Immer weiter?

Kurz vor Weihnachten traf ich die Postbotin einige Male persönlich. Jedesmal wünschten wir uns vorab Frohe Weihnachten – `falls wir uns nicht mehr begegnen sollten´. Heiligabend sah ich sie doch noch, aber wir verzichteten auf gute Wünsche und winkten nur . „Bis nächste Woche!“, rief ich ihr zu, worauf sie erwiderte: „Es geht ja immer weiter.“ Das hallt in mir nach. Sie hat recht: Weihnachten ist ein besonderes Fest, aber kein Schlusspunkt. Auch das Jahresende ist nicht automatisch eine einschneidende Zäsur. Am 1. Januar geht es einfach weiter – daran ändern auch noch so viele gute Vorsätze nichts.

Andererseits stimmt dieses `immer weiter´ eben nur, solange nichts Unvorhergesehenes dazwischenkommt. Wir rechnen nicht mit Dingen, die unseren durchgeplanten Alltag `stören´: Mich irritiert manchmal sogar ein Hexenschuss oder wenn jemand etwas von mir will! Für Dietrich Bonhoeffer dagegen sind Unterbrechungen positiv – besonders wenn es um Menschen geht, die unsere Zeit oder Hilfe brauchen: „Wir müssen bereit werden, uns von Gott unterbrechen zu lassen. Gott wird unsere Wege und Pläne immer wieder, ja täglich durchkreuzen, indem er uns Menschen mit ihren Ansprüchen und Bitten über den Weg schickt.“ Widmen wir uns dann trotzdem unseren eigenen Wichtigkeiten, so verpassen wir das Entscheidende – meint zumindest Bonhoeffer: „Wir gehen dann an dem sichtbar in unserem Leben aufgerichteten Kreuzeszeichen vorüber, das uns zeigen will, dass nicht unser Weg, sondern Gottes Weg gilt.“

Das Einzige, was mit Sicherheit `immer weiter´ gehen wird, ist Gottes Wirken in dieser Welt – und dazu gehört sein manchmal tägliches Durchkreuzen unserer Pläne. Das könnte ein wirklich guter Vorsatz sein fürs nächste Jahr: flexibel und neugierig auf Unterbrechungen zu reagieren – in der Erwartung, dass Gott damit etwas bezweckt.

Planbar: Unterbrechungen

Was ich manchmal wirklich vermisse, ist die Gelegenheit, etwas „am Stück“ zu tun. Ich erledige täglich verschiedene Dinge: Manches davon (wie Wäsche und Kochen) lässt sich nur bedingt verschieben; anderes (Putzen und Einkäufe) ist weniger dringend, macht sich aber auch nicht von allein. Um all diese herum plane ich den Rest meines Tuns (Post, Mini-Jobs, Sport …) – und gestalte meine Tage. Das klingt einfacher, als es sich derzeit in der Praxis darstellt. 

Denn zu meinem Tagesgeschäft gehören „Unterbrechungen“ – und ich gehe nicht immer gelassen und geduldig mit ihnen um: Sie sind zwischen zwölf und 19 Jahre alt, redebedürftig, manchmal ratsuchend, mir sehr zugetan, einer Ermutigung nicht abgeneigt und kommen sehr spontan. 

So gern ich etwas „am Stück“ machen würde – es bleibt momentan oft ein Traum. Verlässlich sind die „Unterbrechungen“: fast schon planbar.

Gute Unterbrechungen

„Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden!“
Philipper 4, 6

Ein Teil der christlichen Tradition sind Tagzeitengebete. Heutzutage halten sich vor allem Menschen in christlichen Lebensgemeinschaften an diese Form des regelmäßigen Innehaltens: Zu festen Zeiten unterbrechen Ordensschwestern oder Mönche, was sie gerade tun, und beten stattdessen. Die Gebete selbst sind wichtig – und deutlich mehr als eine feste Routine. Denn in diesem festen Rhythmus drückt sich noch etwas anderes aus: Gottes Wirken ist das Entscheidende, nicht das der Menschen.

Wer sich unterbrechen lässt, bekennt: Nicht ich habe die Kontrolle, nicht auf mich kommt es an. In einer Zeit und Gesellschaft, in der manche damit werben, dass „nichts unmöglich“ ist, klingt ein solches Statement mindestens weltfremd, vielleicht sogar überholt. Aber in den entscheidenden Situationen unseres Menschseins merken wir eben doch, dass diese sich unserer Machbarkeit entziehen: Wenn eine Beziehung sich nicht kitten lässt, so sehr wir uns mühen; wenn uns Schwermut überfällt, obwohl wir reich, gesund und abgesichert sind; wenn wir uns einsam fühlen trotz vieler Menschen um uns herum… Wie tröstlich ist es dann, das „EINER dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält“ (wie Rilke sagt). Mit ihm können wir reden, ihn sogar hören und seinen Trost und Frieden erleben.

„Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“
Philipper 4, 7