustrieren und enttäuschen und in denen ich Jesus erstmal nicht erlebe. Er ist in allem drin und immer an meiner Seite, das weiß ich, aber ich merke es eben nicht immer. Jedenfalls kommt es bei mir nicht an. „Lass dir an meiner Gnade genügen“, das ist eben schwierig in der Praxis, das erlebe ich nur manchmal, das sind Sternstunden. Häufiger sind die Zeiten, in denen ich das durchbuchstabiere, wie wir Christen es oft so schön formulieren, und sich das dazugehörige gute Gefühl trotzdem nicht einstellt. Es bleibt beim Verstandeswissen, es rutscht nicht ins Herz. Dann möchte ich mir nicht am unsichtbaren und nicht greifbaren Jesus genügen lassen, sondern direkte Erfüllung meiner Wünsche und Bedürfnisse. Und schon fühle ich mich nicht dankbar, sondern muss mich dafür entscheiden, dankbar zu sein.

All das klingt nach einer sehr unzufriedenen Frau. Ist mein Glas immer nur halb voll? Nein, überhaupt nicht. Meist bin ich gut drauf, schenkt Gott Gelingen, kann ich dankbar sein von „ganz allein“, verstehe ich mich gut mit Mann und Kindern, habe Freunde und fühle mich so unsagbar wohl in meinem Leben. Diese anderen Momente sind selten, aber vorhanden – und mir drängt sich die Frage auf, ob diese anderen Momente nicht aber eben diejenigen sind, in denen sich mein Christsein bewähren sollte.

Stattdessen gewinne ich zunehmend den Eindruck, in meinem Leben kaum einen Unterschied zu machen. Sehen Menschen Jesus, wenn sie mich sehen? Lebe ich anders, streite ich anders, erziehe ich anders, verzeihe ich anders, bin ich anders zufrieden? Bin ich Salz für diese Welt oder wenigstens für meine Nachbarn? Gehe ich anders um mit den Unwägbarkeiten meines Lebens, mit meinem Frust, mit meinem Stress, mit den Dingen und Menschen, die mir auf den Keks gehen? Ich hoffe es, aber oft merke ich nichts dergleichen.

Mit den Jahren, in denen ich mich besser kennenlerne, fällt es mir auf, dass der größere Teil meiner Erdenjahre über meine Kraft hinaus herausfordernd ist, dass dieses oft so wunderbare Leben hier nur ein Abklatsch sein kann von dem, was noch kommt. Das hoffe ich zumindest. Die Momente des Einsseins mit Gott, der Gottesbegegnung sind eben Momente und nicht die Regel. Gott macht sich mir so fremd, so unabhängig; seine Erhabenheit und Unerreichbarkeit drängen sich fast schmerzhaft in mein Bewusstsein. Mir jedenfalls gelingt es nicht, eine Dauergemeinschaft mit ihm herzustellen oder vielleicht auch zuzulassen und auszuhalten, weil ich eben doch so sehr Mensch bin.

Ich weiß nicht, was die Ursache ist. Ich höre in mich rein und sehe in die Abgründe meiner Seele. Ich bin egoistisch, heuchelnd, unversöhnlich, leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen (und was weiß ich noch) und eben auch manchmal unzufrieden – und ich werde ohne (und vielleicht sogar trotz) Jesus immer genau das bleiben. Nichts davon kann ich willentlich abstellen, manches davon lebe ich ganz bewusst aus, wenn auch nur in Gedanken. Da bin ich ganz Teil dieser Welt und scheine mich auch nur minimal von ihr abzuheben – wenn überhaupt.

Dennoch!

Macht mich das zu einem schlechten oder unreifen Christen? Habe ich mich vor 25 Jahren nicht schon deutlich weiter gefühlt, deutlich heiliger und besser? Wenn es so weiter geht, empfinde ich meine geistliche Entwicklung als eher rückläufig. Und ich bin ein bisschen gespannt, was noch so alles offenbar wird in mir. Und wie Jesus damit umgehen wird.

Das ist nämlich die Kehrseite: Jesus wird mir ferner und näher zugleich. Ich staune anders als früher darüber, dass ich angenommen bin und geliebt, dass Jesus stirbt für meine Schuld, von der ich so viel mehr wahrnehme als vor 25 Jahren. Ich erlebe, wie individuell seine Wege mit uns sind, wie einzigartig (und oft auch schwer vermittelbar) unsere Gottesbegegnungen und wie viel Veränderung er eben doch schenkt in mir. Und DAS ist etwas, worin ich dann doch geistlich gesehen erwachsener werde und entspannter und über Gott juble: Er erreicht mich da, wo ich bin, und so, wie ich es brauche und tut tatsächlich etwas: Meine Rechthaberei hat über die Jahre weichere Züge angenommen, meine Bereitschaft, den ersten Schritt zu machen, ist gewachsen. Mit meinen nicht erfüllten Bedürfnisse gehe ich öfter schon mal früher ins Gebet und zu Jesus und erfahre den Frieden darüber, den eben nur er schenken kann. Es gäbe noch andere Beispiele. Nur eins: Ich bin viel dankbarer geworden für vermeintliche Selbstverständlichkeiten und nehme diese für das, was sie sind – ein Segen, ein unverdientes Geschenk. Meistens. Die noch immer auch vorkommenden Zeiten der Unzufriedenheit müssen wir beide aushalten – Christus und ich.