Der frühe Bonhoeffer

In seiner Bonhoeffer-Biographie bezieht sich Eberhard Bethge vor allem auf Bonhoeffers veröffentlichte Schriften, seine erhaltenen Briefe und Tagebucheinträge. Die darin vertretenen Ansichten und Überzeugungen veränderten sich im Laufe der Jahre. Je mehr Bonhoeffer Erfahrungen machte und sich löste von der Prägung seines Elternhauses und der deutschen Gesellschaft seiner Zeit, wurden auch seine Gedankengänge weiter und ausgewogener.

Wir tendieren dazu, das zu vergessen: Alles, was wir tun und sagen, ist Produkt einer bestimmten Lebensphase. Vergeht diese, verändern sich auch unsere Standpunkte – zumindest teilweise. Es kann soweit kommen, dass wir uns vielleicht sogar distanzieren müssen von früheren Überzeugungen.

Hinzu kommt: Je älter wir werden, umso klarer wird uns, wie wenig wir wissen, dass „eindeutig und einfach“ nur selten zutrifft und wie berechtigt andere Perspektiven sind, wenn es um Meinungen geht. Das lässt uns hoffentlich vorsichtiger formulieren, ohne uns mit Phrasen zu begnügen. Nicht zu vergessen ist eine gewisse Altersmilde, die uns barmherzig umgehen lässt mit allzu enthusiastischen Verkündigungen.

Dietrich Bonhoeffer durchlief dies alles im Schnelldurchgang – er hatte nur ein halbes Leben Zeit …

Freiheit des Einzelnen

Ich habe Malcolm Gladwell gehört. Wie immer bin ich beeindruckt und zum Nachdenken angeregt. Er sprach über einen Paradigmenwechsel zwischen unserer Generation und der nächsten – in verschiedener Hinsicht. Unter anderem ging es um Individualität versus Zugehörigkeit: Wer heutzutage alles Apple hat, gehört dazu; er selbst mit seinen 50+ ist froh, ein Sony Laptop und ein BlackBerry zu haben und sich in gewisser Hinsicht von der Masse zu unterscheiden. Heutzutage wollen die Leute sich seiner Meinung nach weniger abgrenzen als vielmehr dazugehören.

In vielen Bereichen gilt das für mich auch: Ich möchte nicht unbedingt auffallen. In anderen Fragen grenze ich mich dagegen bewusst ab und frage, was ich wirklich brauche, was ich selbst gut finde, wieviel Verfügbarkeit und Erreichbarkeit ich anstrebe und für wünschenswert für mich halte, welchen Preis das hat, welche Nachteile ein Nicht-Teilnehmen mit sich bringt, ob ich mit denen leben kann und will. Bewusste Kosten-Nutzen-Abwägung. Welch ein Luxus, dass wir so viel so frei entscheiden können!

Oder denken wir das nur? Fühlen wir uns nur solange frei in unseren Entscheidungen, solange wir keine Nachteile dadurch erfahren? Solange es uns nichts kostet, anders zu sein? Und: Hängt das mit den Grenzen zusammen, in denen wir uns bewegen? In der ehemaligen DDR war es schwieriger, seine Überzeugungen zu artikulieren, weil man Schwierigkeiten zu erwarten hatte. In der Bundesrepublik kann man sich heute ziemlich viel „Anderssein“ leisten, ohne dass einem „jemand was kann“. Was sagt das über die Wahrhaftigkeit unserer Überzeugungen?